Hessisches Staatsballett, Der Nussknacker Ballett von Tim Plegge mit Musik von Pjotr Iljitsch Tschaikowsky, besucht von Gabriela Bucher – Liechti

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Das Ensemble Foto Regina Brocke

Produktion und Besetzung:
Hessisches Staatsballett
Musikalische Leitung GMD Patrick Lange
Choreografie Tim Plegge
Bühne Frank Philipp Schlössmann
Kostüme Judith Adam
Licht Tanja Rühl
Dramaturgie Karin Dietrich
Hessisches Staatsorchester Wiesbaden

Rezension:

Daniel Myers und Ensemble Foto Regina Brocke

Tim Plegge, Direktor und Choreograph des Hessischen Staatsballetts Wiesbaden begeisterte mit einer Neufassung des weltberühmten Balletts einen bis zum letzten Platz besetzten Saal anlässlich der Premiere am 19. Oktober 2019. Man ahnte es bereits beim Eintreten in den Theatersaal, dies würde kein klassischer Nussknacker werden. Auf der Bühne spielte ein Mann in einem riesigen Schrank auf einer Hammondorgel eine jazzige Version von «Stille Nacht». Im Mittelpunkt dieser Neufassung steht auch bei Plegge Marie und der Nussknacker. Die Geschichte beginnt am Weihnachtsabend bei Familie Silberhaus. Die gestressten Eltern (Sayaka Kado und Taulant Shehu) möchten eigentlich den Baum schmücken und den Abend vorbereiten. Aber die völlig überdrehten Kinder Marie (Vanessa Shield) und ihr Bruder Fritz (Jorge Moro Argote) stellen das halbe Haus auf den Kopf, sehr zum Unmut ihrer überforderten Eltern.

Dann nervt noch die Oma mit ihren Nörgeleien

Das Ensemble Foto Regina Brocke

Dann taucht Oma Martha (Masayoshi Katori) viel zu früh auf und nervt zusätzlich mit ihren Nörgeleien. Onkel Leopold (Nicolas Frau) und Tante Cécile (Margaret Howard) ergänzen die Runde mit ihrer pubertierenden Tochter Victoria (Jiyoung Lee) und dann ist da noch der Familienfreund Drosselmeier (Ramon John), eine zwielichtige Figur. Er schenkt Marie einen Nussknacker, Marie ist hin und weg, es entwickelt sich eine Freundschaft zwischen ihr und dem Spielzeug, die Geschichte driftet ab in eine Traumwelt. Marie befreit den Nussknacker vom Übergriff der plötzlich auftretenden Ratten und deren Königin Oma Martha und darf mit ihm ins Märchenland reisen. Aber auch dort läuft alles schlussendlich aus dem Ruder und Marie kehrt zurück in ihr normales Leben und den Weihnachtsabend.

Weihnachtsstimmung pur

Masayoshi Katori und Daniel Myers Foto Regina Brocke

Tim Plegge gelingt es, die Geschichte choreografisch so dicht zu erzählen, dass man sich mitten drin findet, sich plötzlich wieder erinnert an das ungeduldige Warten auf die Bescherung am Weihnachtsabend. Man meint, Gespräche zu verfolgen, welche ja lediglich getanzt werden. Und er verzaubert mit märchenhaften Bildern, unterhält mit höchst amüsanten Einlagen und lässt die Weihnachtsstimmung in all ihren Facetten – hellen und dunklen – aufleben.

Vanessa Shield ist eine perfekte Marie, jung, unbeschwert, quirlig, neugierig, voller Staunen und Gutgläubigkeit. Masayoshi Katori begeistert als Oma mit einer ganz eigenen Bewegungssprache, kraftvoll, schräg, schrullig, manchmal aber durchaus auch aufreizend. Ramon John als Drosselmeier hat etwas Elegant-Verruchtes, Schleimig-Schleichendes und bewegt sich mitunter wie ein stolzer Gockel, wenn er seine Arme anwinkelt und seine Rockschösse fliegen. Daniel Myers als Nussknacker entwickelt sich vom steifen, eckigen Spielzeug zum warmherzigen Freund und Begleiter Maries.

Magisches, Gruseliges und Märchenhaftes

Masayoshi Katori_Margaret Howard_Taulant Shehu_Vanessa Shield_Nicolas Frau_Jorge Moro Argote_Jiyoung Lee_Sayaka Kado_Ramon John Foto Regina Brocke

Es passieren magische Dinge auf dieser Bühne. Wenn Marie und der Nussknacker sich anfreunden, wird schon mal ein Pas de Deux sitzend auf einem Schrank getanzt. Gruselig wird’s, wenn Oma Martha plötzlich mit einem langen, dünnen Rattenschwanz über die Bühne schleicht und sich kurz darauf eine Schar Ratten mit geringelten grauen Socken um sie versammeln. Und märchenhaft schön beim Schneeflockenwalzer, wenn sich das Kinderballett unter die Tänzer mischt, alle in diesen fluffig weissen Federkostümen. In immer in neuen Formationen wirbeln sie über die Bühne, während Schneeflocken im Scheinwerferlicht herabrieseln – da träumt man sich in seine Kindheit zurück.

Bereits bei der Pause hatte Tim Plegge alle auf seiner Seite, der Applaus war laut, spontan, langanhaltend.

Im zweiten Teil, im Märchenreich, gehts weiter mit zauberhaften Szenen: Tanzende Papp-Pferde, hüpfende Flugzeuge, die Oma auf Rollerblades, überhaupt tragen sie jetzt plötzlich alle Rollerblades, die ganze Familie locker und aufgekratzt, Onkel und Tante werden zum tanzenden Glamourpaar, ihre zickige Tochter zum Instagram-Star, alles ist bestens in dieser Märchenwelt, bis es plötzlich auch hier kippt. Marie wird zusehends bedrängt und soll zur Puppe gemacht werden. Sie verlässt die Traumwelt und findet sich wieder im familiären Kreis am Weihnachtsabend.

Das Bühnenbild ist schlicht, im Mittelpunkt steht der Schrank, welcher je nachdem Freude oder Grauen bringt. Mal purzeln Puppen aus ihm, mal Ratten, mal ist er überdimensional und bedrohlich, mal fröhlich farbig gepunktet, mal bewegt sich ein Schrankballet über die Bühne, grau in grau, verwirrend für Marie, die sich nicht mehr zurechtfindet.

Musikalisch begleitet wird dieser Nussknacker durch das Hessische Staatsorchester Wiesbaden unter der Leitung von Patrick Lange. Um die bereits überbekannten Melodien aufzubrechen und die Choreografie entsprechend zu begleiten, hat Tim Plegge die Abfolge der Musik-Nummern teilweise geändert. Und um den Bezug zur Realität besser herzustellen, kommt die Hammond-Orgel zum Zug und verfremdet ab und zu Tschaikowskis Melodien in jazzig-groovige Stücke.

Trotz der dunklen Seiten dieser Geschichte war es alles in allem ein wundervoller, märchenhafter Abend, das Premierenpublikum war hell begeistert und bedankte sich mit viel Applaus, Bravo-Rufen und Standing Ovations.

Text: www.gabrielabucher.ch  Fotos: Regina Brocke     https://www.staatstheater-wiesbaden.de/

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Dieser Beitrag wurde am von unter kolumnen meiner gastkolumnisten, musik/theater/ausstellungen, weltweit veröffentlicht.

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