Camerata Salzburg – Richard Galliano Alexander Sitkovetsky, Violine und Leitung, KKL Luzern, 26.April 2022, besucht von Léonard Wüst

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Richard Galliano mit der Camerata Salzburg im KKL Foto Christa Bühler

Besetzung und Programm:
Camerata Salzburg
Richard Galliano – Weltstar des Akkordeons
Alexander Sitkovetsky – Violine & Leitung
Peter Tschaikowski: Streichsextett D-Moll op. 70 „Souvenir de Florence“

Anton Bruckner: Adagio aus dem Streichquintett F-Dur WAB 112

Astor Piazzolla: Oblivion

Richard Galliano: „Opale“ Konzert für Akkordeon und Streichorchester

Peter Tschaikowski : Streichsextett D-Moll op. 70 „Souvenir de Florence“

lexander Sitkovetsky Violine und Leitung

Energiegeladen, glutvoll, gleichsam mit der Tür ins Haus beginnt zwar der Kopfsatz – einem bestimmten Nationalstil lässt sich dieses Allegro con spirito aber nicht zuordnen. Etwas anderes scheint wichtiger: wie Tschaikowski aus dem massiven, orchestralen Beginn, in dem sich alles der Melodie der 1. Geige unterordnet, nach und nach Kontraststimmen herauslöst. Das sehnsüchtige Seitenthema entwickelt sich rasch zum Duett (1. Geige und Cello), wird dann immer mehr aufgebrochen, bis alle Instrumente gleichberechtigt sind. Und das ist der Startschuss zu einer Durchführung, in der Tschaikowski die vorgestellten Motive nach allen Regeln der Kunst miteinander kombiniert. Derr gebürtige Moskauer Konzertmeister Alexander Sitkovetsky leitete das gutaufgelegte Salzburger Orchester sitzend diskret, stilsicher mittels Mimik und Kopfbewegungen.

Zweiter Satz mit langem Atem

CAMERATA SALZBURG

Ganz anders kommt der 2. Satz daher: eine Art Ständchen mit „Gitarren“-Begleitung und langem Atem, das man sich in der Tat als Gesangsszene in mediterraner Umgebung vorstellen kann. Wie ein Spuk huscht der Mittelteil mit flirrenden Tremolo Gesten vorbei, dann herrscht wieder pure melodische Schönheit. Die beiden Schlusssätze hingegen werden von slawischen Tonfällen beherrscht. Im elegischen Scherzo verdichtet sich die Rhythmik immer mehr, ein Prozess, der sich sogar über den fröhlichen Dur-Mittelteil hinweg fortsetzt. Und im Finale bricht Tschaikowski die orchestrale Vollstimmigkeit durch zwei Fugato-Episoden auf. Das ist nun auf keinen Fall mehr italienisch zu nennen, sondern eher eine Verbeugung vor dem Widmungsträger des Werks; der St. Petersburger Gesellschaft für Kammermusik, unter deren Vereinsmitgliedern gab es nämlich viele Deutsche.

Die vielen Pizzicato lockern auf

Der Komponist hat ungewöhnlich viele Pizzicato, die mal von den Violinen, dann Celli, schlussendlich von den Bratschen intoniert werden in die Partitur geschrieben, was das Werk merklich aufheitert und das «düstere» vertreibt.

Tschaikowskis Unzufriedenheit

Alexander Sitkovetsky Leitung und Violine

Dass gerade diese satztechnischen Feinheiten Tschaikowski Kopfzerbrechen bereiteten, kommt in mehreren Briefstellen zum Ausdruck. „Ich schreibe mit unglaublicher Anstrengung“, klagte er seinem Bruder; „mich belastet nicht der Mangel an Einfällen, sondern die Neuheit der Form.“ Weil er mit der ersten Fassung des Werks nicht zufrieden war, überarbeitete er es im Winter 1891/92 noch einmal und gab es erst dann in Druck.

Das Auditorium genoss die souveräne Darbietung der Musiker und honorierte diese mit einem langanhaltenden Applaus, bevor man sich in die Foyers in die Pause begab.

ANTON BRUCKNER – ADAGIO AUS DEM STREICHQUINTETT F-DUR WAB 112

Dieses viersätzige Werk verbindet klassische Satzformen mit einer avancierten, an Wagner geschulten harmonischen Sprache. Auch die Bruckner-typischen Verläufe mit ihren blockhaft gegeneinander gesetzten Passagen finden sich hier, so dass das Quintett tatsächlich wie eine ins kammermusikalische Format übertragene Sinfonie wirkt.

