Besetzung und Programm:
Festival Strings Lucerne, Claire Huangci, Klavier | Daniel Dodds, Leitung und Violine
Franz Schreker: Scherzo für Streichorchester (1900)
Frédéric Chopin: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 f-Moll op. 21, Fassung für Streichorchester von Ilan Rogoff (2010)
Robert Schumann: Bilder aus Osten op. 66 (1849), Fassung für Streichorchester von Friedrich Hermann (1884)
Antonín Dvořák: Serenade für Streichorchester E-Dur op. 22 (1876)
Rezension:
Dass es ein sehr ungewöhnliches Konzert werden würde, war natürlich klar, für das Orchester, wie auch für die Besucher, deren Anzahl beschränkt war, durften sich doch, inklusive Musiker, total nur 300 Personen im Konzertsaal aufhalten. Unglücklicherweise wurden vom Bundesrat Veranstaltungen mit bis zu 1000 Personen erst ab dem Montag, also dem darauffolgenden Tag erlaubt. Das Konzert, ursprünglich als reines Studiokonzert gedacht, stand unter der Schirmherrschaft des Schweizer und des Deutschen Musikrates und wurde direkt von deren beiden Radiokanälen übertragen.
Wie hatten die Musiker*innen die lange Pause verarbeitet?
Gespannt, wie die Musiker die Wochen ohne öffentliche Auftritte „verdaut“ haben, nahm man im ungewohnt lichtbevölkerten Konzertsaal Platz. Würde das Zusammenspiel so präzise sein, wie wir es vom Luzerner Renommierorchester gewohnt waren. Waren die einsamen Übungssessionen, die die Orchestermitglieder im „Home office“ für sich alleine absolvieren mussten, der Harmonie im Zusammenspiel mit ihren Mitmusikern abträglich?
Leicht verdauliches, amüsantes akustisches Appetithäppchen
Die Bedenken waren schon nach den ersten Takten verflogen, die „Strings“ lebten wie eh und je, fesselten die Zuhörer sofort mit ihrer Spielfreude, mit ihrer positiven akustischen Ausstrahlung und mit sichtlich zufriedenen, glücklichen Gesichtern und mit dem kurzen Amuse bouche, bzw. Amuse – oreille in der Form des Scherzo`s für Streichorchester von Franz Schreker auch das richtige Gespür in der Stückwahl für den Anfang des Konzertes.
Chopin in Reinkultur
Die Solistin des Abends, die amerikanische Pianistin Claire Huangci, Gewinnerin des ersten Preises sowie des Mozartpreises beim Concours Géza Anda 2018, zieht ihr Publikum durch „glitzernde Virtuosität, gestalterische Souveränität, hellwache Interaktion und feinsinnige Klangdramaturgie in den Bann. Mit Chopins Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 f-Moll war auch ein ideales Werk programmiert, um ihre große Wandlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen.
Chopin hat die Konzerte in erster Linie für sich selbst komponiert. Das Klavier steht ganz und gar im Zentrum, das Orchester begleitet dezent und dient vor allem dazu, Farben und Spannungsbögen zu unterstreichen – anders als etwa in den Konzerten von Mozart oder Beethoven, in denen Solist und Orchester gleichberechtigte Partner sind.
1. Maestoso
Chopin lässt uns zweieinhalb Minuten warten, bis er die Solistin ins Spiel des Orchesters mit einbezieht. Diese fügt sehr gefühlvoll zurückhaltend in das Ensemble ein, setzt perlende Läufe, um sich gleich wieder zurückzunehmen und das Thema weiter zu spinnen,
Ihr Spiel funkelte ab und zu wie der glitzernde Schmuck an ihrem Handgelenk.
2. Larghetto
Hier wirkte die Solistin ab und zu sehr theatralisch, offenbarte ihr grosses Potenzial als Showtalent. Ihr Spiel, wo lyrisch, poetisch und einfühlsam angesagt war, leider eine Spur zu schwelgerisch, fast leicht pomadig-süss.
