Bayerisches Staatsorchester, KKL Luzern, 7.10.2020, besucht von Léonard Wüst

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Bayerisches Staatsorchester, Foto Sandra Neumeister

Besetzung und Programm:
Bayerisches Staatsorchester
Vladimir Jurowski (Dirigent)
Frank Peter Zimmermann (Violine)

Rezension:

Alles wie vor Corona war es dann doch nicht. Zwar dürften jetzt wieder alle 1898 Plätze des Konzertsaales im KKL Luzern wieder belegt werden, aber Maske tragen ist im ganzen Haus, auch im Konzertsaal, obligatorisch und die Konzerte werden ohne Pause durchgespielt. Doch, so der Projektverantwortliche Mirko Vaiz: Die Migros Classics beschränken die Besucherzahl weiterhin auf 1000. Wir sind der Meinung, dass es besser ist, beim Start in die Saison noch etwas Vorsicht walten zu lassen. Das Schutzkonzept im KKL ist äusserst effizient, dennoch relativ einfach in der Anwendung. Man registriert sich mittels einer App beim Einlass, so werden alle Besucher Sitzplatz genau erfasst. Die Daten werden nach 14 Tagen wieder gelöscht.

Mischa Damev Intendant Migros – Kulturprozent – Classics

Der Intendant des Migros-Kulturprozent-Classics, Mischa Damev, hiess die Besucher persönlich willkommen und zeigte sich erleichtert, dass alle Musiker einreisen durften und so auch vollzählig anwesend waren. Man  wolle, den Widerwärtigkeiten der aktuellen Situation trotzend, dem eigenen Anspruch, hochwertige Klassik zu bieten, treu bleiben und keine Abstriche machen. Er zeigte sich erleichtert, dass die Saison 2020/21 endlich starte und erfreut, dass doch so viele Interessierte, den Weg ins KKL trotz den erschwerten Umständen, auf sich genommen hätten. Damev erwähnte noch, dass das ursprüngliche Programm mit Alban Bergs Violinkonzert ersetzt werden musste, weil dessen Grossbesetzung in München nicht erlaubt war und  dass dies der erste Auftritt des Bayerischen Staatsorchesters ausserhalb Münchens unter dem künftigen Chefdirigenten sei.

Ludwig van Beethoven – Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 36

Diese Sinfonie macht gute Laune und zeigt Beethoven als entschlossenen Modernisierer. Optimismus klingt aus dem ersten Sinfoniesatz mit seinem strahlenden Motiv in D-Dur heraus, der zweite Satz lädt mit seiner volksliedhaften Melodie zum Träumen ein, und im Scherzo poltert das etwas grobe Thema lustig vor sich hin.

Doch staunt man etwas, wenn man das Entstehungsjahr liest: 1802, das gleiche Jahr, in dem Beethoven das Heiligenstädter Testament verfasst und seine Verzweiflung angesichts seiner Ertaubung und der damit einhergehenden Isolation schildert.

Zitat Ludwig van Beethoven: „Oh ihr Menschen dir ihr mich für feindselig störrisch und misanthropisch haltet oder erkläret, wie unrecht thut ihr mir (….) musste ich früh mich absondern, einsam mein Leben zubringen (…) wie ein Verbannter muß ich leben (…) es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben (…).“

Die zeitliche Nähe zwischen dem düsteren Selbstzeugnis und der zweiten Sinfonie macht neugierig: Verbirgt sich hinter dem freundlichen Gesicht dieser Sinfonie eine dunkle Seite? Beethovens Zeitgenossen nehmen das Werk jedenfalls keinesfalls als heiter, sondern als dramatisch wahr.

Die Leipziger „Allgemeine Musikalische Zeitung“ erkennt in der Komposition „viel Originalität, Reichtum (…) mitunter aber auch Bizarrerie“ und spricht vom „gewaltigen Feuergeist, der in diesem kolossalen Produkt wehet“. Vollkommen fassungslos beschreibt ein Rezensent 1804 seinen Höreindruck von der Sinfonie:

„Sie glich einem Ungeheuer, das sich beinahe eine volle Stunde in Verrenkungen abquälte und mit dem Schweif um sich schlägt, man weiß nicht warum? (…) Was will die Bestie?“ Zitat Johann Gottlieb Spazier in „Zeitung für die elegante Welt“

Erhaben und extrem

Die Modulationen zu grell, das Finale zu wild: Das Publikum zu Beethovens Zeit sieht in dieser Sinfonie ein Werk der Extreme, dabei neuartig und ungewöhnlich. Und damit entspricht sie auch den damaligen Erwartungen an die Sinfonie als erhabene Gattung, die gar nicht freundlich und angenehm daherkommen soll.

