Musikalische Leitung Enrique Mazzola
Inszenierung Philipp Stölzl
Bühne Philipp Stölzl, Heike Vollmer
Kostüme Kathi Maurer
Licht Georg Veit, Philipp Stölzl
Stunt- und Bewegungsregie Wendy Hesketh-Ogilvie
Mitarbeit Regie Philipp M. Krenn
Chorleitung Lukáš Vasilek | Benjamin Lack
Dramaturgie Olaf A. Schmitt
Der Herzog von Mantua Stephen Costello
Rigoletto Vladimir Stoyanov
Gilda Mélissa Petit
Sparafucile Miklós Sebestyén
Maddalena | Giovanna Katrin Wundsam
Der Graf von Monterone Kostas Smoriginas
Marullo Wolfgang Stefan Schwaiger
Borsa Paul Schweinester
Der Graf von Ceprano Jorge Eleazar
Die Gräfin Léonie Renaud
Page Hyunduk Kim
Kinder, Stuntmen, Statisten
Wiener Symphoniker
Bregenzer Festspielchor
Prager Philharmonischer Chor
Wired Aerial Theatre
Bühnenmusik in Kooperation mit dem Vorarlberger Landeskonservatorium
Rezension:
Allgemeines zur Inszenierung in Bregenz
Bei jeder Produktion denkst du, spektakulärer kann das Bühnenbild nun wirklich nicht mehr werden, doch zwei Jahre später, belehren uns die Bregenzer wieder einmal mehr eines Besseren.
Augen wie Garagentore, Hände von 11,5 Metern Länge und ein Gesamtgewicht von 175 Tonnen. Aus dem Bodensee lächelt zur Zeit der wohl imposanteste Narr der Welt. Es ist auch der traurigste. Der verkrüppelte Hofnarr Rigoletto verliert in Giuseppe Verdis gleichnamiger Oper seine einzige Tochter Gilda. Und das gleich zweimal. Zunächst, als sie vom triebhaften Grafen von Mantua verführt wird und ein zweites Mal, als sie für den, trotz seinem ausschweifenden Lebenswandel geliebten Grafen, ihr Leben opfert.
Düstere Dramatik mit wunderschöner Musik heisst also die Devise der diesjährigen Bregenzer Festspiele, wo Verdis bekannte Oper zum allerersten Mal überhaupt zur Aufführung kommt. Intendantin Elisabeth Sobotka hatte in der Chronik gestöbert und Werke herausgepickt, die eben noch nie in Bregenz aufgeführt wurden. Das Resultat ist also der Rigoletto heuer und nächstes Jahr, gefolgt von Puccinis „Madame Butterfly“ die folgenden zwei Jahre.
Stölzl hat den „Rigoletto“ gesamthaft ins Zirkus-Milieu übertragen, hat aus dem Herzog einen selbstherrlichen, machistisch agierenden Zirkusdirektor gemacht und aus dem Hofnarren Rigoletto einen gar nicht lustigen Clown mit einer dunklen Kehrseite. Aus den Höflingen wurden Akrobaten und traditionell gekleidetes Zirkuspersonal, des Herzogs Häscher sind böse, gewalttätige Menschenaffen, die flink alle Hindernisse überwinden und auch Gilda entführen. Diese, in blauem Kleidchen und mit roten Schuhen, kindlich auf einer Schaukel spielend, ist klar ein Zitat aus dem „Zauberer von Oz“ – eine Kopie der Figur Dorothy Gale.
Ein Bühnenbild der Superlative
Ein gigantisches Haupt (13 Meter hoch, neun breit) als zentrales Bühnenelement und auf den beiden Seiten je eine riesige Hand, sind die Merkmale des diesjährigen Bühnenbildes. Dieser überproportionierte Hofnarr dient als Alter Ego der Titelfigur Rigoletto, des buckligen Hofnarrs des Herzogs von Mantua. Erdacht und Erschaffen von Philipp Stölzl (Regie und Bühne), den Bregenzer Bühnentechnikern und 46 beteiligten Technikfirmen ist die Figur des Protagonisten gigantisch und somit auch begeh- und bespielbar. Dass Kopf und Hände zudem beweglich sind und der überdimensionierte Ballon in Rigolettos Hand schwebt, weil er tatsächlich mit Helium gefüllt ist, sind kleine und grosse Bühnen-Interna, die sich aber im Lauf der Vorstellung enträtseln.
