Clara Corinna Scheurle, Sängerin bei Die Hochzeit des Figaro, erzählt, wie sie sich in die Welt einer alten Dame hineinversetzt.
Ein Interview der Bertelsmann Stiftung im Rahmen des Wettbewerbs NEUE STIMMEN, Kooperationspartnerin des Festspiel-Opernstudios.
Frau Scheurle, wie sind Sie zum Singen gekommen?
Ich stamme aus einer musikalischen Familie. Meine Mutter ist Pianistin, meine Schwester Cellistin. Auch mein Vater, der beruflich kein Musiker ist, spielt sehr gut Klavier und hegt eine große Liebe zur klassischen Musik. Daher war Musik für mich immer allgegenwärtig. Auch gesungen habe ich von Kindesbeinen auf gerne.
Im Juli haben Sie Ihre Ausbildung an der Bayerischen Theaterakademie August Everding abgeschlossen. Sie nehmen regelmäßig an Meisterkursen und Wettbewerben teil. Das ist alles harte Arbeit. Was hat Sie bewegt, diesen Weg einzuschlagen?
Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als Sängerin zu sein. Ja, es ist harte Arbeit und benötigt Disziplin, aber es macht auch unglaublich Spaß und bereitet einem unbezahlbare Höhenflüge. Ich sehe es als Privileg, einen Beruf zu haben, der mich voll und ganz erfüllt. Auf der Bühne zu stehen, zu singen und verschiedenste Charaktere darzustellen und in den riesigen Kosmos der Musik und des Repertoires einzutauchen – das alles macht mir unheimlich Spaß.
Wie bewerten Sie im Rückblick Ihre Ausbildung?
Die letzten zwei Jahre meiner Ausbildung an der Theaterakademie August Everding und bei meiner Lehrerin Christiane Iven waren wohl die wichtigsten in meiner Entwicklung. Die Theaterakademie bietet eine unglaublich intensive Ausbildung an, welche einen sehr herausfordert und fördert. Es gibt viele Möglichkeiten, Bühnenerfahrung mit tollen Orchestern, Regisseuren und Dirigenten zu sammeln. In Kombination mit einem passenden Gesangslehrer ist diese Ausbildung eine tolle Erfahrung und eine sehr gute Vorbereitung auf das Berufsleben.
Inwieweit waren der Wettbewerb NEUE STIMMEN und die nachfolgende Begleitung und Betreuung für Sie prägend?
Vor zwei Jahren dort im Halbfinale zu singen, war für mich sehr überraschend und herausfordernd. Ich habe dabei viel gelernt. Dass die Bertelsmann Stiftung so den Kontakt zu mir hielt und hält, mich nach Washington und zur Masterclass von NEUE STIMMEN einlud und mir auch nun ein Stipendium für das Opernstudio der Staatsoper Unter den Linden ermöglicht, ist für mich ein riesiges Privileg. Ich bin der Stiftung für die bereits zweijährige Unterstützung sehr dankbar. Es steckt viel Engagement, Leidenschaft und Motivation im Stiftungsteam.
Als Studentin haben Sie in den verschiedensten Aufführungen mitgewirkt – wo sehen Sie die Zukunft der Oper?
Ich bin da sehr positiv. Es gibt wahnsinnig viel Interesse an jungen Künstlern und das Bedürfnis nach dem ultimativen Live-Erlebnis ist hoch. Ein solches musikalische Live-Erlebnis bekommt man nur in der Oper, bzw. in der klassischen Musik, wo alles auf menschlichem Können und nichts auf Technik basiert. Das macht die klassische Musik spannend – wo heutzutage ja fast alles von Technik gesteuert wird.
In diesem Beruf bekommt man aber nichts geschenkt. Die Sänger arbeiten sehr hart zu oft relativ schlechter Bezahlung – viele Theater schließen, weil es wenig Geld gibt und das Augenmerk von den Bildungsbereichen Musik und Kunst abgewichen ist. Da hinken wir beispielsweise dem Fußball leider etwas hinterher.
Wie gefällt es Ihnen bei den Bregenzer Festspielen?
Hier zu singen ist ein Traum, der für mich gerade in Erfüllung geht. Da ich hier in der Gegend aufgewachsen bin, habe ich die Festspiele stets mitverfolgt. Dort eine solistische Rolle zu bekommen – das hätte ich mir vor einigen Jahren noch nicht erträumt. Das Opernfestival ist wahnsinnig gut organisiert, bietet viele verschiedene Veranstaltungen und der Standort ist perfekt. Es ist mir eine große Freude und Ehre, hier arbeiten zu dürfen.
Sie singen in Die Hochzeit des Figaro die Marcellina – wie die meisten Figuren bei Mozart eher ambivalent, und außerdem eine ältere Dame. Sehen Sie ein Identifikationspotential der Rolle?
Die Rolle der Marcellina ist womöglich nicht die typischste für eine junge Mezzosopranistin wie mich. Dennoch findet man, wie ich finde, in jedem Charakter etwas, mit dem man sich identifizieren kann. Marcellina ist die Frau im Bunde mit der größten Lebenserfahrung, muss sich aber auch in der Gesellschaft auf dem Schloss einordnen. Außerdem macht sie eine große Entwicklung in der Oper durch und zeigt viele Facetten: Von der manipulativen, eifersüchtigen Konkurrentin zur liebenden Mutter. Ich finde solche Entwicklungen bei Rollen interessant.
René Jacobs hat über Mozart gesagt: „Mozart ist als Mensch und als Opernkomponist einer, der dauernd gerne lacht und nachdenkt“. Was spielt für Sie als Nachwuchssängerin in Ihrem Berufsleben die größere Rolle – der Humor oder die Tiefgründigkeit?
Humor und Tiefgründigkeit schließen sich nicht aus, beides ist für den Beruf gleich wichtig. Diese beiden Dinge ergänzen sich sogar. Seinen Humor sollte man nie verlieren, das hilft auf der Bühne, aber auch im Leben, um positiv zu bleiben und weiterzumachen. Die Tiefgründigkeit ist der Kern der Musik und Aussage. Natürlich gibt es einige Auftragskompositionen, aber meistens ist es doch ein innerer Drang, ein Schicksalsschlag, oder andere tiefe Gefühle, die einen Komponisten dazu bewegen, Musik zu erschaffen. Als Sänger findet man eben diese Tiefgründigkeit in der Musik und in der Rolle wieder.
Was sind Ihre nächsten Pläne?
Soeben habe ich mein Master-Abschlusskonzert im Prinzregententheater absolviert. Nach den Festspielen werde ich mein Engagement im Opernstudio der Staatsoper Unter den Linden Berlin antreten. Was danach passiert, steht in den Sternen. Ich bleibe zuversichtlich und freue mich auf alles, was kommt.[content_block id=45503 slug=unterstuetzen-sie-dieses-unabhaengige-onlineportal-mit-einem-ihnen-angesemmen-erscheinenden-beitrag]