ZKO, Silvesterkonzert 2021,«Vier Elemente» mit , Maurice Steger (Blockflöte und Leitung) Rachel Harnisch (Sopran),KKL Luzern, besucht von Léonard Wüst

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Zürcher Kammerorchester Foto Harald Hoffmann –

Besetzung und Programm:
Maurice Steger (Blockflöte und Leitung)
Rachel Harnisch (Sopran)
Zürcher Kammerorchester

Jean-Féry Rebel Le Chaos, Loure & Chaconne, aus: Les éléments – Symphonie nouvelle
Georg Friedrich Händel Suite de danse HWV 1 & 287 und Aria «Lascia la spina, cogli la rosa», aus: Il trionfo del tempo e del disinganno
Jean-Féry Rebel Ramage & Rossignols, aus: Les éléments – Symphonie nouvelle
Andrea Stefano Fiorè Aria «Usignolo che col volo», aus: Engelberta. Opera seria in 5 Akten
Jean-Féry Rebel Caprice & Tambourins, aus: Les éléments – Symphonie nouvelle
Wolfgang Amadeus Mozart Konzertarie «Ah, lo previdi» KV 272
Domenico Sarro Concerto Nr. 11 a-Moll für Blockflöte, Streicher und B.c.
Franz Lehár «Meine Lippen, sie küssen so heiss», aus: Giuditta, arrangiert von Massimiliano Matesic
Léo Delibes Les filles de Cadix, arrangiert von Massimiliano Matesic
Rodolfo Falvo Neapolitanisches Volkslied «Dicitencello vuie», arrangiert von Massimiliano Matesic

Alle Jahre wieder (außer letztes Jahr Coronabedingt nicht): Strahlender Sonnenschein, milde Temperaturen, kein Wintermantel nötig, somit nach Konzertende kein anstehen bei der Garderobe. Es scheint wirklich, als brächten die Zürcher jedes Jahr an Silvester mildes Herbst- und nicht bitterkaltes Winterwetter mit von der Limmat an die Reuß. Ich erinnere mich nicht, dass je schlechtere äußere Bedingungen waren, wenn das Zürcher Kammerorchester die Luzerner mit dem, fast schon traditionellen, musikalischen Feuerwerk zum Jahresende erfreut und beglückt.

Dazu bringen sie auch immer außergewöhnliche Gastmusiker*innen mit, wie heuer die gebürtige Walliser Sopranistin Rachel Harnisch und einen der weltbesten Blockflötisten in der Person von Maurice Steger, der zusätzlich auch noch die Leitung an diesem Abend innehat und das gelistete Programm von Gerg Friedrich Händel über den eher unbekannteren Jean-Féry Rebel bis Wolfgang Amadeus Mozart machte so richtig «gluschtig» auf den Konzertabend.

Lena Catharina Schneider Foto Harald Hoffmann

Willkommen geheissen und begrüsst wurden die erwartungsfreudigen Besucher im gut besetzten Konzertsaal von Lena Catharina Schneider, der künstlerischen Leiterin des ZKO.

Grundinformation zu Maurice Steger : Er ist ein faszinierender Musiker, der bei seinen Auftritten so viel Energie und Begeisterung für die Musik mitbringt, dass er Publikum und Mitspieler unverzüglich in seinen Bann zieht. Vermutlich deshalb werden ihm Attribute wie „Hexenmeister“, gar «Paganini der Blockflöte» nachgesagt: Gleichwohl schafft es der Schweizer wie kaum ein zweiter neben seiner exquisiten Artistik auch musikalisch zu überzeugen.

Grundinformation zu Rachel Harnisch: Die Walliser Sopranistin arbeitet, nebst anderen Projekten, regelmässig mit Dirigenten wie Antonio Pappano, Eliahu Inbal, Roberto Abbado, Fabio Luisi, Jeffrey Tate, Sir Roger Norrington, Douglas Boyd, Mario Venzago, Zubin Metha, Sir John Eliot Gardiner, Ingo Metzmacher, David Zinman oder Paavo Järvi. Eine enge und intensive Zusammenarbeit verband sie mit Claudio Abbado. Liederabende liegen ihr besonders am Herzen – neben vielen anderen Aufnahme, die von ihrer künstlerischen Vielfalt zeugen, hat sie Hindemiths Ein Marienleben mit ihrem Pianisten Jan Philip Schulze eingespielt.