Computergesteuerte, hydraulische Mechanik
Praktisch alles am Kopf ist, Computer gesteuert über mechanische, extra konstruierte, metallene Teile steuerbar, sodass der Riese den Mund öffnen, die Stirn runzeln, die Augen rollen kann und vieles mehr. Ein Clownsgesicht an einem monströsen Krangestänge, das sich als ungemein beweglich und ausdruckstark erweist. Wenn es sich hebt und senkt faucht die Hydraulik, wie die Fahrgeschäfte auf einem echten Jahrmarkt. Ebenso beweglich die beiden Riesenhände. Erstmals bei einem Spiel auf dem See und passend zum Thema Zirkusfest, boten Akrobaten und Sänger auf dem Vorplatz ihre Kunst dar und ziehen quasi gemeinsam mit dem Publikum in den Festspielbereich, sich quer durch die Zuschauertribüne spielend ein, bevor sie die Bühne entern.
Animateur zuoberst auf dem Riesenkopf
Kaum dort angekommen, öffnet sich eine Klappe auf dem höchsten Punkt des Riesenkopfes und heraus tritt „Marullo“ in einem schwarz – weiss gekachelten Clown Kostüm und begrüsst das Publikum mit stark italienischem Akzent mittels launigen Worten und stimmt es auf die nun unverzüglich beginnende Vorstellung ein, nicht vergessend zu erwähnen, dass es empfehlenswert sei, Taschentücher bereit zu halten. Sogleich stimmen die nur über Monitore sichtbaren Wiener Symphoniker die Ouvertüre an und das Spiel beginnt.
Mélissa Petit als Gilda „Prima inter pares“
Mélissa Petit als Gilda, die Entdeckung dieser Inszenierung, brilliert u.a. besonders mit der Intonation von „Caro nome“ mit perfekten Koloraturen auch in den allerhöchsten Lagen. Wenn man sie hört und sieht, wird schnell klar: Ihr wurde manches in die Wiege gelegt, wofür andere hart arbeiten müssen. Sie hat eine kräftige, sehr klare und äusserst präsente Sopranstimme, die mühelos und ohne hörbare Übergänge durch alle Register klettern kann, über viele Klangfarben verfügt und auch mit virtuosen Auszierungen keine Probleme kennt. Besonders eindrücklich die „Arie der Gilda“, in der Gondel des Ballons in luftiger Höhe gesungen. Dieser Sopran hat viele Facetten, auch unendlich zarte, und ist mit großem dramatischem Potenzial ausgestattet.
Das Quartett „Bella figlia dell`amore“ ein weiteres Highlight
Ob allein mit Arien, im Duett, Terzett, Quartett oder mit Chorunterstützung. Ein musikalischer Genuss folgt auf den andern. Ob im Riesenmaul des Rigoletto, auf seinen Händen, auf seinem Scheitel oder profan auf der Bühne gesungen, die Protagonisten überzeugten sprichwörtlich auf allen Ebenen. Die starken Männerstimmen bestanden problemlos gegenüber der Sopranistin und der Genuss steigerte sich noch, wenn im Verbund gesungen wurde, besonders „Bella figlia dell`amore“ ragte heraus.
Demontage der beiden Rigoletto
Während der reale Rigoletto psychisch demontiert wird, passiert dem Kopf seines grossen Alter Ego, der übergrossen Bühnenfigur, dasselbe physisch, nachdem seine beiden Augäpfel in der vorherigen Szene schon von den Artisten über die Bühne gerollt und gekickt wurden, behändigt man sich jetzt auch noch seiner Nase und der geöffnete Mund, in dem Gilda und der Herzog grad ein Duett singen, strotzt nur so von Zahnlücken. Dem Kopf fallen allmählich die Augen und die Zähne aus, er verliert seine Clown Nase und wird am Ende, im furchterregenden Gewitter der letzten Szene, zum gespenstischen Totenkopf, aus dem immense Massen Wasserfontänen auslaufen und die Darsteller fast ertränken.