Bruckner bearbeitete das Quintett mehrmals

Mehrfach wurde das Werk bearbeitet: für Streichorchester, gemischte Besetzung und sogar für romantisches Sinfonieorchester. Der langsame Satz, ein Adagio in der seltenen Tonart Ges-Dur, liegt in weiteren Arrangements vor; mit seinen 15 Minuten Spielzeit hat er die Länge eines veritablen Sinfoniesatzes. Geprägt ist er im Wesentlichen von zwei Hauptthemen, die sich in Ausdruck, melodischer und rhythmischer Gestaltung ähneln; das zweite Thema könnte man als Spiegelung des ersten bezeichnen. Kontrastierend sind dagegen die jeweiligen Begleitungen angelegt: selbständige Gegenstimmen im ersten Fall, statische Akkorde im zweiten.

Im Mittelteil des Satzes, der Durchführung, vermischen sich diese Begleitmuster, können Akkorde und Gegenstimmen auch gleichzeitig auftreten. Die Folge davon: eine ständige Belebung, Ausweitung des Klangraums und des harmonischen Spektrums, bis sich die angestaute Energie in vier Takten maximaler Lautstärke entlädt. Auch in der Reprise kommt es noch zu solchen kurzen Eruptionen, doch beruhigt sich das Geschehen zusehends, um am Ende sanft zu verklingen.

Bruckners Tiefgläubigkeit durchdringt die Komposition

Natürlich ist auch dieses Quintett wie die großen Sinfonien des Meisters von der Naturmystik und der katholischen Religiosität Bruckners durchdrungen. Bedürfte es darüber hinaus eines Belegs für Bezüge zum Osterereignis und zu dem Thema unseres Konzerts, so wären auf die thematischen Verwandtschaften zwischen dem Adagio des Quintetts und dem der Siebten Sinfonie (Bruckners Trauermusik auf Richard Wagner) und auf die hymnischen Züge in den Coda Teilen des ersten und letzten Satzes hinzuweisen. Das Orchester wurde für diese Intonation mit stürmischem Applaus belohnt.

Dann kommt er, der «Aufhänger» dieses Konzertes, aber,  bevor Galliano die Bühne betritt, werden die Stühle der Musikerinnen und Musiker zusammengerückt. Diese lockere Orchesteraufstellung beflügelt den Akkordeonisten, der locker stehend zu Piazollas «Oblivion» anhebt – einem Klassiker des Revolutionärs des Tangos, Astor Piazzolla.

ASTOR PIAZZOLLA: OBLIVION

Richard Galliano

Der Argentinier Astor Piazzolla ging in die Musikgeschichte als derjenige Komponist ein, der dem Tango zu neuer Blüte verhalf. In den USA, wo er aufwuchs, lernte er den Jazz kennen, in Europa studierte er klassische Musik bei Nadia Boulanger; beide Einflüsse mischte er mit dem altehrwürdigen, aber auch etwas eingestaubten Nationaltanz seiner Heimat, dem er so eine regelrechte Frischzellenkur verpasste. Diese stilistische Offenheit, der Einbezug von komplizierteren Rhythmen, dissonanter Harmonik und sogar Kontrapunktik, passte den Traditionalisten zwar nicht, bescherte Piazzollas Musik aber einen weltweiten Siegeszug.

„Oblivion“, komponiert 1982 für den Film „Heinrich IV.“ des italienischen Regisseurs Marco Bellocchio, ist ein berühmtes Beispiel für die künstlerische Überformung des traditionellen Modells durch Piazzolla. Der zugrunde liegende Tango-Rhythmus, hier stark verlangsamt, tritt in den Hintergrund und überlässt der sehnsüchtigen Melodie Raum zur Entfaltung. Im Original ist es das Bandoneon, also das Knopfakkordeon, das mit seinem dünnen, etwas angerauten Ton wehmütigen Erinnerungen nachhängt („oblivion“ heisst „das Vergessen“), aber schon bald wurde das Stück auch für andere Soloinstrumente wie Geige oder Cello arrangiert.