3. Allegro vivace
Das Finale des Konzertes ist ein Rondo in der Grundtonart f-Moll über einen polnischen Tanz. Dieser „Krakowiak“ erscheint im Dreivierteltakt und ist ebenfalls von lyrischem Charakter. Das Tempo des Tanzes ist recht schnell und wird in einzelnen Teilen des Krakowiaks (Mazur und Oberek) feurig gesteigert. Das Rondo wird dadurch zum als Ritornell wiederkehrenden Tanzthema. Diesem werden abwechselnd lyrische Solostellen und Mazurken-Teile gegenübergestellt. Eine ausdrucksstarke Coda beendet den Satz. Chopin behandelt die Form des Rondos in diesem Satz sehr frei und vermischt sie mit der Form des Allegro. So entsteht ein feuriger, träumerischer, phantasievoller und lebensfroher Tanz. Der Satz gilt als romantische Verwirklichung des polnischen Volkstanzes und bot der Solistin ausreichend Gelegenheit, in die Rolle einer Salonlöwin zu schlüpfen und ihr technisches Können zu demonstrieren, immer kongenial unterstützt vom bestens aufgelegten Orchester. In diesem Satz überzeugte die Amerikanerin chinesischer Abstammung mit fantastisch hingeworfenen Läufen, filigranen Zislierungen, mit kraftvoll energischen Staccati ebenso wie mit subtilen Tremolo. Wundervoll ausgespielt die großangelegten Figurationen kurz, unterbrochen durch einen düsteren, harmonisch interessanten Einwurf des Orchesters, den das Klavier in der Art eines Echos erwidert, bevor das Motiv wieder gefunden und das Finale mit dem poetischen Thema ausgespielt wird. Das Publikum honorierte die grandiose Darbietung der Musiker mit starkem Applaus und einigen Bravorufen für die Solistin. Da es in Coronazeiten ratsamer ist den Publikumsverkehr einzuschränken, gab es denn auch keine längere Pause, es blieben aber zehn Minuten, um, wenn nötig, das stille Örtchen aufzusuchen.
Schumanns Bilder aus dem Osten zum Start in den 2. Konzertteil
Schumann wurde dazu vom ‚Makamen‘ – einer Gattung arabischer gereimter Prosa, inspiriert und er schrieb es ursprünglich als Klavierstück für vier Hände. An diesem Abend interpretierten die „Strings“ die Komposition in der Fassung für Streichorchester von Friedrich Hermann. Unter der subtilen Aegide von Daniel Dodds, wie immer sitzend, waren die Musiker*innen in ihrem Element, der kammermusiklischen Formation als reine Streicher, einmal mehr eine Klasse für sich.
Slawische Klänge zum Abschluss
Die fünf Abschnitte, das Moderato, Tempo di Valse – Trio, Scherzo vivace, Larghetto und Finale: Allegro vivace, sind sehr unterschiedlich und doch eine Symbiose slawischer Lebensfreude, die sich als grosse Spielfreude auf die Musiker überträgt.
Die Musik des jungen Dvořák ist manchmal überbordend und neigt zu thematischem Wildwuchs, zeigt aber größtes Talent, ein Gespür fürs Volkstümliche und jugendliche Frische. Aus dem Fundus böhmisch inspirierter Volkslieder, extrahierte der Komponist die ihm geeignet erscheinenden Sequenzen für viele seiner Kompositionen. Ein Musikreigen, wie geschaffen für das Luzerner Ensemble von Weltruf, eine Inspiration für überbordende Spielfreude, gepaart mit solistischen Zwischenspielen auf höchstem Niveau, Musikgenuss pur. Das erlesene Publikum sah das auch so und belohnte die Künstler mit langanhaltendem Applaus, der den „Chef“ Daniel Dodds immer wieder auf die Bühne zurückrief, bis er sich dazu entschliessen konnte, uns doch noch eine Zugabe zu gewähren und so servierte man uns als „Bettmümpfeli“ noch Schumanns Abendlied in der Fassung von Johan Svensson.
Text: www.leonardwuest.ch Fotos: Fabrice Umiglia festivalstringslucerne.org/de/home
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