Hoffnung auf bessere Zeiten hat Herbert Huber

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Mahlzeitenkarte

Es ist schlimm, was wir momentan alles „durchstehen“ müssen. Auf Gewohntes verzichten und uns staatlich verordnet einschränken. Und es ist das plagende Ungewisse, wann dieser Virus Spuk je ein Ende haben wird.

. Durchaus nachvollziehbar, wenn vielen Jungen die Decke auf den Kopf zu fallen droht. Für uns ältere Menschen mag das Verzichten (vielleicht) etwas einfacher sein. Eigentlich die Gelegenheit, das Rad der Zeit um 80 Jahre zurück zu drehen.

Das war einmal

Aufruf zur Anbauschlacht Schweiz

Was uns die Eltern berichteten über Ängste, Sorgen und Nöten, damals, als der zweite Weltkrieg tobte und die Schweiz auf sich alleine angewiesen war. Die Männer im Militär, die Frauen zu Hause – alleine. Ich, als Kind 1941 geboren, habe eigentlich  erst gegen Ende dieses Wahnsinns so richtig realisiert, wie unsere Eltern gefordert waren. Mit sparen und verzichten, mit teilen und verteilen. Denn die Lebensmittel waren knapp. Und es war die ständige Angst der kleinen Schweiz, von den Nazis „einverleibt“ zu werden. Diese Angst hing wie das Schwert des Damokles über dem Schweizervolk.

 

 

Notrecht der Landesregierung – Plan Wahlen 

Feldanbau auf dem Sechseläutenplatz

So war auch unsere Landesregierung mehr als nur gefordert. Mit der geschichtsträchtigen „Kartoffelanbauschlacht“ (Kartoffeln konnten ja nicht importiert werden), wurden in Blumenbeeten, auf Fussballfeldern, auf der Sechseläutenwiese und sogar direkt neben dem Bundeshaus Kartoffeln angepflanzt. Die Produktion dieses Grundnahrungsmittel wurde damit verdreifacht. Und das Fleisch? Und die anderen notwendigen Lebensmittel? Im Notrecht verordnete unsere Obrigkeit drastische Massnahmen.

Anbauschlacht im Schmiedmoos auf der Thuner Allmend; Handarbeit war gedragt, um den harten Boden in einen Acker zu verwandeln. So lautete die legende in der BZ/TT 4.9.2009; Quelle und Originallegende des Bildes unbekannt

Bereits ein Jahr vor der Einführung der Fleischrationierung, im Frühjahr 1941 wurde die Einschränkung des Fleischkonsums vor allem im Gastgewerbe, durch fleischlose Tage angestrebt. Anfänglich waren Mittwoch und Freitag fleischlose Tage; später kam noch der Montag hinzu. Für die Privaten dann im Frühjahr 1942 mit der Einführung der Fleischrationierung – Mittwoch und Freitag. In Nidwalden gab  es gemäss Regierungsratsprotokollen keine Schliessungen der Restaurants.

Interessant ist ein Hinweis zur Polizeistunde: Nach Kriegsausbruch 1939 beschloss der Regierungsrat, dass die Polizeistunde nicht vorverschoben werde, sondern weiterhin um 23.30h sei.

Durchhaltewillen

Landwirtschaft im Kreuzgarten des Basler Münsters Foto aus dem Buch Bildgeschichten Schwabe Verlag, Basel

Im April 1941 wurde in der Schweiz zusätzlich das Mahlzeitencoupon-System eingeführt. In Restaurants und Hotels war nichts mehr gegen Geld zu kriegen, nur  gegen die Abgabe von Coupons. Für jede Hauptmahlzeit mussten davon zwei bezahlt werden. Die Konsumenten konnten sich diese Coupons durch Umtausch von ganzen oder von Teilen der Lebensmittelkarten beschaffen. So fand ein lebhafter Handel mit Karten und Coupons statt. Eines weiss ich noch: Auswärts gegessen wurde bei Hubers erst ab 1947!

