Besetzung und Programm:
Hernando Escobar Oboe
Festival Strings Lucerne Chamber Players
Henry Purcell Fantasia in four parts
Benjamin Britten Oboenquartett „Phantasy“
Frank Bridge Drei Novelletten für Streichquarett
Wolfgang Amadeus Mozart Oboenquartett
Eigentlich wird meistens ein Gastsolist*in hinzugezogen für die Kammermusikkonzerte im Schweizerhof, doch diesmal schöpfte man aus dem eigenen, hervorragenden Potential an Musiker*innen. So performte als Solist, nebst den «Festival Strings Lucerne Chamber Players», mit Hernando Escobar der Solooboist der Festival Strings Lucerne.
HENRY PURCELL String Fantasias in Four Parts
Violine: Erika Schutter & Mia Lindblom Viola Dominique Fischer Violoncello Alexander Kionke
Frei und originell soll sein, was fantasievoll ist. Was für alle Arten von Ideen zutrifft, gilt auch für die Fantasia als musikalischer Einfall: Klar definiert ohne klare Definition gilt hier.
Kaum einer konnte diese Musikgattung so gut umsetzen wie Henry Purcell, der nicht nur für die englische Instrumentalmusik mit seinen Fantasias Maßstäbe setzte.
Als Henry Purcell 1695 mit nur 36 Jahren starb, trug ihn ganz London in Westminster Abbey – jener Kirche, in der Purcell 16 Jahre lang als Organist gewirkt hatte – zu Grabe. Er, über den ein Kollege sagte, er sei „the greatest Genius we ever had“, der schon zu Lebzeiten also eine Legende war, verkörpert auch außerhalb Großbritanniens den Anfang dessen, was englische Musik ausmacht. Als kurz nach Purcells Tod seine Lieder veröffentlicht wurden, kamen sie unter dem Titel „Orpheus Britannicus“ heraus. Und wenn man sich in diesem Kontext die mythische Figur des Orpheus vor Augen führt, dann singt in Purcells Werk also einer, der sein Publikum zu betören und fesseln vermag, der mit Balladen, Liedern und Fantasien verzaubert.
Purcells Vokalmusik, seine hochsensible ‚in-Musik-Setzung‘ der englischen Sprache, ist das eine. Purcells Instrumentalmusik ist das andere, für das ihn sein Publikum liebt. 1677, als 18-Jähriger, übernahm Purcell am Hof Charles II. die Stelle als „Composer for the Violins“, und drei Jahre später begann er, seine berühmten drei- bis fünfstimmigen Fantasien zu schreiben. Gefällig und ausdrucksstark, kontrapunktisch und melodisch – all diese Elemente stehen in Purcells Fantasien einträchtig nebeneinander und tragen im wahrsten Wortsinne der „Phantasia“, dem freien Einfall, Rechnung.
Purcells Fantasia in D-Dur ist kein Streichquartett-Werk. Es trägt den Besetzungshinweis: „Three Parts On a Ground“, das natürlich lässt sich relativ frei übersetzen in „Drei Violinstimmen mit Bassbegleitung“, was wiederum für ein Streichquartett unproblematisch zu spielen ist. Einer Fantasia als Freiraum für Ideen entspricht so ein Einfall zur Besetzungsänderung obendrein.
Purcells Stil eher schon Rokoko, denn Spätbarock, erinnert aber auch etwas an Händel, der ja lange in London lebte und wirkte, also auch entsprechende Spuren hinterlassen hat. Die vier Streicher*innen der »Festival Strings Lucerne Chamber Players» intonierten das eher seltengespielte Werk mit grosser Spielfreude, viel Verve eindrücklicher Präzision und durften dafür den entsprechenden Applaus des Publikums im vollbesetzten Saal ernten.
BENJAMIN BRITTEN Oboen Quartett f-Moll op. 2 «Phantasy Quartet»
Geschichte
Zu den »Festival Strings Lucerne Chamber Players», nun ohne Mia Lindblom, gesellte sich jetzt der Oboist Hernando Escobar. (Ausgebildet im berühmten «El Sistema» seiner Heimat Venezuela, hat er nicht nur im nationalen Kinder- und Jugendorchester gespielt, bevor er Solooboist des Simón Bolívar Sinfonieorchesters wurde und mit Gustavo Dudamel weltweite Tourneen unternommen hat).
