Fado as its best Carminho, Kaufleuten Zürich, 2. Oktober 2019, besucht von Léonard Wüst

Spread the love

Carminho performs at Music Club in Elmwood Hall, during the 2013 Ulster Bank Belfast Festival at Queen’s. Photo/Paul McErlane www.belfastfestival.com.

Besetzung:

Carminho, vocals – Flávio Cardoso, guitar – Pedro Geraldes, pedal steel guitar – Luis Guerreiro, Portuguese guitar – Tiago Maia, bass

Rezension:

Carminho, auch äusserlich gereift

Fast auf den Tag genau fünf Jahre waren es her, seit meiner letzten Begegnung mit Maria do Carmo an gleicher Stätte. Der Interviewtermin war von ihrem neuen Manager auf knapp zehn Minuten limitiert worden, Fotos waren, im Gegensatz von vor 5 Jahren leider nicht gestattet. Fragen nach Carminhos Privatleben tabu. So blieb leider nicht mehr viel Fleisch am Knochen. Meine Begeisterung darüber hielt sich natürlich in Grenzen, konnten wir doch letztes Mal einfach drauflosplaudern, über ihre Karriere, gemeinsame Bekannte usw., kenne ich sie doch schon bald 20 Jahre. Dass auch ja alles so wie vom Manager gewünscht ablief, wurde vom, nicht von unserer Seite weichenden, Road Manager Hugo Coelho akribisch überwacht. Immerhin erfuhr ich, dass Carminho das Projekt mit  den Jobims nicht weiterverfolge und sich im Moment ganz auf Fado konzentriere, da sie jetzt auch fast alle Lieder (Texte und Musik) selber komponiere, so auch auf ihrem neuesten Album „Maria“.

Zum zwischenzeitlichen Experiment Jobim

Portuguese Guitars Symbolbild

Mit dem Album „Carminho Canta Tom Jobim“ nahm sich der portugiesische Star Carminho im Jahre 2016 einem der bekanntesten Komponisten der lateinamerikanischen Welt an: Antonio Carlos Jobim, auch Tom Jobim genannt, der am 25.1.2017 seinen 90. Geburtstag gefeiert hätte.  Es war sogar die Familie von Tom Jobim selbst, die anregte, dass Carminho tief in das Repertoire Jobims eintauchen sollte, das voller Klassiker wie The Girl From Ipanema, Wave, Meditation oder Sabiá steckt. Begleitet im Studio wurde sie von Banda Nova, Jobims letzter Live- und Studioband. Gemeinsam mit Jobims Sohn Paulo und seinem Enkel Daniel sowie dem gefeierten Cellisten Jaques Morelenbaum, der bereits an Carminhos letztem Album beteiligt war, sowie dem Drummer Paulo Braga, widmete sie ihr  Album der unsterblichen brasilianischen Ikone.

Zurück zu den Wurzeln, dem traditionellen, authentischen Fado

Pedal Steel Guitar, Symbolbild

Das Kapitel „Carminho Canta Tom Jobim“ von 2016 ist also, für den Moment zumindest, ad acta gelegt. Dass Carminho weiter reift, sich noch immer hohe Ziele setzt und ihren Weg konsequent weitergeht, war mir sofort bewusst, als ich sie, noch keine 18 Jahre alt, im April 2002 zum ersten Mal, an einer von mir, zusammen mit Luis Felipe Penedo (Gründer und Präsident der „Academia da guitarra portuguesa e do Fado“ und des Fado Museums in der Alfama von Lissabon), organisierten Serenade der portugiesischen Gitarre und des Fado singen hörte. Sie hatte schon damals alles, ausser der Lebenserfahrung, was eine grosse Fadista auszeichnet. Als Tochter einer bekannten Fadosängerin, die zusammen mit ihrem Mann ein kleines Restaurant in der Alfama besass und betrieb, wurde sie in die faszinierende Welt des Fado hineingeboren und eiferte schon früh ihrer Mutter nach und sang selbstverständlich auch schon bald vor den Gästen. Trotzdem beendete sie ihr Studium (Werbung und Marketing), wandte sich danach aber ganz dem Fado zu. Sie galt nun, als Tochter der in Fado-Kreisen bekannten Sängerin Teresa Siqueira, als die neue Hoffnung des Fado. Dass sie diesen Vorschusslorbeeren mehr als gerecht wurde und weiterhin wird, beweist sie seitdem immer wieder aufs Neue, bleibt nicht stehen beim schon Erreichten, strebt nach immer Höherem, noch Perfekterem. Deshalb, unter anderem, komponiert sie jetzt auch fast alles selber und schreibt auch, für schon existierende Melodien, neue, eigene Texte dazu.