Einkaufen mit den Lebensmittelkarten

Lebensmitteökarte 1943

Und wie funktionierte das mit den Lebensmittelkarten? Ein Beispiel: Lebensmittelkarten zum Bezug von rationierten Nahrungsmitteln gültig vom 1. Juni bis 5. Juli 1943. Solche Karten wurden während des Zweiten Weltkriegs in der ganzen Schweiz an die Bevölkerung verteilt – auf der Rückseite fand sich der identische Text in französischer Sprache. Die einzelnen Rationierungs-Coupons waren perforiert und mussten beim Bezahlen der Waren in den Lebensmittelgeschäften abgegeben werden. So wurde verhindert, dass besser gestellte Familien die Geschäfte mit Hamsterkäufen leer räumten, während für Menschen in einfachen Verhältnissen nichts übrig blieb. Die Karte war als „Monatsration“ für eine erwachsene Person gedacht. Vorgesehen waren unter anderem 4 Eier, ein Pfund Käse, etwa 850 g Fleisch (je nach Sorte) und 100 g Schokolade.

Anbauschlacht auf dem Gebiet des Flughafens Zürich

Ein eindrückliches Bild von den Einschränkungen geben auch die Durchhalte Slogans und die guten Ratschläge, die zwischen den Coupons aufgedruckt waren: „I der Not gits kei härts Brot!“ –  „Verteilt die Einkäufe auf den ganzen Monat!“, –  „1/4-fetter Käse ist nahrhaft, billiger als Vollfettkäse und braucht weniger Coupons!“ Überdies fanden sich auch Tipps zur Eigenproduktion von Konfitüre, Erbsenmus und Quark-Käse-Mischung als günstigen Brotaufstrich.

Bei uns zu Hause

Anbauschlacht 04, die Kornernte läuft noch ganz von Hand ab

Ich erinnere mich, wie meine Mutter ein vom Rabattsparverein Luzern zur Verfügung gestelltes Haushaltbuch führte. Der Gasmann monatlich den Gasverbrauch ablas. In der Wohnung ein Öfeli stand, wo mit Holz geheizt wurde. Drauf ein „Caldor“ zum wärmen des Wassers. Und es gab nur das dunkle Brot, welches nicht jünger als 48 Stunden sein durfte (ein 2 kg. Laib kostete 72 Rappen). Wenn ich mit meiner Mutter beim „Allgemeinen Konsumverein“ oder im Quartierlädeli einkaufen ging, wurde alles in mitgebrachte Säckli abgefüllt oder in Zeitungspapier gewickelt. Plastigg Säcke und Tupperware gab es noch nicht.

Ab 1947 ging’s wieder aufwärts mit der Wirtschaft. Mein Vater machte sich selbständig und es gab fleissiger Fleisch auf dem Teller. Kutteln, Kalbskopf, Voressen. Luxusfleischstücke erst in den 50iger Jahren. Und wer dann in diesem Jahrzehnt geboren durfte sich glücklich schätzen.

Auch unsere Nachbarländer erholten sich zusehends und profitierten vom aufkommenden „Wirtschaftswunder“.

Epilog

Trutz der Not durch Schweizer Brot

Mit diesem Rückblick in die Vergangenheit möchte ich vergleichen, dass das, was wir heute erleben, wohl schlimm ist. Sehr sogar. Was jedoch von 1939 bis in die 50iger Jahre  die Menschen ausstehen mussten, war um einiges heftiger. Angst und Verzicht gehörten zur Tagesordnung. In eine gute Zeit „hineingeboren zu werden“ kann auch zum Nachteil sein. Weil alles zur Selbstverständlichkeit wird. Verzichten muss offensichtlich wieder gelernt werden. Und wir tun gut daran, uns bewusst wieder Zeit zu nehmen. Wir müssen wieder lernen, sein zu können – statt tun zu müssen!

Kleine Fotodiashow:

http://fotodiashows.wordpress.com/2021/02/06/hoffnung-auf-bessere-zeiten-hat-herbert-huber/

Text: www.herberthuber.ch

Fotos: www.-pixelio.de

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