Und so ist es wohl eine Frage der Perspektive, was man heute aus dem Werk heraushört: Die Drastik, mit der Beethoven auch sein Heilgenstädter Testament formulierte, oder eine positive schöpferische Kraft? Der Musik wohnt gewiss beides inne.

Die herrlichen Bläsersoli in den ersten Takten von Beethovens 2. Sinfonie waren gleichsam ein Versprechen, welches die Protagonisten auch einhielten.

Das bayerische Renommierorchester unter souveräner, Leitung seines designierten neuen Chefdirigenten Vladimir Jurowski schöpfte aus dem vollen, überzeugte mit satten Klängen ebenso wie mit sanften Tönen, der gebürtige Moskowiter führte straff, wo geboten, liess auch mal die Zügel etwas lockerer wenn notwendig, aber immer mit der ihm eigenen, wenn auch nicht sturen Ernsthaftigkeit mit eleganten Bewegungen.

Nach vier Minuten Aufbruch in eine neue Ära der Klassik

Vladimir Jurowski Dirigent

Knapp vier Minuten braucht Beethoven, um das vorher übliche höfische Menuett mit seinem Scherzo in die Rumpelkammer der Musikgeschichte zu befördern. In übermütiger Stimmung – allegro vivace! – kommt der dritte Satz mit seinen Paukenschlägen und Flötentupfern daher (obwohl Beethoven bereits um seine Ertaubung wusste), und wenn Schluss ist, ist – wie immer bei Beethoven – auch richtig Schluss. Schön!

Stürmischer, langanhaltender Applaus war der verdiente Lohn für die gut aufgelegten Musiker.

Eine Liebe fürs Leben Frank Peter Zimmermann  und die „Lady Inchiquin“

Launische Diva und bester Freund – der Musiker und sein Instrument (Quelle: Deutschlandfunk)

Frank Peter Zimmermann  über sein Instrument: Die Liebe meines Lebens ist aus Holz und über 300 Jahre alt: Die Stradivari „Lady Inchiquin“ ist die Stimme des Star-Geigers. Doch zwei Jahre musste er auf das 6-Millionen-Instrument durch die Insolvenz der Eigentümerin, der West-LB, verzichten.

Frank Peter Zimmermann: „Ich habe auf dieser Geige, die mal Fritz Kreisler gehört hat, eine Stradivari von 1711, die Möglichkeit, wirklich ausdrucksmäßig unglaubliche Dinge herauszuholen. Das erfordert wahnsinnig viel Aufwand, weil diese Geige eigentlich nicht gefordert werden will, sondern weil sie eher verlangt, dass der Spieler so spielt, wie sie das gerne möchte.“

Jahre hat Zimmermann gebraucht, um die Geheimnisse der „Lady“ zu ergründen und all ihr Nuancen auszuloten, ihre Farben, ihre Süße, ihre Wärme. Eine Liebe fürs Leben nennt Zimmermann gern seine Beziehung zu dieser Geige.

Frank Peter Zimmermann: „Die Geige ist, wie alle „Strads“, eine ziemliche Primadonna, sie ist nicht einfach zu spielen. Und man will doch irgendwie das Allerbeste aus ihr herausholen, und sie wirklich spüren lassen, dass sie sich wohl fühlt, dass ich möchte, dass sie sich wohl fühlt.“

Doch im Februar 2015 droht der Liebesbeziehung das Aus: Die Bank soll wegen eigener finanzieller Engpässe das Instrument zu Geld machen, sogar Zimmermann selbst bietet mit. Doch die Preis-Forderungen sind illusorisch hoch. Niemand will die geforderte Summe auf den Tisch legen. Trotzdem muss die Geige ihre Heimat verlassen – drei Tage vor Zimmermanns 50. Geburtstag – und landet schließlich in einem dunklen Tresor. Der Geiger steht plötzlich ohne Instrument da, und das kurz vor einer Aufnahme mit Konzerten von Mozart. Er leiht sich kurzfristig eine andere Stradivari – ein Instrument, das früher, um die Wende zum 19. Jahrhundert, dem berühmten Virtuosen Giovanni Battista Viotti gehört hat. Frank Peter Zimmermann: „Die hatte einen Bodenstimmriss, und sie klang vor dem Mikrophon wunderbar. Also sie hatte auch diese Süße, sie war von 1712, also auch beste Zeit. Fürs Mikrophon eine gute Geige – aber fürs Konzert, für die großen Säle, ist ihr Klang zu schwach. Zimmermann sucht also weiter, doch vergeblich.