Der unübliche Griff zur Gitarre

Der Kaufleutensaal war voll besetzt, darunter auch sehr viele in der Schweiz lebende Portugiesen, die die Gelegenheit nutzten, ihre weltweit gefeierte Landsfrau live zu erleben. Fast Ritusgemäss betraten, in faktischer Dunkelheit, zuerst die vier Instrumentalisten die Bühne, zupften ein paar Töne auf ihren Saiteninstrumenten, bevor Carminho, ganz in schwarz gekleidet, sich zu ihnen gesellte und ein paar Worte auf Deutsch ans Publikum richtete und auch ihre Landsleute mit ein paar Worte auf Portugiesisch beglückte, natürlich heftigst applaudiert. Sie beginnt mit „A Tecedeira“ einer feinfühligen Ballade ab ihrem neuen Album „Maria“ gefolgt vom  fröhlicheren „O Começo (Fado Bizarro)“. So folgt ein Fado nah dem andern, immer schön abwechselnd, mal etwas romantisches, dann wieder ein optimistischeres. Dann griff sich Carminho eine Gitarre, um sich für das äusserst gefühlvolle „Estrela“ gleich selbst mit zu begleiten. Für mich ein Novum, benutzt sie doch sonst Gitarre und auch das Klavier, ausschliesslich zum Komponieren.

Es hatte auch Platz für ein paar kurze „Guitarradas“

Bei der folgenden Interpretation von „Pop Fado“ erhielt Luis Guerreiro mit seiner portugiesischen Gitarre Gelegenheit, ein paar kurze „Guitarradas“ einzuflechten, die vom sachkundigen Publikum mit Zwischenapplaus belohnt wurden und auch die andern Musiker gaben kurze Kostproben ihres Könnens zum Besten. Weiter gings Schlag auf Schlag, ein Fado nach dem andern, die meisten ab ihrem neuesten Album.

So wie Carminho das macht, versteht jedermann, was „Fado“ bedeutet

Carminho Foto Leo Aversa

Carminho versteht es, wie keine andere, mit sentimentalen Liedern zu Tränen rühren, auch wenn man kein Wort versteht. Denn der Fado ist Melancholie, die überall verstanden wird. Auch bei Carminho lässt sich die Saudade erahnen – dieses Gefühl einer existenziellen Sehnsucht, für das es weder im Deutschen noch im Englischen eine richtige verbale Entsprechung gibt. Es ist dieser „O gosto de ser triste“ (der Genuss, traurig zu sein) den die Lusitaner, wie kein anderes Seefahrervolk so verinnerlicht haben. Die Vorfreude, aber eben auch vermischt mit dem Trauer des Abschieds, beim Aufbruch, neue Welten zu entdecken.

 

 

 

Die Künstlerin macht den „Saudade“ auch Nichtportugiesen verständlich

FADO 2002 im Orgelsaal, Hotel Hirschen in Sursee, mit Carminho, dritte von rechts

Sie beherrscht die Kunst, Trauer und Schmerz einzufangen und auszudrücken – auf der Suche nach dem Fado neuer Prägung, der sinnlich-samtenen Bluesmusik Portugals, die 2011 zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Die Essenz des Fados ist für sie „ein urbaner Aufschrei der Leute, die sich plagen und abrackern, um zu überleben, und kaum Zeit haben, Tränen zu vergießen“. Natürlich gibt es auch fröhlichere Fados, aber irgendwie wird man das Gefühl nicht los, die Portugiesen fühlen sich erst in den richtig schmerzhaft traurigen am wohlsten.  Ein Grund, warum Stücke wie „Lágrimas Do Céu“ so intensiv sind und Carminho jede Facette der trauernden Seele nach außen kehrt. Das Auditorium war begeistert und klatschte die Protagonisten noch zu zwei Zugaben und mein Frust über das unbefriedigende Interview war auch schon fast verflogen.

https://www.youtube.com/watch?v=eDlzwlVAmhc&feature=youtu.be

Exklusivinterview mit Carminho im Oktober 2014: http://innerschweizonline.ch/wordpress/carminho-interview-im-kaufleuten-zuerich-4-oktober-2014/

Text: www.leonardwuest.ch

Videotrailer: https://www.youtube.com/watch?v=iMUB0FGZ4fs#t=18

Veranstalter und Fotos: www.allblues.ch

Facebookseite von Carminho: https://www.facebook.com/CarminhoMusic

Homepages der andern Kolumnisten: www.herberthuber.ch
www.annarybinski.ch www.gabrielabucher.ch  www.noemiefelber.chPaul Ott:www.literatur.li[content_block id=29782 slug=ena-banner]