Produktion und Besetzung:
Direction musicale Leonardo García Alarcón
Assistant direction musicale Fabian Schofrin
Assistant direction musicale Rodrigo Calveyra
Mise en scène Lydia Steier
Assistant mise en scène Maurice Lenhard
Assistant mise en scène Luc Birraux
Chorégraphie Demis Volpi
Scénographie Heike Scheele
Costumes Katharina Schlipf
Assistante décoratrice Annika Tritschler
Lumières Olaf Freese
Dramaturgie Krystian Lada
Direction des chœurs Alan Woodbridge
Hébé / Émilie / Zima Kristina Mkhitaryan
Amour / Zaïre Roberta Mameli
Phani Claire de Sévigné
Fatime Amina Edris
Bellone / Osman / Adario Renato Dolcini
Ali Gianluca Buratto
Don Carlos / Damon Anicio Zorzi Giustiniani
Huascar / Don Alvaro François Lis
Valère / Tacmas Cyril Auvity
Cappella Mediterranea
Ballet du Grand Théâtre de Genève
Chœur du Grand Théâtre de Genève
Rezension:
«Les Indes Galantes» ist eine Ballett-Oper von J.P. Rameau, bestehend aus einem Prolog und vier Szenen, welche inhaltlich nichts miteinander zu tun haben. Mal geht’s um einen grossmütigen Türken, mal um die Inkas in Peru, dann um Persien und schlussendlich um die Indianer Nordamerikas, also um «entfernte Länder und deren wilde Bewohner». Nicht einfach, dies in der heutigen Zeit umzusetzen.
Die zentrale Idee der Inszenierung von Lydia Steier, der amerikanischen Regisseurin, beruht auf der langsamen, progressiven Destruktion eines Theaters während der Aufführung. Am Ende übernimmt die Natur, Pflanzen spriessen aus dem Boden und ranken sich den Säulen hoch zu den völlig verlotterten Logen.
Gewalt gegen Liebestaumel
Da ist viel los auf der Bühne des Grand Théâtre – ein Theater im Theater, eine Bühne mit bereits recht heruntergekommenen Logen, fünf riesige Lüster, da und dort ein paar Requisiten, links ein roter Theater-Vorhang. Lazarett-Betten mit Militär-Wolldecken stehen herum. Drauf tummeln sich Paare, zu zweit, zu dritt, unter den Klängen der Arie «Vous qui d’Hébé suivez les lois» (Kristina Mkhitaryan als Hébé und auch als Emilie und Zima). Das ist erst Mal ein harmonisches Bild mit den Tänzerinnen und Tänzern in blassrosa Kostümen, unter die sich auch Sängerinnen und Sänger gemischt haben, auch wenn’s recht zur Sache geht über, auf und neben den Betten. Folgt Auftritt Bellone (Renato Dolcini, auch als Osman und Adario) der diesem Liebesgetümmel ein Ende macht. Eine Heerschar schwarzer, lärmender Soldaten verbreitet Furcht und Schrecken, fuchtelt mit Pistolen und Gewehren, rohe Gewalt gegen Liebestaumel. Die Soldaten reissen den roten Bühnenvorhang herunter, dahinter erscheinen Requisiten, welche nun nach und nach eingesetzt werden: Ein Federwedel, eine Windmaschine, aber vor allem eine Kiste mit der Aufschrift „Die Entführung aus dem Serail“. Aus dieser holt Bellone einen Turban und ein groteskes Kostüm mit riesigen Brüsten und einem Schwabbelbauch. Ende des Prologs, Anfang der ersten Szene: Aus Bellone wird der Türke Osman, aus Hébé wird Emilie. Die Soldaten haben sich zurückgezogen und über die Logen verteilt. Von dort verfolgen sie das Geschehen interessiert, lärmend und applaudierend.
Konsternation im Publikum
Kostümwechsel und langsame Demontage des Theaters markieren so die Szenen-Übergänge. Nicht alles ist für alle schlüssig, das spürt und hört man mit dem Pausenapplaus: Viele Buh-Rufe, etliche Pfiffe, verhaltenes Klatschen, etliche Besucher sind nicht wirklich «amused». «Wenn Rameau das sehen könnte» sagt eine ältere Dame leicht abfällig zu ihrer Begleiterin. Viele Sitze bleiben leer nach der Pause an diesem Sonntag-Nachmittag.
Nach der Pause dann der riesige Vorhang mit dem Bild eines Teils der Freske aus dem Foyer des Grand Théâtre. Die wunderbare Musik Rameaus, das Tänzerpaar, das diese leichtfüssig und elegant interpretiert, bereitet einen nicht wirklich vor auf die folgende Szene: Dunkle Nacht, ein paar Feuer brennen, Gestalten sitzen drum herum, eingehüllt in Decken, Kriegsverletzte treffen ein.
Versöhnendes Ende
Das Theater im Theater zerfällt weiter, von Szene zu Szene. Gewalt, Krieg, Liebe, Terror bleiben Hauptthemen des Geschehens. Es herrscht oft ein Gewusel auf der Bühne, das kann wunderschön sein, wenn z.B. Phani ganz in Weiss ihre Arie «Viens, Hymen» singt, getragen von Tänzern und Sängern in weissen Kostümen. Es wird aber fast unerträglich, wenn einer der Kriegsverletzten einen Todeskampf austrägt, so realistisch, dass man einen Moment nichts anderes mehr wahrnehmen kann. Das Ganze hat etwas Grandioses, gleichzeitig aber auch etwas Dekadentes. Irgendwie versöhnlich, fast erlösend die letzte Szene, wenn Chor und Solisten unter leisem Schneegestöber und gedimmtem Licht das «Forêts paisibles» anstimmen. Der Applaus fiel schlussendlich wärmer aus, als dass man es in der Pause hätte vermuten können.
Die Stimmen der Solisten lassen keine Wünsche offen, der Chor des Grand Théâtre ist grossartig, wie üblich, die Tänzerinnen und Tänzer fügen sich wunderbar ein in die verschiedenen Szenen. Allein das Ensemble «Cappella Mediterranea», leicht erhöht im Orchestergraben, unter der Leitung des Argentiniers Leonardo García Alarcón wäre eine Reise nach Genf wert. Man verlässt das Grand Theater aber mit gemischten Gefühlen, irgendwo zwischen Irritation und Staunen und mit, trotz allen des leisen Gefühls, vielleicht doch etwas Ausserordentliches erlebt zu haben.
Kleine Fotodiashow der Produktion von Magali Dougados:
Text: www.gabrielabucher.ch Fotos: www.geneveopera.ch