Besetzung und Programm:
James Gaffigan, Leitung
Vadim Gluzman, Violine
Ludwig van Beethoven (1770 – 1827)
Marsch für Militärmusik Nr. 2 C-Dur «Zapfenstreich»
Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 61
–
Johann Strauss II (1825 – 1899)
Ouvertüre zur Operette «Die Fledermaus»
«Seid umschlungen, Millionen», Walzer op. 443
«An der schönen blauen Donau», Walzer op. 314
«Unter Donner und Blitz», Polka op. 324
–
Johannes Brahms (1833 – 1897)
Ungarischer Tanz Nr. 1 G-Dur
Ungarischer Tanz Nr. 4 fis-Moll
Rezension:
Dass Beethoven musikalische Schlachtengemälde durchaus liebte, demonstrierte er mit «Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria». Auch seine Militärmärsche gehören in diese musikalische Kategorie. Und sogar sein einzigartiges Violinkonzert eröffnete Beethoven mit einem Instrument, das sich vorzüglich für Märsche eignet – nämlich mit der Solopauke, die zumindest im ersten Satz immer wieder eine wichtige Rolle spielt. Sonst aber herrscht hier pures Melos: Wohl in keinem anderen Werk verwöhnt Beethoven das Ohr des geneigten Musikfreundes mit einem derart opulenten Melodienreichtum. Nach der Konzertpause heisst es dann: alles Walzer. Von Wiener Walzermelodien, aber auch von Brahms’ Ungarischen Tänzen geht eine besondere Anziehungskraft aus – eine melancholische Aura von nostalgischer Zartbittersüsse. Walzerklänge locken und verführen, und sie künden insgeheim von kleinen, süssen Herzensgeschichten, von schüchternem Werben und heimlichen Neigungen, von schwärmerischem Glücksgefühl und verstohlener Wehmut. Ausgelassener Scherz und stiller Schmerz, leidenschaftlicher Frohsinn und federleichte Trauer gehen hier sozusagen eng umschlungen Hand in Hand.
Mix aus zwei Reminiszenzen
Es liegt nahe, dass einerseits der heuer zu feiernde 250ste Geburtstag Beethovens und andrerseits die weltweite Beachtung, das kulturelle Neujahrs TV Ereignis schlechthin, das alljährliche Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker im Saal des Musikvereins in der österreichischen Hauptstadt, die Programmierung bestimmt haben. Beethoven im Jahr 2020 fast ein must, Walzer andererseits, weltweit eine never ending Erfolgsstory, besonders zum Jahresanfang als publikumswirksame Absicherung? Andererseits haben sich die Luzerner in den letzten Jahren jeweils, mit Erfolg, deutlich von den Wienern abgegrenzt mit ihren Neujahrsprogrammen. Sei es, wie z.B. letztes Jahr mit Rossini, 2017 mit Gershwin usw.
1. Konzertteil mit Beethovens Violinkonzert
Beethovens Violinkonzert, uraufgeführt 1806, war völlig neuartig für seine Zeit. Es hat einen Umfang, wie noch kein Violinkonzert davor. Anfangs verurteilten die Kritiker das Werk. Seinen verdienten Durchbruch erlebte es, nachdem Joseph Joachim es als Dreizehnjähriger 1844 unter der Leitung von Felix Mendelssohn in London gespielt hatte. Seither hat es seinen festen Platz im Konzertrepertoire. Obwohl das einzige Violinkonzert Beethovens und von allen grossen Violinisten geschätzt, ja geliebt, wird es dennoch recht selten programmiert.
Der erste Satz entspricht der Sonatensatzform. Vier leise Paukenschläge, gefolgt von der Vorstellung des Hauptthemas durch die Holzbläser, leiten den Satz ein, dessen liedhaftes und doch majestätisches Hauptthema eine lyrische Stimmung verbreitet. Das Paukenmotiv kehrt an mehreren Stellen des Satzes wieder. Die Solovioline setzt erst nach der Vorstellung der beiden Hauptthemen und einer etwa dreiminütigen Orchesterpassage ein.
