Wurde die Dorfkapelle von Flüelen wiederentdeckt?

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Situation der Leitungen und Ausmass des Gebäudes mit Mörtelboden (helle Fläche im Leitungsgraben).

Ein schon seit längerem bestehendes Rätsel in Flüelen ist die Lokalisierung der ersten Dorfkapelle von Flüelen. Neue archäologische Grabungen im Zusammenhang mit der Neugestaltung des Ochsenplätzlis hinter dem Hotel Urnerhof haben nun womöglich des Rätsels Lösung aufgedeckt.

Historisches zur Kapelle

Die Geschichte der Kapelle reicht über 650 Jahre zurück. Die ursprünglich nur dem Heiligen Georg geweihte Kapelle wird erstmals 1360 erwähnt. Bislang als eine von der Pfarrei Altdorf abhängige Filiale geführt, wurde es den Flüeler Dorfleuten im 17. Jahrhundert immer wichtiger, eine eigene Pfarrkirche im Dorf zu haben, die zudem mehr Platz bietet. Die Pfarrgründung erfolgte sodann 1665, ein Jahr nach der Fertigstellung der neuen und grösseren Kirche St. Georg und St. Nikolaus. Mit dem Neubau der Pfarrkirche wurde die alte Kapelle nicht mehr als solche genutzt und sie geriet in Vergessenheit. Ihr Abbruch wurde nirgends registriert und ihr Standort verschwand allmählich aus dem Gedächtnis der Leute. Erstaunlicherweise hielt sich die Tradition, dass die alte Kapelle unter dem Kräutergarten des Gasthauses «Weisses Kreuz» lag, wie Robert Müller in seiner Dorfgeschichte 1912 schrieb. Und genau dort wurden im vergangenen November und Dezember neue Werkleitungen verlegt, was eine geplante archäologische Baubegleitung erforderte. Im Leitungsgraben kamen dann tatsächlich massive Mauerfundamente zu Tage.

Der Boden gibt seine Geheimnisse preis

Im begrenzten Graben liessen sich zum Teil die West- und Ostmauer sowie die Nordostecke eines Steingebäudes freilegen. Es war Nord-Süd ausgerichtet und wies die Masse von mindestens 10 m Länge und 7,3 m lichter Breite auf. Das Gebäude erfuhr mindestens einen Umbau, konnten doch zwei, sich zeitlich aufeinander folgende Innenböden festgestellt werden. Der ältere Mörtelboden war nicht mehr gut erhalten. Darauf folgte ein jüngerer Mörtelbelag mit rechteckigen Negativabdrücken, die von nicht mehr vorhandenen Tonplatten stammten. Mit diesem jüngeren Boden wurde gleichzeitig auch die Innenwand neu verputzt. Eine Besonderheit stellt die Entdeckung eines unter dem Tonplattenboden zum Vorschein gekommenen Brunnenschachtrests dar. Aus trocken verlegten Bruchsteinen erstellt, lag er im Bereich der zu vermutenden, nordwestlichen Ecke. Seine Funktion ist bislang nicht eindeutig zu erklären. Hingegen legen Münzfunde aus dem jüngeren Boden sowie aus darüber liegenden Erdschichten Zeugnis für die Gebäudenutzung bis sicher ins 17./18. Jahrhundert ab. Der Abbruch des Gebäudes erfolgte daher spätestens im frühen 19. Jahrhundert.

Kapelle oder nicht?

Dieses neu entdeckte, auf keinen Katasterplänen festgehaltene Gebäude liegt ziemlich exakt unter dem ehemaligen Kräutergarten des im Jahr 2018 abgebrochenen Gasthauses «Weisses Kreuz». Schon Helmi Gasser lokalisierte im Kunstdenkmälerband von 1986 die Kapelle anhand schriftlicher Erwähnungen «hinter Gasthaus Adler und Spital (heute Urnerhof), die Eingangsseite […] der Seitenfront der Sust [heute Hostellerie Sternen] gegenüber gelegen […].» Eine Übereinstimmung mit diesem Standort ist also faktisch sicher. Für eine 100prozentige archäologische Identifikation reichten jedoch die Grabungsausschnitte nicht aus: Eindeutige Elemente wie die Chorfundamente dürften südlich noch im Boden versteckt schlummern. Zukünftige archäologische Grabungen werden da wohl Licht ins Dunkel bringen. Einen Hinweis auf eine sakrale Verwendung des Gebäudes liefert vielleicht der Brunnenschacht. Solche Brunnen wurden mancherorts in Kirchen angelegt, um über frisches Wasser für die Segnung zu verfügen. Für Kapellen stellen Brunnenanlagen allerdings eine Besonderheit dar, da Segnungen normalerweise den Pfarrkirchen vorbehalten waren. Andererseits ist nicht auszuschliessen, dass in der Dorfkapelle noch im Spätmittelalter gewisse pfarrrechtliche Tätigkeiten wie Segnungen ausgeübt worden sind.

Des Rätsels Lösung ist also nicht vollständig erbracht. Dennoch scheinen einige Argumente für die Wiederentdeckung der Kapelle zu sprechen. Das Augenmerk muss daher bei zukünftigen Bauprojekten im südlichen Ochsenplätzli liegen, denn dort ist mit weiteren Entdeckungen zu rechnen.[content_block id=45503 slug=unterstuetzen-sie-dieses-unabhaengige-onlineportal-mit-einem-ihnen-angesemmen-erscheinenden-beitrag]