J.-F. Rebel Le Chaos, Loure & Chaconne, Les éléments – Symphonie nouvelle

Der in Paris geborene Jean-Féry Rebel (1666-1747) galt als Wunderkind an der Violine; unter der Obhut von Jean-Baptiste Lully – der führenden Musikerpersönlichkeit am Hofe des Sonnenkönigs Ludwig XIV – wuchs er zu einem höchst erfolgreichen Violinisten und Komponisten heran und wurde Premier Violon der Pariser Opéra, Mitglied der Vingt-quatre Violons du Roi, Hofkomponist, Maître de musique an der Académie royale und zeitweilig Direktor des Concert spirituel. Neben diesen Karrierepunkten als ausführender Musiker galt Rebel als einer der ersten französischen Komponisten, der Sonaten nach italienischem Vorbild schrieb. Seine Kompositionen weisen gewagte Harmonien und rhythmische Komplexitäten auf, die viele Zuhörer seiner Zeit verblüfften.

Steger und seine virtuosen Mitmusiker*innen hatten eine sehr klare Vorstellung von der Interpretation barocker Musik, in der sich Authentizität und Schönheit der Klangfarbe wunderbar verbanden.

F. Händel Suite de danse «Lascia la spina, cogli la rosa»

Walliser Sopranistin Rachel Harnisch

Unter dem Titel „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ (HWV 46a) hat Händel 1707 in Rom dieses „moralische“ Oratorium  komponiert. Er benutzte dazu das Libretto des Kardinals Benedetto Pamphili. Es ist das erste Stück dieser Art, das der 22jährige, aber schon berühmte Händel vorlegte

Blockflötist und Dirigent Maurice Steger

Das erste Mal taucht die Musik – noch ohne Worte und als eine Tanzeinlage im Stil einer Sarabande – um 1705 in Händels früher Oper Almira auf. Ein sechster Sinn verriet Händel, was ihm Erfolg bringen könnte. In Italien nahm er deshalb drei Jahre später diese Musik als Arie der Figur des „Piacere – der Lebensfreude“ in sein Oratorium Il Trionfo del Tempo e del Disinganno auf. In diesem Text fleht die Lebensfreude die Schönheit an, sie möge doch die Dornen meiden und nur die Rose pflücken („Lascia la spina, cogli la rosa“), Frost und graue Hässlichkeit kämen im Leben noch früh genug. Schmerz und Alter liessen nicht auf sich warten. Unerwartet schnell, wenn das Herz sie nicht erwarte, seien sie da.

Diese Arie, die Georg Friedrich Händel, die der damals erst Anfang-20-Jährige während seiner Studienreise durch Italien von ca. 1706–1710 auf italienische Texte komponierte, bildete den perfekten Rahmen für den ersten Auftritt der Sopranistin Rachel Harnisch. »Ihre Stimme bestach mit Präzision, Linie und Beweglichkeit – in dunkler timbrierter Fassung.​ Sie wirkte dabei aber etwas angestrengt, sehr ernst. Faszinierend aber das Zusammenspiel mit dem, von Maurice Steger engagiert geführten ZKO, eben Musizierpartner mit Charakter.

Jean-Féry Rebel,  Ramage & Rossignols, Les éléments – Symphonie nouvelle

Wie Rebel die Elemente zu barocker Zeit klanglich in Szene setzte, das ist schon grandios! Ebenso grandios wurden diese vom Orchester unter der engagierten Leitung von Maurice Steger im KKL interpretiert, intoniert und dargeboten.

Wolfgang Amadeus Mozart Konzertarie «Ah, lo previdi» KV 272

Rachel Harnisch (Sopran)

