Boston Ballet – eine Erfolgsgeschichte, eine Kolumne von Anna Rybinski

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Boston Opera House Foto Liza Voll

Anlässlich eines längeren Aufenthaltes in den Staaten hatte ich Gelegenheit, dieses berühmte Tanzensemble zu erleben. Ich fand jedoch nicht nur  die Leistungen, sondern auch die Hintergrundgeschichte so aufregend, dass ich zuerst die  Entstehung dieser Kompanie und ihren Weg zum Weltruhm  erzählen möchte.

Wie es anfing

Künstlerischer Direktor Mikko Nissinen

Gegründet von E. Virginia Williams 1963, war das Ensemble die erste professionelle Ballettgruppe in New England. Williams, eine willensstarke Frau,  widmete ihr ganzes Leben dem Tanz und gab schon mit 16 Jahren Ballettstunden. Viel Überzeugungsraft und Ausdauer seitens dieser leidenschaftlichen Tanzpädagogin waren nötig, um die musikalisch anspruchsvolle Bostoner Gesellschaft dazu zu bewegen, auch das Ballet zu unterstützen. Zur Erinnerung: In den Staaten gibt es für Kultur so gut wie keine Subventionen  aus öffentlichen Geldern, alles läuft über Sponsoring. Oder eben nicht! Der Erfolg kam für Ms. Williams jedoch schnell: schon in den 1970-er Jahren konnte sie grossartige Künstler wie Margot Fonteyn, Natalia Makarova und Rudolf Nureyev zu Gastauftritten einladen und mit den berühmtesten Choreografen der Welt zusammenarbeiten. Besonders Georg Balanchine (1904-1983, ursprünglich Georgi Melitonovich Balanchivadze nach seinem georgischen Vater), war eine wichtige Bereicherung für das Ensemble, da er das russische Repertoire auf höchstem Niveau und aus erster Hand vermitteln konnte. Die andere Lichtgestalt des Tanzes im 20. Jahrhundert, Rudolf Nureyev, (1938-1993) hatte fast 10 Jahre eine enge Verbindung zu  Boston Ballet  (BB, wie es hier genannt wird), sowohl als Solotänzer, als auch als Choreograf.

Die erste Welttournee  fand 1980 statt, unter anderem mit ausverkauften Vorstellungen in China, das sie als erste amerikanische  Tanzkompanie besuchten. 1980 unternahmen sie eine Nordamerika-Tournee  von fünf Wochen und eine vierwöchige Tournee durch Frankreich und Italien mit überwältigender Resonanz, beide mit Rudolf Nureyev.

Die Gegenwart

Music Direktor Mischa Santora

Mit dem Künstlerischen Direktor Mikko Nissinen hält der Erfolg seit 2001 an. Der gebürtige Finne, der eine glänzende Solokarriere hinter sich hat, pflegt weiterhin das zeitlose klassische Ballett der grossen Choreografen wie “Dornröschen“ von Marius Petipa, Sir Frederick Ashtons “Cinderella”, George Balanchines “Sommernachtstraum” und “Don Quixote” von Rudolf Nureyev. Aber der umsichtige Direktor  hat auch dem modernen Tanztheater eine wichtige Rolle im Repertoire eingeräumt: Führende Persönlichkeiten wie William Forsythe, Jirí Kilián und der eigene Haus-Choreograf Jorma Elo bringen mit grossem Erfolg Neues und Revolutionäres in den Spielplan. Manchmal buchstäblich – wie die letzte hochgelobte Premiere “REVOLUTION” im Februar 2020. Darüber später mehr.

 

1965 Georg Balanchine Probefoto

Die 69 Tänzerinnen und Tänzer aus 11 Nationen repräsentieren höchstes internationales Niveau; entsprechend hoch sind die Hürden ins Ensemble aufgenommen zu werden. Daneben wird auch der Nachwuchs sorgfältig trainiert und auf dem Weg nach oben begleitet: Boston Ballet II ist eine Gruppe ausgewählter Jungtalente, die in den Produktionen ständig mitwirken und für spätere grosse Aufgaben minutiös vorbereitet werden. Ausserdem gibt es die Boston Ballet School, für die Liebhaber des Tanzes vom Kleinkind- bis zum Erwachsenenalter, mit einem Netz von Filialen in der Region mit ca. 5000 Schülern! Sicherlich die erfolgreichste Balletschule Amerikas – und das Gütezeichen Boston Ballet ist ein Garant für den hohen Standard.

