Besetzung und Programm:
Baiba Skride – Violine
Pablo Ferrández – Violoncello
Daniel Dodds – Leitung & Violine
Festival Strings Lucerne
Wolfgang Amadé Mozart
Violinkonzert Nr. 5 A-Dur KV 219
Peter Iljitsch Tschaikowsky
Rokoko-Variationen für Violoncello und Orchester A-Dur op. 33
(Bearbeitung für Streichorchester von D. Walter)
Camille Saint-Saëns
La muse et le poète für Violine, Violoncello und Orchester op. 132
(Bearbeitung für Streichorchester von D. Walter)
Wolfgang Amadé Mozart
Sinfonie Nr. 29 A-Dur KV 201 (186a)
Rezension:
Es könnte wieder für längere Zeit das letzte Konzert vor gutbesetzten Rängen im KKL Luzern werden wusste ich, nachdem ich den nachmittäglichen „Point de presse“ des Bundesrates verfolgt hatte, wobei dieser, u.a., die Begrenzung der Zuschauerzahl für solche Anlässe vorerst wieder auf 50 Personen begrenzt hatte.
Somit beginnt wieder die Ungewissheit für Veranstalter und Künstler, wann, ob und wie es weitergehen soll und wird. Dies ist umso bedauernswerter und ärgerlich, da das Schutzkonzept im KKL Luzern sehr gut funktioniert und strikte angewandt wird.
So müssen jetzt wieder alle Veranstalter darunter leiden, dass einige Clubbetreiber es zuliessen, dass etliche ihrer Besucher sich als Donald Duck und mit ähnlichen Fakenamen eingetragen haben, anstatt die klaren Vorgaben der Behörden seriös umzusetzen.
Wolfgang Amadé Mozart Violinkonzert Nr. 5 A-Dur KV 219
Im weiträumigen E-Dur-Adagio verwandelt sich das Äther-Licht des ersten Satzes in einen zarten Schimmer. Die Solo-Violine stimmt einen innigen Gesang an, und wie in dem Adagio-Einschub am Beginn des ersten Satzes schweift sie bei ihrem Singen immer wieder für Augenblicke ab, scheint sich nach Moll wie in eine schmerzliche Ferne zu verlieren: Seelenbewegungen, deren Innerlichkeit nicht nur bei der Solo-Stimme feinstes Fingerspitzengefühl erfordert, sondern auch in der Behandlung des Orchester-Apparats. Die fratzenhafte Kehrseite von A-Dur, nämlich a-Moll, steht bei Mozart die wenigen Male, da er diese Tonart verwendete, für unruhige Depressivität.
Mozart lässt die Bässe bedrohlich klingen
Und wäre des Bedrohlich-Düsteren noch nicht genug, lässt er die Bässe in dieser Episode „coll‘ arco al rovescio“ spielen, also mit dem Bogenholz, nicht dem Roßhaar auf die Saiten schlagen. Die Sologeige stimmt mit ein in den seltsamen Spuk – dann allerdings kehrt, als wäre gar nichts gewesen, das beschauliche Menuett zurück. Was war nun Maske? Was das wahre Gesicht? Das Finale des A-Dur-Konzerts beginnt rokokohaft-galant, mit einem liebenswürdig zarten Menuett. Doch Mozart wäre nicht Mozart, hätte es damit schon seine ganze Bewandtnis. „Mozart hat immer wieder gerne überraschend Derbes eingeschoben – zum Beispiel dieses ‚Alla turca‘ im Finale. Mozart verbeugt sich ein letztes Mal, mit einer nach oben gerichteten Piano-Geste, die Antwort aber bleibt er – wie immer – schuldig. Die lettische Solistin überzeugte mit ihrer Feinfühligkeit mit einem sanft-warmen, manchmal etwas zu süssem Ton ebenso wie mit eruptiver Expressivität, überspielte dabei aber nie die sie souverän unterstützend begleitenden Strings.