Ah, lo previdi, Ah, t’invola (Ah, ich habe es vorausgesehen, und später: ah flieg weg) so der Aufschrei der Sopranistin zum Auftakt dieser Mozartarie, die dieser für die aus Prag gebürtige Sopranistin Josepha Duschek komponierte: die dramatische Klage der Andromeda, die, den Tod ihres Geliebten fürchtend, ein Wechselfieber der Gefühle zwischen Schmerz und Verzückung durchlebt. Dieses mentale Wechselbad akustisch auf die Luzerner Konzertbühne zu bringen, vollbrachte Rachel Harnisch mit der kongenialen Unterstützung ihrer Mitmusiker*innen vortrefflich. Bombensicher in hoher Tonlage, gefühlvoll, trotzdem ausdruckstark in den filigraneren Sequenzen, Rachel Harnisch Gesang besitzt edlen Klang, Weichheit und Wärme, er vermag sich auch zu dramatischer Strahlkraft zu steigern. Das Schönste daran: alles wird getragen und erfüllt von einer tief fühlenden, empfindungsreichen anima. Das ZKO unter Maurice Steger begleitet in vollkommener Klarheit, stets mitatmend und mitlebend. Ihr ausgeprägtes dramatisches Gespür konnte die Sopranistin unter Beweis stellen. Hier lässt sich sehr gut erahnen, welche Möglichkeiten die Sopranistin in einer Opernrolle auf der Bühne zu bieten hat. Stimmungsumschwünge zwischen dramatisch-verzweifelt und lyrisch-hingebungsvoll wirken außergewöhnlich glaubhaft und ergreifend.

Das Auditorium belohnte die Musiker*innen mit stürmischem, langanhaltendem Applaus und begab sich hierauf in die Wandelhallen zur Pause, dies mit Vorfreude auf den 2. Konzertteil.

Domenico Sarro Concerto Nr. 11 a-Moll für Blockflöte, Streicher und B.c..

Maurice Steger
Photo: Marco Borggreve

Wie seinerzeit der legendäre Rattenfänger mit seinem Blöckflötenspiel die Kinder in Aachen anlockte, holt der gebürtige Winterthurer Maurice Steger das Silvesterpublikum mit seinem virtuosen Spiel und wirbligem Wesen ab. Das a-Moll-Concerto für Blockflöte, Streicher und Basso-Continuo-Gruppe  ist beschwingte, wenn auch nicht allzu memorable Musik. Hier findet der Meister zu einem echten flauto dolce-Klang. Schön, der quasi arios-rezitativische Adagio-Satz und die originellen Verzierungen des Schlusssatzes. Stegers Interpretationen sind sprühend, maximal verzierungsreich. Fürs Auge wirkt seine Vortragsweise sehr gymnastisch (unablässig pendelnd im Oberkörper, unermüdlich tänzelnd in der Beinarbeit). Fürs Ohr ist sie wunderbar und alles andere als bloße Artistik: Der Klang der Alt-Blockflöte, die meistens zum Einsatz kommt, mischt sich homogener mit den Streichern, als dies bei einer modernen Querflöte je der Fall wäre. Und trotzdem ist Stegers Virtuosität in jedem Augenblick sehr präsent, ganz besonders, was sein hinreißend pointiertes Staccato-Spiel betrifft. Das derweil von Konzertmeister Willy Zimmermann diskret geführte ZKO webt ihm dafür den perfekten Klangteppich. Dieser Meinung waren auch die Zuhörer, die die Protagonisten dafür mit langanhaltendem Applaus belohnten.

Franz Lehár «Meine Lippen, sie küssen so heiss», aus: Giuditta

Eigentlich ein klassischer «Gassenhauer», sehr schön, aber etwas zu ernsthaft, statt ausgelassen intoniert von der Sopranistin. Klar ist singen eine anstrengende Arbeit, aber das sollte man halt, besonders bei Operettenmelodien, nicht unbedingt merken.

Es muss ja nicht grad so stürmisch sein wie bei Anna Netrebko, aber etwas Temperament bräucht es halt schon

https://youtu.be/tcidmfVkc10

Léo Delibes Les filles de Cadix

Rachel Harnisch Foto Rene Ruis im Opernhaus Zürich

Dieses spanisch angehauchte Werk liegt der Walliserin deutlich besser, da sie hier die Ausstrahlung, auch das Volumen ihrer Stimme voll einsetzen kann. Besonders bemerkenswert der Dialog der Solistin mit dem Pizzicato der Violinen aus dem sich die Stimme zu einem wahren Höhenflug erhebt intonierte Rachel Harnisch beeindruckend und überzeugte das Auditorium, das sie mit dementsprechendem Applaus belohnte.