Wo sie tanzen

Rudolf Nurejev mit Boston Ballet

Da kommt man leicht ins Schwärmen: Das Zuhause des Boston Ballets ist ein prächtiges Vaudeville Theater aus dem Jahr 1928. Damals erlebte diese Art von Unterhaltungshäusern ihre Blütezeit. Der wichtigste Impressario auf diesem Gebiet war Benjamin Franklin Keith, der in den Staaten ca. 500 Theater betrieb! Aber das schönste war dasjenige in Boston, welches erst nach seinem Tod für 8 Millionen Dollar gebaut wurde: das “Keith Memorial Auditorium”. Das Gebäude, im italienisch-französischen Stil errichtet und mit  überbordendem Luxus ausgestattet, war damals eine Sensation – deswegen gestalteten sich aber  die spätere Nutzung und die dazu notwendige Renovierung   äusserst schwierig. Eine Zeit lang diente es als Zuhause der Opera Company of Boston; die horrenden Kosten des Unterhalts überstiegen jedoch bald die finanziellen Möglichkeiten der Gesellschaft, sie machte 1991 Schluss. Der Verfall des Gebäudes war alarmierend fortgeschritten, als endlich 2002 die komplizierte Restauration begann. Die aktuellen Anforderungen des Brandschutzes, modernste Bühnentechnik u. ä. waren im alten Haus nicht einfach zu realisieren. Aber wie Fachleute und Material finden für längst vergessene Handwerker-Künste? Es mussten passende Seidentapeten hergestellt, Goldverzierungen erneuert, Eichen- und Nussholztäfelungen in historischem Stil produziert werden. Auch die Statuen aus Carraramarmor und die antiken Kristalllüster benötigten eine fachkundige Restaurierung. Die Probleme waren immens und die Unkosten dementsprechend hoch.

Aber seit 2004 erstrahlt das alte Juwel in neuem Glanz. Das “Citizen Bank Opera House” mit ca. 2600 Sitzplätzen, in dem keine Opern  mehr gespielt werden, beherbergt heute das Boston Ballet, das Aushängeschild der Tanzkultur in New England. Daneben wird es auch für Broadway-Produktionen vermietet, die mit ihren erfolgreichen Ensembles durch die Staaten touren.

Was sie bieten

1990 Schwanensee Foto Phillips

In jeder Saison gibt es eine wohlüberlegte Kombination von aus Modernem Tanz, teils mit Auftragswerken zeitgenössischer Komponisten, und klassischem Ballett, teils mit historischer Choreografie. Last but not least: Einen Monat lang “Nussknacker” im Dezember! Das ist Kult: Ohne dieses 41-fach ausverkaufte Grossereignis könnte Boston die Weihnachten gar nicht gebührend zelebrieren.

In Mai 2020 kommt es noch zum grossen Showdown: “Schwanensee”, der Evergreen der Ballettgeschichte, wird vom Künstlerischen Direktor Mikko Nissinen choreografiert. Das Boston Ballet  Orchester, mit seinem charismatischen, schweizer-ungarischen Musikdirektor  Mischa Santora   an der Spitze, trägt wesentlich zum grossen Erfolg bei.

Die Saison 2020-21 bringt solche Trouvaillen wie ein Abendprogramm mit Musik von Igor Stravinsky und der Choreografie von William Forsythe, und den “Sommernachtstraum” mit  Felix Mendelssohns Musik. Unter dem Titel “Titans” wird ein Ballettabend mit drei legendären Choreografen geboten: William Forsythe, George Balanchine und Alexej Ratmansky. Marius Petipas berühmter Klassiker “Dornröschen” kommt im Frühling 2021 – vorher jedoch die ewig-geliebte Weihnachtsgeschichte ”Nussknacker” vom Künstlerischen Direktor Mikko Nissinen im Dezember 2020!

Mr. Nissinen sagte einmal: “E. Virginia Williams wagte es zu träumen. Ohne sie gäbe es heute kein Boston Ballet. Ich bin stolz, ihr Nachfolger zu sein.”

Der Traum von E. Virginia Williams ist in Erfüllung gegangen. Die Stadt hat ein Tanztheater ersten Ranges mit internationaler Ausstrahlung, das die Besten des Faches anzieht. Der Spielort ist ein historisches Prachtgebäude, das Stammpublikum treu und begeistert. Ist es vielleicht sogar mehr, als sie zu träumen wagte?

Text: www.annarybinski.ch

Fotos: https://www.bostonballet.org/home.aspx

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Dieser Beitrag wurde am von unter kolumnen meiner gastkolumnisten, kultur allgemein, musik/theater/ausstellungen, weltweit veröffentlicht.

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