Diese langjährige internationale Konzerterfahrung konnte Escobar für eine brillante Darbietung nutzen, immer kongenial supportiert von seinen grossartigen Mitmusiker*innen.
Britten komponierte das Phantasy Quartet im Alter von 18 Jahren als Student am Royal College of Music, nach seinem ersten Werk, dem er eine Opus Nummer zuordnete, die Sinfonietta für Kammerorchester. Er widmete es dem Oboisten Léon Goossens, der am 6. August 1933 mit Mitgliedern des Internationalen Streichquartetts die Uraufführung in einer BBC- Sendung spielte. Dieselben Spieler führten am 21. November desselben Jahres die Konzertpremiere in London auf. Am 5. April 1934 wurde es in Florenz für die Internationale Gesellschaft für zeitgenössische Musik aufgeführt und war das erste Stück, das die internationale Anerkennung des Komponisten erlangte.
Musik
Die Musik ist in Form einer Fantasie aus dem 16. Jahrhundert, in einer Bogenform mit Elementen aus der Sonatenform. Wie in Mozarts Oboen Quartett hat die Oboe eine Solofunktion. Das etwa 15minütige Werk wurde „vollständig verarbeitet“ genannt. Die Musik wächst aus der Stille heraus und kehrt am Ende symmetrisch zu ihr zurück. Das erste Thema ist ein Marsch mit der Bezeichnung Molto Pianissimo, bei dem das Cello auf dem Griffbrett eines gedämpften Cellos beginnt, gefolgt von Bratsche, Violine und schließlich der Oboe. Das Thema wird später auch zur Quelle von Themen in einem schnellen Abschnitt, ähnlich dem Entwicklungsabschnitt der Sonatenform. Im langsamen Mittelteil führen allein die Saiten ein Thema ein, an dem sich die Oboe anschließt. In Symmetrie folgt eine Zusammenfassung des schnellen Abschnitts und dann des Marsches. Der Musikwissenschaftler Eric Roseberry fasst zusammen: „Wenn der pastorale langsame Abschnitt die gemächliche Folkigkeit eines Englishry wiedergibt, die Britten noch nicht vollständig abgelehnt hatte, erzeugt die Phantasie als Ganzes eine Spannung und harmonische Grobheit, die Vorboten einer weniger selbstgefälligen Einstellung sind.“
Von Grobheit keine Spur die fünf auf der Bühne harmonierten prächtig, die Oboe energisch, dennoch filigran, immer mit gasklarem Ton, nie quietschend, gar plärrend, fügte sich nach Solosequenzen immer wieder perfekt ins Tutti ein. Auch die andern drei Instrumente hatten ihre kurzen Soloparts, die alle ebenso gekonnt vortrugen, wie sie als Ganzes harmonierten und sich perfekt ergänzten.
Das Auditorium geizte denn auch nicht mit Applaus, würdigte so die eindrückliche Darbietung des Quartetts.
FRANK BRIDGE Noveletten für Streichquartett H. 44
Als Quartett gings auch für dieses Werk weiter, allerdings wieder mit einer zweiten Dame, Mia Lindblom , mit ihrer Violine, anstelle des Oboisten.
Die Wahl des erstmals von Schumann verwendeten Wortes Novelletten weist darauf hin, dass es sich um Charakterstücke handeln sollte.
Das 104 komponierte und 1915 erstmals veröffentliche Oeuvre ist mit
- Andante moderato
- Presto. Allegretto
- Allegro vivo
dreisätzig strukturiert.
