Direction musicale Fabio Biondi
Mise en scène Luk Perceval
Scénographie Philip Bussmann
Costumes Ilse Vandenbussche
Lumières Mark Van Denesse
Dramaturgie Luc Joosten
Chorégraphie Ted Stoffer
Direction des chœurs Alan Woodbridge
Konstanze Olga Pudova · Rebecca Nelsen1
Blonde Claire de Sévigné
Belmonte Julien Behr
Pedrillo Denzil Delaere
Osmin Nahuel Di Pierro
Konstanze âgée Françoise Vercruyssen
Blonde âgée Iris Tenge
Belmonte âgé Joris Bultynck
Osmin âgé Patrice Luc Doumeyrou
Orchestre de la Suisse Romande
Chœur du Grand Théâtre de Genève
Rezension:
Wer sich auf eine mehr oder weniger traditionelle Aufführung der «Entführung aus dem Serail» im «Grand Théâtre de Genève» eingestellt hatte, wurde an der Premiere am letzten Mittwoch enttäuscht und äusserte diese Enttäuschung am Ende mit lauten Buh-Rufen. Es waren etliche, trotzdem schafften es die Nicht-Enttäuschten nach kurzer Zeit, die Rufe zu übertönen. Denn wer sich eingelesen und vor allem eingelassen hatte auf diese neue Hör-Erfahrung, erlebte eine beeindruckende und berührende Neuinterpretation des «Singspiels» von Mozart.
Regisseur Luk Perceval hatte sich auf die Inszenierung des Werks eingelassen unter der Bedingung, dieses neu gestalten zu können. Das Leben habe sich seit Mozart verändert, erklärte er in einem Interview, auch die Oper müsse sich verändern. Er hat die archaische Form aufgebrochen, die Oper sozusagen entrümpelt von den orientalisch-exotisch gefärbten und oft über-forcierten Klischees. Die ursprünglichen Texte des Singspiels ersetzte er mit Texten der türkischen Schriftstellerin Aslı Erdoğan aus ihrem Buch «Der wundersame Mandarin». Grundthema: Das Schicksal der Migranten, das Fremdsein, die Suche und Sehnsucht nach Liebe und Erfüllung. Aslı Erdoğan kennt sich aus in Sachen Fremdsein und Exil, war sie doch mit 24 Jahren die erste türkische Physik-Studentin am CERN in Genf, einzige Frau unter 40 Männern, zudem im Jahr 2016 drei Monate in der Türkei inhaftiert. Heute lebt sie im Exil in Deutschland.
Sehnsüchtige Erinnerungen
In Anlehnung an das Serail steht auf der Genfer Bühne lediglich ein Holzkonstrukt mit Turm, welches sich fast kontinuierlich dreht. Menschen laufen drum herum, suchen und finden sich, verlieren sich wieder, verharren in Posen, die zwar Nähe suggerieren, dabei aber oft Traurigkeit und Nachdenklichkeit ausdrücken.
Geblieben aus der Oper sind die Figuren Belmonte (Julien Behr), Konstanze (Olga Pudova), Blonde (Claire de Sévigné) und Osmin (Nahuel di Pierro). Ihnen sozusagen zugestellt sind Schauspieler, welche ihre gealterte Version darstellen. Erinnerungs-Monologe (in französischer Sprache) werden abgelöst von Arien, berührende Szenen spielen sich ab zwischen Sängern und Schauspielern. Äusserst eindringlich Joris Bultynck, wenn er als gealterter Belmonte mit dunkler, samtener Stimme, entrückt und doch unglaublich präsent, seine Konstanze/Geliebte anfleht, zurückzukommen. Auch die Szene zwischen Konstanze und Blonde und ihren gealterten Egos, der fragilen Françoise Vercruyssen und der eindringlichen Iris Tenge, berührt.
Sehnsuchtsvoll wenden sich die Jungen singend an ihre Liebsten, während ihre gealterten Figuren erzählend Erinnerungen an vergangene Lieb- und Leidenschaften aufleben lassen, untermalt mit Mozarts wundervoller Musik. Osmin (Patrice Luc Doumeyrou) erinnert am ehesten an die ursprüngliche Figur, poltert und flucht als Alter über die Bühne in seinem Rollstuhl, behindert in Mobilität und Ausdruck, und bringt als Einziger Unruhe in die Szenen.
Tröstende Musik
Geblieben ist selbstverständlich auch Mozarts Musik, die Arien teils in etwas anderer Reihenfolge. Durch die dazwischen neuen gesprochenen Texte gewinnen sie aber an Tiefe und Authentizität. Man vermisst keine Sekunde die sonst oft holprig vorgetragenen, schwerfälligen und heutzutage auch als naiv empfundenen Texte der ursprünglichen Fassung. Wenn nach einem Monolog Mozarts Musik erklingt, hat das trotz der Schwermütigkeit und Melancholie etwas unglaublich Tröstliches und Erhebendes.
Zentrale Themen Sehnsucht und Einsamkeit
Mag sein, dass sich der Sinn, die Aussagen von Aslı Erdoğans Texten nicht immer mit jenen der Arien decken, sich die Themen nicht immer gleich gut überlagern. Sucht man aber den Vergleich zur ursprünglichen Geschichte nicht, erlebt man Momente tiefster Innigkeit und Musikalität. Und auch wenn die Gegenüberstellung Sänger/Schauspieler die Interaktionen teilweise einschränkt – es wird oft vorne am Bühnenrand gesungen und gesprochen – vermittelt das doch auch wieder ein Gefühl von Einsamkeit und Sehnsucht.
Die Oper endet nicht wie üblich jubilierend, sondern nachdenklich, leise, fast todessüchtig mit dem Lied «Ich würd’ auf meinem Pfad…», die gespürt einzig mögliche Art, diesen Abend zu beschliessen.
Der Versuch, eine Oper inhaltlich zu erneuern, ist in diesem Singspiel gelungen. Seitens des Publikums braucht es Offenheit, Neugier und eine gewisse Bereitschaft zum Loslassen.
Dann wird man von Perceval, Erdoğan, dem ganzen Ensemble und dem Orchestre de la Suisse Romande unter Fabio Biondi belohnt und geht bereichert nach Hause. Wie weit allerdings Anpassungen an Librettos in anderen Werken möglich sind, bleibt dahingestellt. Aber Opern könnten jüngerem Publikum bestimmt eher zugänglich gemacht werden mit Themen und einer sprachlichen Umsetzung, die mehr mit der heutigen Welt zu tun haben.
Kleine Fotodiashow der Produktion von Carole Parodi:
Text: www.gabrielabucher.ch Fotos: www.geneveopera.ch