Adagio als Höhepunkt
Besonders eindrücklich intonierte Skride die Adagio-Anwandlung aus Traum und Wehmut die sich auflöst in flirrendes Allegro und das seraphische Licht von A-Dur. Das abschliessende Rondeau machte, schön abgerundet und ausgespielt, seinem Namen alle Ehre. Das Publikum, im nicht voll besetzten Konzertsaal, belohnte die Ausführenden mit langanhaltendem, stürmischem Applaus.
Dass Mozart sowieso dem Klavier mehr zugeneigt war verdeutlicht diese Episode: Im September 1778, als die Rückreise von Paris nach Salzburg bevorstand und die Fron der heimatlichen Hofmusik ihren bedrohlichen Schatten vorauswarf, schrieb er an den Vater: „Nur eines bitte ich mir zu Salzburg aus, und das ist: dass ich nicht bey der Violin bin, wie ich sonst war. Keinen Geiger gebe ich nicht mehr ab; beym Clavier will ich dirigieren.“ Es war der Schluss-Strich unter die große Zeit des Geigers Mozart.
Peter Iljitsch Tschaikowsky Rokoko-Variationen für Violoncello und Orchester A-Dur op. 33
Es scheint, als blicke Tschaikowsky in den Rokoko-Variationen wie durch ein Fernglas zurück in eine längst versunkene Welt. In eine Welt, die er offenbar als heil und unbeschwert empfunden hat – und die in extremem Gegensatz steht zur düsteren Atmosphäre der Fantasie „Francesca da Rimini“. Dieses Stück hat Tschaikowsky unmittelbar vor den Rokoko-Variationen komponiert – im Spätherbst 1876, in einer besonders sorgenvollen Lebensphase. Dass Tschaikowsky ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt die Rokoko-Variationen verfasst, spricht von der Sehnsucht nach einer anderen Gegenwart, einer anderen Welt.
Damit ist aber nicht die höfische Rokoko-Welt mit Perücke, Puder und Tanz gemeint – sondern eine bestimmte Klangwelt, die Tschaikowsky kurzerhand mit dem Begriff „Rokoko“ bezeichnet hat: Die Klangwelt des 18. Jahrhunderts – und zwar vor allem die von Wolfgang Amadeus Mozart. Die Musik dieses „sonnigen Genies“ rühre ihn „zu Tränen“, schrieb Tschaikowsky einmal. Komponiert hat er die heiteren, eleganten und geistvollen Variationen über das von ihm selbst erfundene „Rokoko“-Thema im Dezember 1876. Der 29 jährige spanische Solist, Stipendiat der Anne-Sophie-Mutter Stiftung, spielt mit dichtem satten Ton, mitreissend von brummenden Tiefen in klarste Höhen um dann, unvermittelt teilweise agressiv, bei den Verzierungen irritierend verwuselt zu klingen, brilliert aber mit seinen Crescendi und dem perfekten Zusammenspiel mit dem Orchester. Dem Auditorium gefiel diese Spielweise, was sich durch den stürmischen Applaus auch manifestierte.
Camille Saint-Saëns La muse et le poète für Violine, Violoncello und Orchester op. 132
Die Andantino-Einleitung in e-Moll zeichnet ein Bild der Schwermut. Im schwer lastenden Vorspiel klingt bereits eine schwermütige Weise an, die nur ganz kurz von einer leisen Dur-Terz der Violine verscheucht wird. Wenn sich der Dichter zu Wort meldet, steigt das Cello aus tiefer Lage in die Höhe, und die schwermütige Liedweise in e-Moll kehrt zurück. Erst mit dem zweiten Einsatz der Violine wendet sich das Blatt: Sie trillert auf der Quint h’’, erst in Moll (h-c), dann in Dur (h-cis), und plötzlich bricht fast ekstatisch ein Poco allegro in E-Dur hervor – Symbol für den „Musenkuss“, der sich in fast schon erotischen Fiorituren der Geige über den Dichter ergießt.
