Besetzung und Programm:
Klaviersonate A-Dur op. 2 Nr. 2
Rezension:
Als Klaviervirtuose hatte sich Beethoven in Wien längst sein Publikum erobert. Hier war er außer Konkurrenz. nun galt es aber auch, seinen Platz als »erster« Komponist in der Musikmetropole zu sichern – ein Unterfangen, bei dem ihm das Instrument, das er nicht nur perfekt beherrschte, sondern mit dem man sich auch ohne großen Aufwand präsentieren konnte, als Partner zu Seite stand. So haben die Klaviersonaten op. 2 mit ihren Vorgängern bei Haydn und Mozart kaum mehr etwas gemein, sondern zeigen vielmehr einen jungen Komponisten – entschlossen, mit seiner Musik die Welt zu erobern. Über die damalige Konvention hinaus weist bereits die formale Anlage: Statt drei Sätze komponierte Beethoven – wie in einer Sinfonie – vier.
Stürmisch, dies aber nicht im Forte, sondern im Piano
Stürmend und drängend eröffnet er die Zweite Sonate mit einem markant fallenden Quartsprung und einem 32stel-Motiv – dies alles nicht auftrumpfend im Forte, sondern im Piano zurückgenommen in eine spielerische Leichtigkeit, die durch die strahlende A-Dur-Tonart noch unterstrichen wird. Der Seitensatz hebt dreimal leise klagend in E-Moll an. Festumrissene Konturen vermag er nicht zu gewinnen aus diesem Material. Dafür Sprunghaftes, überraschende dynamische Umschwünge, schroffe Kontraste, jähes Umschlagen von Jubel und Glück in tiefste Verzweiflung – Konstellationen die sich auch in Schumanns Partituren finden.
Levits Fähigkeit, Beethovens Intentionen umzusetzen
All diese so unterschiedlichen Komponenten, tiefste Melancholie steht plötzlich jugendlichem Übermut gegenüber, vermag Igor Levit unmittelbar zu transportieren. Insbesondere in den langsamen Sätzen manifestiert der Pianist eine Spannung, zaubert Klangfarben, lässt die Leere, die Pausen sprechen, aber alles mit Homogenität und dem natürlichen Sinn dieser Musik entsprechend. Seine Musik fächert sich in ihren unzähligen Facetten farbenreich auf, oft sehr gesanglich; Beethovens Brio drängt forsch, aber nie brutal. Levit denkt in diesen Sonaten wechselnd kammermusikalisch und orchestral.
Igor Levits Talent wurde schon früh erkannt und gefördert
Der 1987 geborene deutsch-russische Pianist wurde schon in sehr jungen Jahren gefeiert, sein Talent früh entdeckt und gefördert. Mit vier Jahren debütierte er als Solist mit einer Ecossaise von Ludwig van Beethoven das erste Konzert gab er mit sechs mit dem Philharmonie-Orchester von Nischni Nowgorod, Händels F-Dur-Klavierkonzert. Levit nahm ab 1999 für ein Jahr am Mozarteum in Salzburg Klavierunterricht bei Hans Leygraf und begann anschließend, 13-jährig, sein Studium am neugegründeten Institut zur Frühförderung musikalisch Hochbegabter (IFF) der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover.
Levit mag besonders die nicht so bekannten Sonaten
Die Popularität der Beethoven-Sonaten hängt auch mit ihren Beinamen zusammen. Kein Wunder also, dass die „Pathétique“, die „Mondschein“– oder die „Waldstein-Sonate“, die „Appassionata“ und die „Sturm-Sonate“ in der Beliebtheit weit oben rangieren. Über den künstlerischen Wert sagen die Titel allerdings nichts aus. Und so findet sich im Quartett der vier «Namenlosen», mit denen Igor Levit das Piano-Festival beschloss, einer seiner grossen Lieblinge: die D-Dur-Sonate op. 10 Nr. 3. «Unheimlich mitreissend» sei schon der Kopfsatz, findet Levit. Aber es kommt noch besser, mit dem «Largo e mesto» an zweiter Stelle: «Ich kenne keinen langsamen Satz, der so in die Tiefe schürft wie dieser.» Dem Menuett attestiert er die skurrile Kombination von «Humor und Andacht», und das Finale hält er für schier unglaublich: «Es ist totale Innerlichkeit. Wenn ein Finale schon mit einer Frage beginnt. Levits Neugier will eine neue Lösung für das jeweilige Recital. Also ist er immer etwas aufgeregt. Beethovens Fantasien spielt er impressionistisch frühromantisch: klar, nachgebend in der Rhythmik, ruhig und versonnen.
Die eigentlich sehr verschiedenen Sonaten fügt Levit schlüssig zusammen
So ergänzt das Auftakt-Allegretto der A-Dur-Sonate bruchlos die genauso versonnene Welt der später folgenden E-Dur-Sonate. Im A-Dur-Alla-marcia mildert Levit sowohl das Bizarre wie das Marschmäßige, das Stück gerät ihm zu einem skurrilen Tanz voll Übermut und Doppelsinn. Und im Adagio führt Levit das Publikum in die Urgründe des Daseins: Staunen ob dieses Mysteriums. Aus dem sich Beethoven mit wilden Oktavsprüngen, Achtelakkorden und Tonleiterfragmenten befreit, ein ganz starkes Statement des 32jährigen Pianisten.
Immer hoch konzentriert wirkt er manchmal fast verbissen
Die Art, wie Igor Levit Werke umsetzt, wirkt oft sehr verbissen und hat fast den Anschein, er spiele nur für sich selbst, was durch sein meist spartanisches, fast immer graues Outfit, noch verstärkt wird, alles andere, als ein Showpianist, wie einige Asiaten, insbesondere Lang Lang. Levit wirkt spröde, völlig auf seine Aufgabe konzentriert, was dann eben durchaus wie Arbeit aussieht. Natürlich ist es harte Arbeit, aber man sollte es nur möglichst nicht merken. Levit entwickelt seine Interpretation stark aus dem Detail und behält doch immer den Gesamtzusammenhang im Blick. Besonders eindringlich führt er dies an diesem Abend in der frühen A-Dur-Sonate aus Opus 2 vor, die man selten so facettenreich gestaltet hört.
Beethoven nah bei Dantes Inferno
Beethovens pianistischer Höllenritt in f-Moll war immer schon ein ästhetisches Unding, verlangt er doch das Paradox einer Entäusserung, klanglicher wie seelischer Art, die dennoch irgendwie kontrolliert bleiben muss. Levit weiss um diese gefährdete Balance, er lässt sie immer wieder wanken, aber erst die jedes Instrument sprengende Coda kippt endgültig ins Rauschhaft-Traumatische. Dieser Beethoven ist nicht nett unterhaltend, er springt an, packt und schüttelt uns gründlich durch. Der Interpret weiss durch sein akkurates, wenn auch manchmal etwas düsteres Spiel zu fesseln und zu begeistern. Langanhaltender kräftiger Schlussapplaus belohnte den Künstler für diese Meisterleistung und mündete schlussendlich in einer stehenden Ovation. Ein würdiger Abschluss des, vorläufig, letzten Lucerne Festival am Piano. Ein Festival, das wohl nicht nur ich sehr vermissen werde und das, davon bin ich überzeugt, in ein paar Jahren wieder im Jahresprogramm gelistet sein wird,
Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.lucernefestival.ch
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