Der Herzog wird zum balzenden Pfauen aufgeplustert
Als die Zirkusaffen, während einer seiner Arien, des Herzogs Umhang an seinem Rücken auffalten, sieht dieser wahrhaftig aus wie ein balzendes Pfauenmännchen. Natürlich fallen auch dieses Jahr wieder diverse Akteure ins den Bodensee, ich bräuchte das eigentlich nicht, aber für einfachere Gemüter ist das halt immer ein Höhepunkt des Spektakels. Der Hofnarr wandelt sich im Verlaufe des Dramas vom höfischen Spassmacher zum Zyniker, wird böse, unnahbar, dann gar rachsüchtig böse. Diese Wandlung, eher eine Demontage, vollzieht sich nicht nur bei der Bühnenfigur, sondern ebenso bei seinem „Alter Ego“, dem mechanischen Riesen Rigoletto. Rigolettos Versuch, nachdem seine Tochter vom unverfrorenen Frauenhelden, der sich ihr als mittelloser Student näherte, entehrt worden war, Gilda von der Schlechtigkeit ihres Geliebten zu überzeugen: „Son questi i suoi costumi“, indem er ihr das lasterhafte Leben desselbigen bildlich vor Augen führt, fruchtet wenig bis nichts.
Rigoletto bedient sich eines Profikillers
Der professionelle Mörder Sparafucile – sein Kostüm mit aufgemaltem Gerippe macht ihn zur Personifizierung des Todes – gibt am Bühnenrand seine Künste als Messerwerfer mit seiner Schwester Maddalena als Partnerin zum Besten. Und wenn der Herzog sein zynisches „La donna è mobile“ schmettert, lässt der Regisseur vier junge Damen an Seilen auf die Bühne herabbaumeln, die so wahrhaft „mobile“ werden – und deren Kostüme aus zahllosen, prallen Brüsten bestehen. Rigoletto findet den aufgehängten Leichensack, in dem aber nicht, wie vorgesehen, der Leichnam des lasterhaften Herzogs steckt, sondern Gilda, die, als Mann verkleidet flüchten wollte und im Trubel des Gewitters, bei diffusen Lichtverhältnissen, Opfer einer fatalen Verwechslung wurde.
Versöhnliche Schluss – Szene
Dass am Schluss Gilda mit dem Ballon in den Nachthimmel entschwindet, versöhnt etwas mit dem traurigen Ausgang der Geschichte, bei der durch die Rachegelüste eine besorgten und hintergangenen Vaters, dessen eigene Tochter zu Tode kommt. Natürlich lässt sich darüber streiten, ob ein eigentliches, dazu noch recht düsteres Kammerspiel wie „Rigoletto“ so spektakulär inszeniert werden soll oder darf. Indem Stölzl das Ganze als Zirkus „verpackt“, lässt er Puristen auflaufen und kann Stunts und Gags einbauen so viel er mag, wenn er es auch ab und zu schon sehr ausreizt. Was solls, das gehört auf der Seebühne einfach dazu und wird vom Publikum auch erwartet.
Trotzdem steht Verdis unvergleichliche Musik im Mittelpunkt, die von einem souveränen Orchester und grossartigen Sänger – Darsteller*innen auf die Bühne gebracht werden. Auch das Lichtdesign trägt sehr viel bei, lässt den Riesenrigoletto mal dunkelrot recht bedrohlich, dann wieder grün-gelb amüsiert erscheinen. Dazu sind die Darsteller in teils opulente, passende Kostüme gekleidet, was das Gesamtkunstwerk „Rigoletto auf dem See“ zum grossartigen Erlebnis macht. Das Publikum würdigte die Leistungen denn auch mit viel Szenenapplaus und einem langanhaltenden, stürmischen Schlussapplaus.
Kurzer Trailer des Schlussapplauses:
Kleine Fotodiashow der Produktion von Anja Köhler und Karl Forster:
Text: www.leonardwuest.ch Fotos: bregenzerfestspiele.com/de