Die Urkundensammlung des Kantons Uri ist digitalisiert worden. Jetzt stehen die Dokumente auf der Webseite des Staatsarchivs online zur Verfügung.
Das Staatsarchiv beherbergt eine Sammlung von rund 200 Pergamenturkunden aus dem Zeitraum von 1196 bis 1771. Sie bietet eine Tour d’Horizon durch die Geschichte des Kantons Uri, der Eidgenossenschaft und Europas in der Zeit des Mittelalters und der Neuzeit. Die jüngsten Urkunden stammen aus der Zeit kurz vor dem Beginn der Umwälzungen, aus denen der heutige Bundesstaat und der Kanton Uri hervorgegangen sind.
Im vergangenen Jahr nun wurde die Sammlung vollständig fotografiert und in den Archivkatalog des Staatsarchivs integriert, so dass die Urkunden und Siegel jetzt online eingesehen und studiert werden können. Abgebildet sind jeweils die Vor- und Rückseiten der Pergamente sowie die Vorderseiten der Siegel. Es mag auf den ersten Blick erstaunen, dass auch die Rückseiten der Urkunden abgebildet sind. Diese enthalten jedoch oft Bemerkungen und Informationen zum Inhalt der Texte auf der Vorderseite oder geben Hinweise zur Überlieferung der Urkunden.
Eine Reise durch die Geschichte
In der landwirtschaftlich geprägten Welt der vormodernen Zentralschweiz spielten Fragen rund um die Themen Weiderechte und Alpnutzung eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang steht die älteste erhaltene Urkunde aus dem Jahr 1196, mit der die Grenzen zwischen Uri und Glarus auf dem Urnerboden festgelegt wurden. Auf der grössten Alp der Schweiz interessierte der Verlauf der Grenzen natürlich in erster Linie wegen der Frage, wer im Sommer wo sein Vieh auftreiben durfte.
Mit Blick auf diese älteste erhaltene Urkunde stellen sich übrigens noch andere interessante Fragen, die bereits seit Jahrhunderten erörtert werden und die eine Problematik der doch nur sehr punktuellen Überlieferung zeigen: Wer waren diese Urner, die sich 1196 mit ihrem Anliegen an den Vogt der Glarner wandten? Wie waren sie organisiert? Wo war ihr Zentrum? Immerhin stammt die Urkunde aus einer Zeit, in der von einer schweizerischen Eidgenossenschaft noch keine Rede war und auch noch keine Urner Landsgemeinde oder ein Landammann greifbar sind. Leider werden sich diese Fragen wohl kaum je befriedigend beantworten lassen, da dafür ganz einfach die schriftlichen Belege aus der Vergangenheit fehlen.
Urner Selbstbehauptung
Gut vertreten in der Sammlung des Staatsarchivs sind Urkunden, die im Zusammenhang mit der herrschaftlichen Selbstbehauptung der Urnerinnen und Urner stehen. Im Mittelalter steht die Beziehung zu Klöstern im Vordergrund, die in Uri einen grossen Teil des nutzbaren Landes besassen und Herrschaft über die Menschen ausübten. Zu nennen sind etwa das Kloster Wettingen, die Fraumünsterabtei in Zürich sowie die Klöster Rathausen, Kappel und Frauental. Im Jahr 1359, als es dazu wirtschaftlich stark genug war, kaufte sich Uri aus der Abhängigkeit der Klöster frei. Dieser emanzipatorische Akt ist mit den vorhandenen Urkunden sehr gut belegt.
Interessant zu erfahren wäre, wie Uri zu den finanziellen Mitteln kam, um die Forderungen der Klöster zu befriedigen. Einen Hinweis dazu liefern die Urkunden, die im Zusammenhang mit der Zollstelle in Flüelen stehen. Um 1300 war diese im Besitz des römisch-deutschen Kaisers. Aufgrund des offenbar bereits damals bedeutenden Nord-Süd-Verkehrs stellte die Zollstelle eine wichtige Einnahmequelle dar und war deshalb als Lehen bei den Leuten des Kaisers heiss begehrt. Nachdem zuvor immer Auswärtige im Besitz dieses Zolls waren, gelang es Johannes von Attinghausen – also einem Einheimischen – im Jahr 1337 in den Besitz der Rechte am Zoll zu kommen. Wenn man den grossen Einfluss bedenkt, den Johannes von Attinghausen im Land Uri damals hatte, könnte es durchaus sein, dass die Mittel für den Loskauf von den Klöstern aus dieser Quelle flossen.
