Besetzung und Programm:
Luzerner Sinfonieorchester
Fazıl Say, Klavier & Leitung
Lisa Schatzman, Konzertmeisterin
Carl Philipp Emanuel Bach (1714 – 1788)
Sinfonie Es-Dur Wq. 179 H654
–Fazıl Say (* 1970)
«Yürüen Köşk» («Das verschobene Haus»), Hommage an Atatürk, Schweizer Erstaufführung
in der Version für Klavier und Streichorchester.
–Carl Philipp Emanuel Bach
Sinfonie C-Dur Wq. 182 Nr.3 H659
–Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 21 C-Dur KV 467
Carl Philipp Emanuel Bach Sinfonie Es-Dur Wq. 179 H654
Das Orchester, ausser den Streichern noch durch je zwei Hörnern und Oboen ergänzt, wird den unterschiedlichen Anforderungen vollauf gerecht und wechselt spielerisch von langsamem, getragenem Legato in rasende Allegro-Läufe oder prasselnde Staccato-Bewegungen. Besonders beeindruckend sind zudem die Dynamikabstufungen und -kontraste gestaltet, die die immense Ausdrucksvielfalt des Werkes meisterhaft hervorkehren. Das wird zusätzlich verstärkt durch die durchdachte Tempowahl und -gestaltung. So erzeugen die Musiker*innen beispielsweise durch eine homogene, kontinuierliche Veränderung des Tempos einen effektvollen, sanften Übergang vom aufbrausenden, wilden ersten Satz der Symphonie in Es-Dur zum ruhigen, fast zerbrechlich wirkenden kantablen ‚Larghetto‘. Eine große Balance ist dem Ensemble dabei zu eigen; die Musiker*innen gehen meisterhaft aufeinander ein, ergänzen und unterstützen sich, woraus ein homogener, durchsichtiger Orchesterklang resultiert. Das Orchester traf den Ton dieser Musik, ließ es an Transparenz und Schwung bei der Interpretation nicht fehlen, bestach durch hohe Phrasierungskultur. Das Ensemble verlieh dieser Komposition die nötige Innigkeit und kantabile Leichtigkeit und dies alles belohnte das Auditorium im nicht ganz ausverkauften Konzertsaal, mit dem entsprechenden Applaus.
Fazıl Say (* 1970) «Yürüen Köşk» («Das verschobene Haus»)
Besonders gespannt waren wir natürlich auf diese schweizerische Erstaufführung des, vor allem als Pianisten bekannten türkischen Künstlers. Wie würde osmanische Musik tönen ohne die typischen, landesüblich benutzten Instrumente, wie z.B. Blasinstrumente wie: Çığırtam, Çifte, Kaval (mit oder ohne Zunge), Mey, Sipsi, Tulum, Zurna. Dann die Saiteninstrumente, welche Zupfinstrumente oder Streichinstrumente sein können, und zum anderen natürlich die Schlaginstrumente. Dazu gehören: Çalpara, Çift nağra, Darbuka usw.
Interessantes Gebilde, angesiedelt zwischen Kakophonie und Sphärischer Mystik
Diese Ungewissheit war schnell eliminiert, waren doch auf der Bühne in etwa noch die gleichen Musiker*innen präsent wie beim vorherigen Bach’schen Werk. Fazil Say’s Komposition existiert ja in drei Versionen, die eine als reines Klavierstück, dann als Klavierquintett und last but not least, die an diesem Abend aufgeführte Version für die Begleitung durch ein Streichorchester. Diese Besetzung erlaubt die nuanciertere akustische Wiedergabe der, als Vogelgezwitscher gesetzten Noten,von denen es doch eine ganze Menge gibt. Dieses Gezwitscher, von den Violinen perfekt interpretiert, prägen denn auch das doch sehr futuristische Werk irgendwo zwischen sphärischer Mystik und mystischer Sphäre.
Auch ungewohnte Disharmonie vermag zu fesseln
Sehr ungewohnte Töne für unser, eher harmonischen Musik Gebilden zugeneigtem Gehör. Klänge aber, die durchaus zu fesseln wussten, was den gespannt, interessiert zuschauenden – und hörenden Konzertbesucher*innen anzusehen war. Der 1970 in Ankara geborene Komponist zeichnet eine bekannte Episode nach, die Mustafa Kemal Atatürk, den Gründer der modernen Türkei, als fortschrittlichen Naturfreund zeigt: Zur Rettung einer Platane ließ er 1930 ein Haus um mehrere Meter versetzen, was einiges an technischem know how und türkischen Ingenieurwissen erforderte und so ein Zeichen setzen sollte für einen aufgeklärten modernen Staat, aber auch für die Achtung der Natur und deren Schutz.