Andrea S. Fiorè «Usignolo che col volo» Rachel Harnisch & Maurice Steger

Hier das Intro von Steger auf  einer kleinen Blockflöte, ich nenns mal Holzpiccolo, hingelegt, das dann von der Sopranistin weitergewoben wird, bevor sich die zwei Solostimmen vereinen, wieder auseinanderdriften, sich mal abwechseln, wieder ergänzen, immer perfekt getragen vom souveränen Orchester. Bemerkenswert die sanften, nie schreierischen Koloraturen der Sopranistin, der immer tänzelnde Flötist hätte eigentlich auch Harnisch zu etwas Gestik animieren können, ja müssen und so wirkte sie leider auch hier etwas ungelenk und statisch, etwas schauspielern gehörte halt auch zum Singen auf einer Bühne.

Wie das hier Nuria Rial im Verbund mit Maurice Steger demonstriert

https://www.youtube.com/watch?v=I3GpkHSOGt0

Rodolfo Falvo Neapolitanisches Volkslied «Dicitencello vuie»

Hier war die Walliserin zuhause, die neapolitanische Wehmut liegt ihr deutlich mehr als wienerische oder spanische Ausgelassenheit, kann sie doch hier die ganze Sentimentalität und den Herzschmerz  der Süditaliener mit ihrer Stimme perfekt rüberbringen und so doch noch einen überzeugenden Schlusspunkt, gar ein Ausrufezeichen  setzen. Der stürmische Applaus, garniert mit einigen Bravorufen bestätigten das ganz klar.

Damit bewegte sie sich auf mindestens gleicher Qualitätsstufe wie ihr israelischer Tenorkollege Yotam Cohen bei seiner Intonation dieses Klassikers

https://www.youtube.com/watch?v=HkVk4H3KZAM

In den stürmischen  Schlussapplaus mit einbezogen wurde auch der Arrangeur einiger Werke des Silvesterkonzertes, Massimiliano Matesic, der auch im Konzertsaal anwesend war und sich für eine Sonderakklamation erhob.

Da das Auditorium die Solistin und den Solisten hartnäckig immer wieder auf die Bühne zurück applaudierten, gewährten sie doch noch eine Zugabe und diskutierten kurz, welche es denn sein sollte. Schlussendlich bemerkte Steger, dass nicht immer alles wie geplant verlaufe und so wurden wir zum Abschied halt nochmals von Lehárs heissen Lippen geküsst.

Für mein Gusto ein etwas (fast) zu ernstes Programm, mit praktisch ausschliesslich Barockmusik, der ja nicht grad der Ruf ausgelassener Fröhlichkeit vorauseilt. Die damals einengende, gar einschnürende Kleidungsetikette, widerspiegelt sich halt auch in anderen damaligen Lebensbereichen, so eben auch in der Musik. Da hätte ein etwas anregend animierendes heiter stimmendes Werk, wie zum Beispiel die Fledermaus Ouvertüre als Konzertabschluss, gar ein schöner Wiener Walzer, schon noch gutgetan. Klar, das Konzertmotto lautete «Vier Elemente», aber trotz den vergangenen zwei Corona Horrorjahren, sollte das fünfte Element «Ausgelassene, heitere Lebensfreude» doch noch etwas Platz beanspruchen dürfen. Diese Anmerkung schmälert keineswegs die grossartigen Leistungen der Ausführenden, aber etwas mehr Zuversicht häts halt doch verbreitet im Ausblick auf das wenige Stunden später anbrechende, mit auch nicht grad Optimismus versprühenden Aussichten beginnende neue Jahr 2022. Ein schönes Konzerterlebnis wars allemal und wir freuen uns schon jetzt auf das Silvesterkonzert 2022 mit dem ZKO mit wieder kompetenten, das Ohr erfreuenden Gastmusikern, einem etwas optimistischeren Programm und hoffen natürlich, dass sie uns auch dann das milde Zürcher Silvesterwetter vom Zürisee an den Vierwaldstättersee wieder mitbringen.

Link auf:

Silvester-Rennen mit dem Zürcher Kammerorchester im KKL Luzern von Max Thürig

innerschweizonline.ch/wordpress/silvester-rennen-mit-dem-zuercher-kammerorchester-im-kkl-luzern-von-max-thuerig/

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos:  www.zko.ch

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Dieser Beitrag wurde am von unter leitartikel und kolumnen von léonard wüst, musik/theater/ausstellungen, schweizweit veröffentlicht.

Über Leonard Wüst

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