Eine unerwartete Wendung

Frank Peter Zimmermann mit seiner Neuen. Die Stradivari wurde ihm von der Tochter des Eigentümers übergeben. (picture alliance dpa Anja Rauschardt)

Ein Dreivierteljahr später, Dezember 2015: Während einer China-Tournee stellt sich, eine Stunde vor einem Konzert in Shanghai, ein Mann mit einem Geigenkoffer vor und fragt, ob Zimmermann einmal sein neu erworbenes Instrument anspielen wolle. Zimmermann erkennt sofort, wem es zuvor einmal gehört hat: dem großen belgischen Geiger Arthur Grumiaux. Seit 2016 also spielt Zimmermann auf der „Général Dupont“. Das Instrument im Eigentum der Yu-Kunststiftung wurde zuvor auch von Arthur Grumiaux gespielt. Nachdem Nordrhein-Westfalen 297 Kulturgüter von der WestLB-Nachfolgerin Portigon AG zurückgekauft hatte, wird die „Lady Inchiquin“ nach Aussage der Landeskulturministerin Christina Kampmann dem Violinisten künftig wieder zur Verfügung gestellt.

 

Ludwig van Beethoven – Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 61

Vier leise Paukenschläge, gefolgt von der Vorstellung des Hauptthemas durch die Holzbläser, leiten den Satz ein, dessen liedhaftes und doch majestätisches Hauptthema eine lyrische Stimmung verbreitet. Die Solovioline setzt erst nach der Vorstellung der beiden Hauptthemen und einer etwa dreiminütigen Orchesterpassage ein. Der schlaksige Dirigent leitet mittels viel Mimik und sparsamer, aber aussagekräftiger Gestik.

Trotz viel Ernst wirkt alles leicht

Frank Peter Zimmermann , Violine Foto Harald Hoffmann

Besonders markant ist das einleitende, pochende Paukenmotiv (es erklingt insgesamt mehr als 70 Mal), aber auch das von den Holzbläsern vorgetragene Hauptthema, das mit seinem lyrischen Gestus den Charakter des gesamten Satzes bestimmt. Kürzer gefasst ist das als Romanze angelegte Larghetto, während Beethoven das Finale als ein Rondo im munteren 6/8-Takt gestaltet und ansatzweise die Ausdruckswelt seiner nur wenig später niedergeschriebenen Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68, der „Pastorale“, vorwegnimmt.

Zimmermann geht mit viel Ernst zur Sache, aber alles wirkt um vieles leichter als seine Mimik ausdrückt, quasi dem Himmel näher,  tief in die Musiksubstanz aus Artikulation, Tongebung und Phrasierung dringt er ein und ist damit bedingungslos virtuos. Sein Können stellt er ganz in den Dienst von Beethovens wundervollem Bewegungsdrang, heißblütig spielend und präzis kalkulierend. Das Orchester, in der Größe ideal besetzt und ausbalanciert, hält ohne Mühe mit, fängt Zimmermann nach seinen solistischen Höhenflügen auf und bettet ihn gleichsam sanft wieder in den Schoss des Klangkörpers.

Im Rondo, dem Schlusssatz, der mit seinem 6/8-Thema an ein Jagdthema erinnert, rufen die Waldhörner alle wieder zusammen, worauf sich die Solovioline noch ein letztes Mal darüber hinaus schwingt und das Motiv  virtuos kadenzierend modelliert.

Dirigent Vladimir Jurowski

Jedes Detail dieser Interpretation war perfekt, von den Triolen, Staccato und Vibrato des Solisten über die präzisen Pizzicato der Celli bis zu den Bläsereinwürfen floss alles ineinander zu einem Gesamtkunstwerk.

Das Auditorium war begeistert und steigerte sich über stürmischen Applaus bis zu einer stehenden Ovation, die solange anhielt bis die Musiker noch das Adagio aus Mozarts – Violin Concerto No. 3 als Zugabe gewährten

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos: http://www.migros-kulturprozent-classics.ch/  

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