Die Muse (Geige) umwirbt den Dichter, (das Cello)
Noch ist er aus seiner Melancholie nicht erlöst: Das klagende Cellosolo in e-Moll kehrt zurück. Nun werden die Überredungskünste der Violine drängender (Allegretto), und endlich lässt sich der Dichter auf ein Duett ein. Dolcissimo und Teneramente, „sehr süß und zärtlich“ soll es klingen. Nach langer Überleitung und einer Violinkadenz rafft sich der Dichter endlich zu einem seufzenden Thema auf (Allegretto moderato B-Dur). In hoher Lage antwortet die Muse so verführerisch, dass sie nun auch den Dichter in ihre Sphäre hinaufzieht. Doch wieder verfällt er seiner natürlichen Schwermut. Der Dialog spitzt sich in Moll dramatisch zu, woraus plötzlich ein wildes Molto allegro in c-Moll hervorgeht. Das Cello alias der Dichter lässt seiner angestauten Verzweiflung in Form punktierter Rhythmen, wilder Tremoli und Arpeggi freien Lauf.
Die Violine holt das Cello aus seiner Melancholie
Nun aber antwortet die Violine mit einer so zärtlichen Melodie in hoher Lage, dass jeder Widerstand zwecklos ist. Endlich kann sie die dunklen Wolken vom Gemüt des Poeten verscheuchen und ihn allmählich und ganz zärtlich in ein Liebesduett verstricken. In einer kurzen Kadenz schwankt das Cello noch einmal zwischen Dur und Moll und lässt danach seine Leidensmelodie in e-Moll ein letztes Mal anklingen. Nun aber ist das Leid überstanden, Muse und Dichter werfen einander ekstatische Melodien zu, und es kommt zum dramatisch gesteigerten Durchbruch ins längst erwartete E-Dur. Das Stück schließt nach 20 Minuten orgiastisch, gleichsam in der ungehemmten Ekstase des Schaffens. Trotz nicht immer vollkommener Spielharmonie der beiden Solostimmen, war das nicht so oft programmierte Werk ein Genuss für die Ohren, belohnt mit dem entsprechenden Applaus.
Wolfgang Amadé Mozart Sinfonie Nr. 29 A-Dur KV 201 (186a)
Zum krönenden Konzertabschluss das Highlight des Abends, von Spielfreude nur so übersprudelnde „Strings“ intonieren Mozart in Reinkultur. Im ersten Satz, einem Allegro moderato, schafft es das Hauptthema erst allmählich, Aufmerksamkeit zu erlangen, doch wie Mozart diesen Prozess gestaltet, zeugt von großer Entwicklungskunst. Wenn dieses Hauptthema wiederholt wird, spielen es die tiefen Streicher dazu sogar in einem Abstand von nur einem halben Takt. Diese Kompositionsweise ist durchaus modern. Denn es scheint, als werde die Melodie wie in der Kammermusik auf verschiedene Stimmen verteilt. Und Mozart gelingt so eine gekonnte Steigerung des Ursprungsmaterials. Auf eine komplexe Durchführung folgt ein musikalisch wohl ausgefülltes Satzfinale.
Im Andante, das ein behutsames, beinahe wie ein Nachtlied geformtes Thema bereithält, beeindrucken die gedämpften Violinen – und das Klangbild: Mozart setzt die für eine Symphonie damals üblichen Instrumente ein. Doch wie er das macht, lässt aufhorchen, es ergeben sich ungeahnte Farben. Die Musiker liessen ihre Bogen fliegen und tanzen, mit Blicken und Körperbewegungen geleitet von ihrem, wie fast immer sitzenden, musikalischen Leiter Daniel Dodds an der ersten Geige.
Das Menuett zeichnet einen Gegensatz aus »Zierlichkeit und fast beethovenscher Gewalttätigkeit« aus. In der Tat ist dieser dritte Satz betont gegensätzlich gehalten, dennoch beziehen sich die beiden Mittelsätze aufeinander, indem sie jeweils mit einem punktierten Rhythmus arbeiten. Das Finale, ein Allegro con spirito im 6/8-Takt, bestach schließlich mit virtuosen Läufen und Verzierungen sowie einer klug gearbeiteten Durchführung. Das Auditorium belohnte die Musiker mit langanhaltendem, kräftigem Applaus, ahnend, dass man für längere Zeit wohl keine Live Konzerte mehr wird geniessen können.
Text: www.leonardwuest.ch Fotos: Fabrice Umiglia festivalstringslucerne.org/de/home
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