Unsichere Zeiten
Uri war aber nicht nur Untertanenland, sondern übte durch Konrad von Moos aus Ursern und dessen Nachkommen auch Herrschaft über die Leventina aus. Die Vogteirechte über diese Täler hatte Konrad von Moos 1317 von König Ludwig IV. erhalten. Damit setzte sich Uri südlich des Gotthards fest und verteidigte die Herrschaft bis zum Ende der Alten Eidgenossenschaft im Jahr 1798. Zu jener Zeit war stete Wachsamkeit nötig, denn im vormodernen Europa war die gesellschaftlich-politische Ordnung viel weniger festgefügt, als wir es uns heute gewohnt sind. Die Macht und die Herrschaftsansprüche waren stark fragmentiert. Da der Kaiser die meiste Zeit weit entfernt residierte, hatte er Mühe, seine Ansprüche vor Ort durchzusetzen. Entsprechend dynamisch veränderten sich die Machtverhältnisse. Die Rechtssicherheit war keineswegs gegeben und Ansprüche mussten laufend bestätigt und durchgesetzt werden.
In diesem Zusammenhang stehen die recht zahlreich vorhandenen Urkunden, mit denen Könige und Kaiser anlässlich der Thronbesteigung den Urnerinnen und Urnern ihre althergebrachten Rechte und Freiheiten bestätigten. Denn bei einem Machtwechsel war es jeweils nicht sicher, ob der neue Herrscher die bestehenden Verhältnisse anerkannte. Uri bemühte sich deshalb jedes Mal, die geltenden Rechte bestätigen zu lassen. Vor allem wegen dieser rechtsbewahrenden Funktion wurden die Urkunden der Sammlung in der Urner Kanzlei besonders sorgfältig aufbewahrt. Dieser Sorge unserer Vorfahren ist es zu verdanken, dass wir die Schriftstücke heute noch besitzen.
Kleine Kunstwerke
Neben all den vielfältigen Informationen zur Geschichte des Landes Uri sowie der Eidgenossenschaft und Europas, welche die Urkunden bieten, zeichnen sie sich auch durch ihre Ästhetik aus. Sie sind ein Abbild der Kultur des Mittelalters und der Neuzeit. Die sorgfältig gestalteten Schriftstücke, die Schönheit der Handschriften und die oft prachtvollen Siegel lassen uns eintauchen in Zeitalter und Epochen, die in vielen Bereichen sehr verschieden von der heutigen Welt waren. Das ist interessant und zeigt sehr deutlich, dass wir heute von den seit damals in allen Lebensbereichen gemachten Fortschritten profitieren. Daneben erscheinen in den Texten hie und da auch menschliche Eigenschaften, die sich im Lauf der Jahrhunderte nicht verändert haben. Es zeigen sich Geltungsdrang, Herrschsucht und Geiz, aber auch schöne Seiten wie Liebe, Freundschaft und der Wille zur gemeinsamen Gestaltung der Zukunft.
Die meisten handschriftlichen Texte der Sammlung liegen in historischen Zeitschriften gedruckt vor (so zum Beispiel im «Geschichtsfreund» oder im «Historischen Neujahrsblatt des Kantons Uri»). Diese Zeitschriften stehen ebenfalls online zur Verfügung und leisten beim Entziffern der Handschriften oftmals gute Dienste. Die Beschäftigung mit dieser Urkundensammlung lohnt sich, denn sie bietet das Vergnügen, tief in die Welt der Vormoderne des Kantons Uri einzutauchen.
Die Urkunden sind auf der Webseite des Staatsarchivs Uri einsehbar oder direkt unter dem folgenden Link: https://scope.ur.ch/