Gallianos furioser Tastentanz

Richard Galliano, der diesen Klassiker wohl schon hunderte Mal gespielt hat, weiss mit seiner, leicht «Musette angehauchten» Interpretation zu begeistern und lässt seine Finger auf der Tastatur furios tanzen, so man fast fürchtet, dass er sich einen Knopf in die Finger spielt. Obwohl im Dezember 71jährig geworden, versprüht der Urfranzose noch immer jugendlichen Esprit und ungebrochene Begeisterung für die Musik und für sein fast 7 kg schweres chromatisches Knopfakkordeon, das er, wie kein zweiter, meisterhaft beherrscht.

RICHARD GALLIANO – „OPALE“. KONZERT FÜR AKKORDEON UND STREICHORCHESTER

Gleich zu Beginn entführte Galliano uns in seine südfranzösische Heimat, mit einer Musik, die sich durch einen ungeheuren Vorwärtsdrang auszeichnet: Konkurrieren im Hauptthema unterschiedliche Dreierrhythmen miteinander, wechselt das Metrum später zu 5/8- und 7/8-Takten. Solist und Streicher agieren als gleichberechtigte Partner, die sich gegenseitig ihre Einfälle zuwerfen. Ein choralartiger Einschub verheisst kurze Erholung, bevor das leidenschaftliche Hauptthema wieder die Initiative an sich reisst. Die avantgardistische Komposition weist stark romantische, mal subtil-impressionistische Züge auf, aber auch für Vitalität ist gesorgt.

Rentrer au genre de la musette

Richard Galliano wie er leibt und lebt

Der 2. Satz ist ein langsamer Walzer, dessen thematischer Kern immer neu beleuchtet wird, mal schmerzlich-süss, mal liebevoll verklärt. Über allem liegt der Schleier des Nostalgischen; Galliano selbst spricht von „Bildern des alten Paris, Akkordeonklängen in den Strassen, Jahrmarktsorgeln“, die ihm vorschwebten. Im abschliessenden Allegro bricht sich wieder mediterrane Energie Bahn, nun aber kombiniert mit herrisch-forschen Tangorhythmen, die in ein furioses Finale münden. In allen drei Sätzen lassen solistische Einschübe – die Kadenzen des klassischen Konzerts – Raum für Improvisationen, in denen sich das Akkordeon als Instrument von enormer stilistischer Bandbreite und Ausdruckstiefe präsentiert. Stecken in ihm doch „sehr viele Rollen und Möglichkeiten, die man nutzen sollte“, so Galliano. „Das Akkordeon kann so mächtig wie ein kleines Orchester klingen und im nächsten Moment zart wie ein Blasinstrument.“ Mit „Opale“ hat er seinem Instrument ein klingendes Denkmal gesetzt. Bei seinem rasanten Tastenritt wurde Galliano kongenial unterstützt von den vorzüglichen Musiker*innen der «Camerata». Immer wieder fast unglaublich, über welche Fingerfertigkeit der Weltstar des Akkordeons verfügt, welch Tastentänze er aufführt, wie kraftvoll er auch mal die Harmonien hinhämmert. Temperamentvoll liess er seine Finger über die Knöpfe fliegen, fügte aber manchmal auch ganz feine, gefühlvolle Tremolo ein, liess sein Instrument gar weinen.

Das Auditorium war begeistert und applaudierte die Protagonisten zu einer Zugabe, die dann ,dargereicht wurde in Form eines Tangos. Das reichte aber dem Publikum noch nicht und die verdiente stehende Ovation konnte die Künstler noch zur folgenden  zweiten Zugabe bewegen

Galliano bemerkte, dass es sich um eine «surpise» handle und so intonierten Richard Galliano mit dem Akkordeon und Konzertmeister Alexander Sitkovetsky auf der Violine Bachs dritte Orchestersuite ab Blatt. Solche Überraschungen liess sich das begeisterte Publikum natürlich gerne gefallen und liess nicht locker mit applaudieren.

Link auf ein Konzert von Richard Galliano – Paolo Fresu – Jan Lundgren im KKL Luzern vom  18. März 2015

innerschweizonline.ch/wordpress/richard-galliano-paolo-fresu-jan-lundgren-im-kkl-luzern-18-maerz-2015-besucht-von-leonard-wuest/

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos:Christa Bühler und  http://www.migros-kulturprozent-classics.ch/  

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Die Protagonistinnen geniessen den Schlussapplaus Foto Christa Bühler

 

Dieser Beitrag wurde am von unter leitartikel und kolumnen von léonard wüst, musik/theater/ausstellungen, schweizweit veröffentlicht.

Über Leonard Wüst

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