Der erste, Andante moderato, beginnt und endet in einer ruhigen, meditativen Stimmung, zwischen denen die Musik langsam zu einem dramatischen Höhepunkt ansteigt. Das zweite ist eine Art Scherzo, bestehend aus schnell wechselnden Abschnitten unterschiedlicher Tempi: Presto, Allegretto und Moderato. Die Musik hat einen jazzigen, lateinamerikanischen Touch. Die abschließende Novellette, Allegro vivo, zeichnet sich durch einen kraftvollen Marsch aus, gefolgt von mehreren kanonischen Abschnitten. Die „Chamber Players“ interpretierten die Neuigkeiten (Novelletten) äußerst gefühl- und respektvoll, erhielten dabei ausreichend Gelegenheit, durch kurze Solosequenzen, jeweils auch einzeln zu glänzen, sehr zur Freude des gutgelaunten Publikums.
WOLFGANG AMADÉ MOZART Oboen Quartett F-Dur KV 370/368b
Mozarts Oboen Quartett in F-Dur KV 370 entstand wahrscheinlich im Winter 1780/81 in München. Mozart hielt sich damals wegen der Proben zu seiner Oper „Idomeneo“ in der bayerischen Residenzstadt auf. Und die Komposition ist eine echte Ausnahmeerscheinung in seinem Werkkatalog.
Tänzelnder Mozart
Im Gegensatz zum konventionellen Streichquartett übernimmt – ja: ersetzt – die Oboe die Partie des Primarius. Trotz allem ein jugendlicher, manchmal gar übermütig tänzelnder Mozart, wie man ihn kennt und liebt.
Nach einem schönen Cellointro sprudelt die Oboe fröhlich und voller Lebensfreude auf dem Klangteppich der sie begleitenden Streichinstrumenten.
Mozarts einziges Kammermusikwerk für Solo-Oboe ? Kein Oboist möchte es in seinem Repertoire missen! Wie das Klarinettenquintett wurde auch das Oboen Quartett einem befreundeten Musiker auf den Leib komponiert: Mozart schrieb es für Friedrich Ramm, Mitglied des berühmten Mannheimer Orchesters. Seitdem ist es das wichtigste und bekannteste Werk seiner Gattung. Den virtuos-verspielten Ecksätzen steht ein kurzer Mittelsatz in Moll gegenüber, der auch die elegischen Klangfarben des Instruments zur Geltung bringt.
Singender Kopfsatz
Es besteht aus einem überaus fein gearbeiteten, „singenden“ Allegro-Kopfsatz, einem pathetischen d-Moll-Adagio im Gluckschen Stil und einem Rondo im Sechsachteltakt, in dem die Oboe für kurze Zeit in den Viervierteltakt überwechselt, während die Streicher im Sechsermetrum bleiben – ein frühes Beispiel für Polyrhythmik. dabei dürfte es sich um einen Faschingsscherz Mozarts handeln, wie das viele deuten.
Quartette mit Oboe sehr populär in der Wiener Klassik
Das Quartett für Oboe und Streichtrio war eine weitaus populärere Form in der Wiener Klassik als allgemein bekannt. In den Jahrzehnten zwischen 1760 und 1800 wurden von mindestens 45 verschiedenen Komponisten nahezu zweihundert Oboen Quartette komponiert, von denen nur etwa ein Drittel in einer modernen Ausgabe erschienen ist.
Tradition in Böhmen und Mähren, Teile der späteren Tschechoslowakei
Oboen Quartette waren beliebt und wurden in ganz Europa veröffentlicht, aber nirgends war die Form so beliebt wie in Wien, lange Zeit ein Magnet für Musiker aus Böhmen und Mähren (heute Teile der Tschechischen Republik), Regionen, in denen die Tradition des Oboen- und Fagott Spiels besonders intensiv gepflegt wurde.
Die Beliebtheit der Quartettform war so groß, dass diese Gattung oft auch als „Wiener Oboen Quartett“ bezeichnet wurde, wobei ein Grund hierfür die große Zahl der exzellenten Oboisten war, die in Wien lebten und auftraten.
Eine glänzende Darbietung als Schluss eines einmal erneut sehr erfreulichen Kammermusiknachmittags durch die Musiker*innen der «Strings» im passenden Ambiente des «Zeugheersaales». Das Auditorium bedankte sich dafür mit einem langanhaltenden, stürmischen Schlussapplaus.
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: Fabrice Umiglia www.fsl.swiss
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