Für den 2. Satz, das Larghetto machen Leibowitz und Kolisch in ihrem“ Dialoge über Aufführungsfragen bei „Beethoven“ einen Andante-Charakter geltend, dessen Bewegungsform sich ebenfalls in Halben artikuliere. Aufgrund des charakteristischen Motivs aus Viertelnote mit angebundenem Achtel ordnet Kolisch diesen Satz dem Typ ›Adagio alla breve‹ zu. In Partitur und Stimmensatz trägt Leibowitz die Alla-breve-Vorschrift nach. Der Metronomwert= 30 wird aus den von Beethoven gemachten Metronomangaben(= 60) für die langsamen Sätze des Streichquartetts op. 59,2 und der Neunten Sinfonie abgeleitet. Vorurteilsfrei und leidenschaftlich hat sich hier Gluzman für einen Weg entschieden, der die technischen Herausforderungen zum Strahlen bringt. Er demonstriert, auch und Dank dem kongenialen Zusammenspiel mit dem grossartigen Orchester, emotionale Überzeugtheit, ohne je sentimental oder selbstgefällig zu werden. Den dritten Satz spielt der Solist so klar und zugleich so verwegen und hingebungsvoll wie kaum ein anderer in neuerer Zeit. Kenntnisreich und leidenschaftlich Gluzman geht mit nicht weniger Ernst zur Sache als andere Interpreten. Aber um wie vieles leichter, quasi dem Himmel näher wirkt seine Darbietung, wie viel tiefer in die Musiksubstanz aus Artikulation, Tongebung und Phrasierung dringt er ein. Gluzman ist bedingungslos virtuos. Sein Können stellt er ganz in den Dienst von Beethovens wundervollem Bewegungsdrang, heißblütig spielend und präzis kalkulierend. Das Orchester ist in der Größe ideal besetzt und ausbalanciert. Unter Leitung seines Chefs, James Gaffigan, hält es ohne Mühe mit. Kenntnisreich, unbelastet und engagiert hat sich Guzman für einen Weg entschieden, der die technischen Herausforderungen zum Strahlen bringt. Ein stürmischer, langanhaltender Applaus belohnte die Protagonisten für diesen Ohrenschmaus und schlussendlich gewährte uns der Solist noch die Gavotte aus der E-Dur-Partita von Bach als Zugabe.
2. Konzertteil alles Walzer, zumindest fast
Neujahrskonzert ganz ohne Walzer, davon rückten die Luzerner für einmal ab, ergänzten das Set aber noch passend mit zwei ungarischen Tänzen von Brahms, kannten und mochten sich doch diese beiden Komponisten sehr gut. Schon brauste eine Fledermaus durch den Konzertsaal und zwar in Form der Ouvertüre aus der gleichnamigen Strauss Operette, welche mit rasantem Drive und packendem Rhythmus fulminant den „Wiener Teil“ des Konzertes einläutete. Ebenso überzeugend kamen dann die übrigen Werke von Johann Strauss II, der eher sanfte Walzer «Seid umschlungen Millionen», die rasante Polka «Unter Blitz und Donner» und natürlich der Walzer der Walzer «An der schönen blauen Donau».
Gaffigan schöpfte grosszügig aus dem Vollen, liess sein Orchester fast zügellos laufen, ja galoppieren in das neue Jahr. Die zugegebene „Tritsch-Tratsch-Polka“ hob den Stimmungspegel noch mehr und fast logisch dann noch, wie in Wien alle Jahre wieder, der das Konzert abschliessende, schlicht unvermeidliche «Radetzky-Marsch»,-bei dem das Mitklatschritual noch nicht ganz dem Wiener Original entsprach, aber Innerschweizer sind ja bekanntlich schnell lernfähig und bis ganz am Ende, nachdem Gaffigan den Dirigentenstab noch an den Fagottisten abgetreten hatte und selber mitklatschte, ja fast mittanzte, passte fast alles. Der Applaussturm und die Bravorufe sowie auch die vielen strahlenden Gesichter im KKL gaben den Programmveranwortlichen Recht
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: sinfonieorchester.ch/home und
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