Collegium Vocale Gent, KKL Luzern 17. Juni 2019, besucht von Léonard Wüst

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Collegium Vocale Gent und Philippe Herreweghe Foto Marco Borelli, Salzburger Festspiele

Besetzung und Programm:

  • Philippe Herreweghe (Dirigent)
  • Dorothee Mields (Sopran)
  • Hanna Blazikova (Sopran)
  • Alex Potter (Alt)
  • Thomas Hobbs (Tenor)
  • Krešimir Stražanac (Bass)

Rezension:

Dirigent Philippe Herreweghe Foto PD Wouter Maeckelberghe

Auch weil ab Frühling 2020, aufgrund des Wegfalls des Lucerne Festivals an Ostern, nicht mehr so viele Chorkonzerte im KKL Luzern zu hören sein werden, nutzten sehr viele noch die Gelegenheit, das, im Rahmen der Migros – Kulturprozent – Classics Tournee lV, programmierte Konzert mit dem „Collegium Vocale Gent“ zu besuchen. So wurde dem grossen Besucherandrang Rechnung getragen, indem selbst der 4. Balkon geöffnet wurde.

Grundsätzliches zu den belgischen Protagonisten

Dorothee Mields (Sopran) Foto Harald Hoffmann

Das Collegium Vocale Gent ist ein 24-köpfiges Orchester ausgezeichneter Instrumentalisten, auf historischen Instrumenten spielend, ergänzt durch einen, in der Anzahl der Sänger/innen, variierenden Chor. In Luzern waren neben sieben Frauenstimmen, inklusive Solistinnen, elf Männerstimmen, inklusive Solisten, im Halbrund hinter den Instrumentalisten aufgereiht, dabei standen die Solisten inmitten des Gesamtchores, nicht separat.  Bei Konzertbeginn, vom Publikum her gesehen, die Damen links, die Herren rechts.

Zur Aufführung

Alex Potter (Alt, Countertenor) Foto Annelies van der Weg

Die h-Moll-Introduktion aller Stimmen am Beginn des Kyrie nahm Philippe Herreweghe noch feierlich, ging dann zügig in die lange Orchestereinleitung, auf der der Chor eine umfängliche fünfstimmige Fuge mit klarer verständlicher Diktion aufbauen konnte. Nach instrumentalem Zwischenspiel dann ein weiterer Fugenkomplex, den die Singstimmen in veränderter Reihenfolge und neuem kontrapunktischen Spiel zusammensetzten, kunstvoll und modulationsreich bis zum Satzschluss ergreifend steigerten.

Leicht körperlich lädierter Dirigent führt trotzdem souverän

Ohne Taktstock formte Philippe Herreweghe, einer der Doyens der historisch informierten Aufführungspraxis, dabei den Klangausdruck wie ein Bildhauer mit den Händen, setzte raffiniert wischende Bewegung des Unterarms ein, gab der Redensart „aus dem Ärmel schütteln“ neue fordernde Rhetorik. Zum Teil war dies auch bedingt durch eine Verletzung der rechten Schulter, das ihm das Dirigieren mit der rechten Hand erschwerte, gar verunmöglichte.

Exzellenter Chor, hervorragende Solist/innen

Hanna Blazikova (Sopran)

Dorothée Mields und Hana Blazikova gestalteten berührend im „Christe eleison“ ein lyrisches erstes Duett, innig und gefühlvoll um die Bitte nach Vergebung wissend. In zartem Piano legten die Streicher einen atmosphärischen Klangteppich für die Sängerinnen aus, der von Bach wohl intendierten Zwiesprache von Gottvater und Sohn den Vortritt lassend. Zusammen mit Thomas Hobbs und Alex Potter gab Mields auch den Duetten im „Gloria“ und „Credo“ eindrückliche Gestalt, setzten die herrlichen Solostimmen durch unangestrengte Koloratur schwerelos auf das Primat der Klangrede. Zu einem Höhepunkt wurde auch das „Laudamus te“, wo das Lob Gottes in der Virtuosität der konzertierenden Violine und der glasklar expressiven Sopranstimme Ausdruck fand.

Mit voluminösem Streicherklang ins „Gloria“

Thomas Hobbs (Tenor)

Mit festlichem Streicherklang, nun ins parallele D-Dur gewendet, und zupackenden Trompetensignalen wurde das „Gloria“ angestimmt, nahmen die Soprane noch zurückhaltend die frohbewegte Huldigung Gottes auf, kanonisch gefolgt von absolut textverständlichen Einsätzen der tiefen Stimmen. Die sich daraus entwickelnde Fuge steigerte sich zum Forte Jubel, bei dem die letztlich befreienden Freudenraketen nicht mehr zündeten. Dieser Eindruck blieb auch beim „Credo“ haften, insbesondere im vielschichtigen „Confiteor“, in dem gregorianische und Renaissanceklänge aufeinandertreffen und mit barocker Choralmusik verwoben werden.

Ausgewogenheit mit Glanzpunkten

Krešimir Stražanac (Bass)

Die Sänger sangen in den meisten Chor-Stücken in Registerpaaren, mit klarer Diktion und guter Intonation. Ausgewogenheit war so gut wie nie ein Problem. In Ensembles dieser Größe werden die meisten Musiker zu Solisten und der Grat zwischen Ruhm und potentiellem Fiasko viel schmäler als der, dem die Mitglieder eines gewöhnlichen Chores oder Orchesters jemals ausgesetzt sind. Wenn nun also wirklich die Sänger auch den „Chor“ besetzen, können sie sich nicht mehr während der Chor-Stücke erholen, sondern singen das gesamte Werk hindurch, trotzdem war keinerlei Qualitätsverlust, etwa infolge stimmlicher Ermüdungserscheinungen, hinzunehmen.

Arien als strahlkräftige Glanzlichter

So blieben herausragende Arien als effektvolle Glanzlichter in Erinnerung: Alex Potters Altus, der in Zwiesprache mit der anrührenden Melodie der Oboe d’amore im „Qui sedes“ den Textinhalt dramatisch und atemberaubend brillant ausdeutete, beim ungewohnten g-Moll des „Agnus Die“ im schmerzlichen Ausdruck menschlicher Schuld berührte. Tenor Thomas Hobbs drückte im „Benedictus“ den Willkommensgruß glaubhaft, ja freudig und heiter aus. Dagegen kam Bass Bariton Kresimir Strazanacs Beiträge weniger stark zur Geltung. Im „Quoniam“ schlug das begleitende Naturhorn jedenfalls mehr Funken als der Bassist.

Berauschendes Konzerterlebnis

Das Gesamtergebnis war überaus positiv: die Tempi blieben immer lebhaft und der fast ausschließliche Verzicht auf Vibrato schuf eher eine besondere Qualität als eine unangenehme Trockenheit im Klang hervorzurufen. Das ausgezeichnete Continuo schob die Musik sachte aber beständig an, und der Einsatz von historischen Instrumenten und historischer Spielweise ist eine der ganz grossen Stärken dieses Ensembles, das denn zum Schluss vom begeisterten Publikum ausdauernd mit kräftigem, langanhaltendem Applaus gefeiert  wurde.

Text: www.leonardwuest.ch

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