Sinfoniekonzert Nr. 25 der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter der Leitung von Christian Thielemann, Solist: Tzimon Barto (Klavier) anlässlich des Lucerne Festival im Sommer 2011.
Auf diesen Abend hatte ich mich schon lange gefreut, man erzählt sich ja wahre Wunderdinge über dieses Orchester.
Versöhnliche Geste schon in der Programmgestaltung: Hans Pfitzners Konzert für Klavier und Orchester Es-Dur mit dem aus Florida stammenden Solisten Tzimon Barto, eingebettet zwischen der Nocturne symphonique aus der Feder von Ferruccio Busoni (galt als ideologischer Antipode Pfitzners zu Lebzeiten) und der Sinfonie Nr. 1 C-Moll von Johannes Brahms, dem Leitstern einer vorangegangenen Generation, das kommt fast dem Spagat zwischen Brahminen und Wagnerianern gleich.
Da Busonis Werke sich weit weniger klar und fest umrissen darstellen, als seine musiktheoretischen Aeusserungen vermuten lassen, eignete sich die Nocturne bestens, trotz hochexpressiven Klängen, fast durchgängig in tiefen bis tiefsten Lagen, gerade bei den Bläsern, zum lockeren Aufwärmen des Orchesters.
Im übrigen ist er zum sich wohl fühlen wohl nicht geboren, äusserte sich Thomas Mann über Hans Pfitzner. Dem ist zuzustimmen, bedenkt man Pfitzners Zerrissenheit und seine Selbsteinschätzung dem Auftrag verpflichtet, als der Letzte einer grossen Zeit, das Vergangene für die Gegenwart zu retten, zerrieb er sich oft in Streitereien an der Welt und seinen Zeitgenossen um Kunst und Weltanschauung.
Dass man aber im 20. Jahrhundert, trotz der neu errungenen Atonalität und der sich abzeichnenden Zwölftontechnik noch ganz im Geiste der Romantik komponieren kann, demonstrierte Pfitzner mit seinem einzigen Klavierkonzert, das 1922 entstand und im folgenden Jahr von Walter Gieseking unter grossem Beifall uraufgeführt wurde.
Die Verbindungslinien ins 19. Jahrhundert durch die Viersätzigkeit der formalen Anlage, die Vollgriffigkeit des Klaviers und die dunkle Timbrierung des Orchesterklangs im Kopfsatz verweisen auf Brahms B-Dur Konzert, die Tonart Es-Dur auf die Tradition des durch Beethoven geprägten heroischen Stils.
Das Hauptthema des ersten Satzes erinnert klar an die Virtuosität des Klavierstils von Franz Liszt. Diese Voraussetzungen schufen den Rahmen für die Staatskapelle und insbesonders für Tzimon Barto für eine fulminante, brodelnde Interpretation, querständig wie Pfitzner selbst als Person war, aber ebenso aktuell. Grossartig, wie der muskelbepackte Hüne Barto nicht nur die kraftvollen, vollgriffigen Passagen meisterte, sondern sich auch im dritten Satz in ein fernes Zauberreich, im wörtlichen Sinn, tastete, seine Finger flink und furios über das Elfenbein spazieren führte, immer kongenial unterstützt von Christian Thielemann und seinem Ensemble.
Dafür holten sich Solist und Orchester eine wohlverdiente Ovation noch vor der Pause ab. (Nebenbei zum auflockern: wenn Bartos Landsleute nur annähernd so gut Stimmen zählen könnten, wie Tzimon Klavier spielt, wäre wohl Al Gore anstelle Georg W. Bush Nachfolger von Bill Clinton als amerikanischer Präsident geworden.) Nach der Pause folgte der Konzertabschluss mit der Sinfonie Nr 1 C-Moll, an der Brahms nachweislich über 14 Jahre in Lindenthal bei Baden-Baden gearbeitet hatte, einer Sinfonie der souveränen und reifen Meisterschaft, die Brahms mittlerweile erlangt hatte.
Ohne auf Schönheit und Gefühl zu verzichten (Schönberg), legte er ein Werk vor, dessen Achitektonik und Formzusammenfassung so stringent entwickelt sind, dass fast alle Gedanken und Motive aufeinander bezogen werden können. Die sächsische Staatskapelle interpretierte Brahms fast üppig, barock, geführt von einem selbstsicheren, souveränen Thielemann, dem es sicht- und hörbar in Dresden um einiges besser gefällt, als zuletzt in München.
Paar Details: auffallend auch das Outfit, traditionell im schwarzen Frack, die Damen in langen schwarzen Roben, so glänzend geputzte schwarze Schuhe hab ich selbst bei Offizieren der Schweizer Armee noch nicht gesehen, ebenso glänzend die ganze Darbietung. Tipp an die Verantwortlichen für das Welterbe bei der UNESCO: Wenn ihr dem Dresdner Elbtal schon wegen der leidigen Geschichte um die Waldschlösschenbrücke (die mir persönlich übrigens gefällt), das Welterbe absprecht, empfehle ich den Besuch eines Konzertes der Staatskapelle in ihrem Stammhaus, der Semper Oper und dann zu entscheiden, die Leistungen dieses Klangkörpers höher zu gewichten als die leidige „Waldschlösschenbrückegeschichte“ und dem Dresdner Elbtal das Markenzeichen Welterbe umgehend wieder zu verleihen.
Anmerkung, die ich mir nicht verkneifen kann: Wenn die Politiker in Sachsen ihre Aufgaben so im Griff hätten, wie der Thielemann die Staatskapelle, könnte das, mit den von Kohl 1990 versprochenen blühenden Landschaften im Osten, durchaus noch hinkommen.
Fazit des Luzerner Konzertes: Die Sachsen dürfen uns jederzeit wieder erobern, so, wie an diesem Abend geschafft, was die Anwesenden auch gebührend zu würdigen wussten, hab meinen Zug wegen des langanhaltenden Schlussapplauses verpasst, hat sich aber allemal gelohnt.