Klavierklänge visualisierten akustisch grollend die Verschiebung einer Villa
Der Komponist zeichnet akustisch auch die fünf Meter Wegstrecke, auf fast 100 Takte verteilt, grollend nach, den das Haus, auf eigens herangeschafften und aufgebauten Gleisen rollend, an den neu bestimmten Standort.zurücklegen musste Nach Kemal Atatürks Tod ging der, auch heute noch stehende Baum, samt der dazugehörigen Villa, in Staatseigentum über und wird seit dem Jahr 2006 als Museum genutzt.
Das Publikum würdigte Werk, Solisten und Orchester mit einem langen, stürmischen Applaus, um sich danach gutgelaunt in die Pause zu begeben.
Carl Philipp Emanuel Bach Sinfonie C-Dur Wq. 182 Nr.3 H659
Drängend in den abrupten Stimmungswechseln lässt sie Konzertmeisterin die Streichersinfonie C-Dur (Wq 182) spielen. Lyrischen Ruhepunkten folgen schmerzvolle Passagen, die auf entsprechende Eingebungen von Mozart verweisen. Weich und warm ist der Ensembleklang, wenn nötig auch schroff. Die Musiker*innen wissen hörbar um die Erfordernisse historischer Spielweisen, auch wenn sie moderne Instrumente verwenden und auch vorm Gebrauch eines wohldosierten Vibrato nicht zurückschrecken. Wie sonst sollte man Gefühle zum Klingen bringen? Selbst bei forschen Tempi wirkt nichts überhetzt oder überakzentuiert, stattdessen gewinnen die Musiker ihre spielerische Kompetenz ganz aus dem Puls der Musik, gewürdigt vom Auditorium mit der entsprechenden Akklamation.
1. A. Mozart Klavierkonzert Nr. 21 C-Dur KV 467
Wie schon das Klavierkonzert Nr. 20, gehört das Klavierkonzert Nr. 21 zu den sogenannten sinfonischen Konzerten, denn der orchestrale Part ist hier von großer Bedeutung. Das Klavierkonzert in C-Dur schuf Mozart in nur vier Wochen nach der Vollendung des d-Moll Konzertes. Eine Probe musste genügen, um das neue Werk am 10. März 1785 – mit Mozart als Solisten – zur ersten Aufführung zu bringen.
Die Proportion von Soloinstrument und Orchester wird zugunsten des Letzteren verändert. Das Orchester bekommt durch längere Zwischenspiele mehr musikalisches Gewicht. Das Hauptthema liegt beim Orchester und nicht beim Soloinstrument. Auch die Orchesterbesetzung ist größer.
Insgesamt ist es ein heiteres Werk, in dem mit relativ einfacher Melodik eine differenzierte Komplexität entwickelt wird. Das Soloinstrument scheint sich immer wieder unabhängig machen zu wollen und wird dann in das Gesamtgeschehen integriert. Der erste Satz trägt die Überschrift „Allegro maestoso“ – und erfüllt die damit verbundenen Erwartungen auf ganzer Linie. Das prächtige Hauptthema wird zuerst vom Orchester in unterschiedlicher Form – kammermusikalisch, orchestral und kontrapunktisch – wiederholt, bis es dann vom Klavier aufgenommen wird. Die unterschiedlichen Motive innerhalb des Klavierkonzerts sind miteinander im Einklang: wie er auch seinen Opern eine perfekte Dramaturgie unterlegt hat, so hat es Mozart auch hier wieder verstanden, alles zu einem homogenen Ganzen zusammenzuführen. Im dritten Satz findet man dafür ein besonderes Beispiel: Hier verbindet Mozart das Thema des Rondos über ein zweites neues Thema mit dem Thema des Sonatenhauptsatzes. Das Klavier kann sich ganz der Spielfreude hingeben und doch entsteht eine Gleichstimmigkeit des Soloinstrumentes mit dem Orchester.
Fazil Say antizipiert Mozarts Spitzbübigkeit
Die Qualität dieses Mozartspiels liegt allerdings ohnehin nicht in der Duftigkeit mühelos hin geperlter Sechzehntel Schleppen. Say umschifft Kanten und Brüchen in dieser virtuos parlierenden Partitur. Manchmal – etwa im choralhaften Abgesang des Finale-Seitengedankens belässt er die konfliktlos dargebotene Schönheit des Themas, das er aber mit Witz und Schalk, wohl ganz im Sinne des Salzburger Komponistengenies ausschmückt. Der Mittelsatz, oft missbraucht, fließt bei ihm in bewunderungswürdig schlichtem, ungekünsteltem Gesang. Im Zusammenspiel mit dem Orchester waren besonders die superben Dialoge der Fagotte mit dem Solisten herausragend.
Das Auditorium war begeistert ob der neckischen, rasanten Mozart Interpretation, bei der das Luzerner Sinfonieorchester den Solisten kongenial unterstützte und belohnte die Protagonisten mit einem langanhaltenden stürmischen Schlussapplaus. Dieser wurde schlussendlich noch mit einer kurzen Zugabe in Form einer etwas sehr eigenwilligen Improvisation belohnt, welche das Auditorium etwas ratlos zurückliess.
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: www.sinfonieorchester.ch
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