rEVOLUTION bei Boston Ballet, eine Kolumne von Anna Rybinski

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Facades Liza Voll Photography

Meine freudige Erwartung, dieses berühmte Ballettensemble in verschiedenen Programmen zu erleben, wurde durch die Corona-Epidemie zunichte gemacht. Ich musste mich sogar glücklich schätzen, dass ich Boston überhaupt verlassen konnte und in der letzten Maschine Richtung Schweiz einen Platz bekam, bevor die Flüge eingestellt wurden!

So konnte ich nur einem Programm, der “rEVOLUTION” am 1. März 2020 beiwohnen; es war dem modernen Tanz gewidmet, mit Werken von drei grossen Choreografen.

Die nächste Premiere, “Carmen”, wurde wegen der Schliessung aller kulturellen Einrichtungen auf August verschoben und das Schicksal vom “Schwanensee” im Mai steht noch in den Sternen. Momentan ist es aber ziemlich leicht, den Sterndeuter zu spielen und vorauszusagen, dass sie höchstwahrscheinlich auch nicht stattfinden wird.

 

Die “rEVOLUTION” – Tanz mit revolutionärem Inhalt

 

1965 Probefoto Balanchine

Die Choreografen George Balanchine (1904-1983), Jerome Robbins (1918-1998) und William Forsythe (*1949) haben den Begriff «Ballett» grundlegend verändert. Märchengeschichten mit viel Herzschmerz, Tüll und Tütü waren nicht mehr das einzige Ziel des Tanzes. Diese genialen Erneuerer liessen sich allein von der Musik inspirieren und erzählten ihre eigenen Geschichten – Emotionen und dramatische Höhepunkte inbegriffen.

Wie der künstlerische Direktor Mikko Nissinen treffend sagt: “Ballett ehrt die Tradition, aber zeigt gleichzeitig den Weg in die Zukunft. Erneuerungen sind unerlässlich, um mit der gesellschaftlichen Entwicklung Schritt zu halten.“

In diesem Sinne präsentierte der Ballettabend “rEvolution” drei Einakter, buchstäblich mit revolutionärem Inhalt.

 

Agon (Altgriechisch: Wettkampf) Weltpremiere 1957

 

Choreograf: Georg Balanchine, Komponist: Igor Strawinsky

LizaVoll Photography

Das Werk entstand in enger Zusammenarbeit der beiden. Stravinsky war ein erstaunliches Phänomen unter den grossen Komponisten: Er machte nicht nur seinen eigenen Reifeprozess durch, sondern blieb bis  ins hohe Alter offen für neue Strömungen und probierte sie aus, wie den Jazz und den Neoklassizismus. Sie leiteten bei ihm sogar eine neue Schaffensperiode ein. In «Agon» wendete er die Zwölfton-Kompositionstechnik an und komponierte – mit gewissen Jazz-Einflüssen und vielleicht mit einer Prise Ironie – 12 Tänze für 12 Tänzer. Dazu hatte Balanchine bei der Uraufführung das zentrale Pas de Deux mit einer weissen Tänzerin und einem schwarzen Tänzer besetzt – damals revolutionäre Neuigkeiten! Die acht Tänzerinnen und vier Tänzer wurden durch die kongeniale Choreografie zu Höchstleistungen inspiriert: die Wettkämpfe zwischen ihnen wurden virtuos ausgetragen und die lyrischen Sätze mit viel Poesie verinnerlicht. Sie konnten sogar den subtilen Humor der Musik in ihren Bewegungen visualisieren. Ich kann hier stellvertretend nur die Hauptsolisten des Abends, Chyrstyn Fentroy, Soo-Bin Lee, Patrick Yocum und Tigran Mkrtchyan nennen, aber das ganze Ensemble leistete Grossartiges. Die Musik, zwar für sinfonisches Orchester komponiert, ist gespickt mit Solos und kammermusikalischen Einsätzen und stellt höchste Anforderungen an die Musiker, die das Orchester unter der Leitung von Musikdirektor Mischa Santora mit Bravour leistete.

Glass Pieces Weltpremiere 1983

LizaVoll Photography

Jerome Robbins choreographierte drei Szenen zu Kompositionen von Philip Glass: «Rubric», «Façades» und ein Excerpt aus «Akhnaten».

Die Musik ist erstaunlich farbig und angenehm; das Markenzeichen von Philipp Glass, der Minimalismus, scheint Ruhe auszustrahlen, wirkt aber überhaupt nicht monoton und eintönig, weil alles im Fluss ist. Der perfekte Gegensatz zu Strawinskys vielschichtiger, kerniger Komposition!

Ein visuelles Vergnügen bereitete die zweite Szene, «Façades» in der das wunderschöne Pas de Deux von Viktorina Kapitonova und Lasha Khozashvili, von einem melancholischen Sopransaxophon begleitet wurde, während das Ensemble im Hintergrund ein faszinierendes Silhouetten-Spiel aufführte.

 

In the middle, somewhat elevated Weltpremiere 1987

 

2019 Probefoto Forsythe Lisa Voll

Einer der bedeutendsten Choreografen unserer Zeit, William Forsythe, kreierte mehr als 60 Tanzwerke zu Musik des Holländers Thom Willems. Diese Komposition mit elektronischen Klängen bildete wiederum einen harten Kontrast nach der ruhigeren Atmosphäre von «Glass Pieces». Die neun ausgezeichneten Solisten vollbrachten akrobatische Höchstleistungen, die die Kämpfe und die Rivalität  zweier Frauen um einen Mann intensiv darstellten. Hier sollten die Namen aller dieser hochtalentierten Künstler und Künstlerinnen stehen, zumal sie in jeder Vorstellung jeweils andere Rollen übernahmen:

Lia Cirio, Patrick Yocum, Chrystyn Fentroy, María Álvarez, Ashley Ellis, Lawrence Rines, Irlan Silva, Mallory Mehaffey und Abigail Merlis.

Das Ensemble und Orchester wurden nach jedem Akt mit lauten Ovationen überschüttet.

Primaballerina LizaVoll Photography

Die enormen Unkosten für die 69-köpfige Kompanie und das denkmalgeschützte Haus samt Personal werden zu 60% von den Einnahmen getragen. Den Rest steuern die grosszügigen Sponsoren und Donatoren bei, da die Unterstützung von Stadt und Staat sehr gering ausfällt. Es ist zu hoffen, dass sich die Lage bald normalisiert und dieses grossartige Ensemble sein Talent bald wieder dem «Contemporary Dance» und «Schwanensee» & Co. widmen kann.

Text: www.annarybinski.ch

Fotos: https://www.bostonballet.org/home.aspx

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Paul Ott:http://paul-lascaux.ch/

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