Inszenierung und Besetzung:
Skid
Chorégraphie Damien Jalet
Scénographie Jim Hodges et Carlos Marques da Cruz
Costumes Jean-Paul Lespagnard
Lumières Joakim Brick
Musique Christian Fennesz et Marihiko Hara
Ukiyo-e
Chorégraphie Sidi Larbi Cherkaoui
Scénographie Alexander Dodge
Lumières Dominique Drillot
Costumes Yuima Nakazato
Dramaturgie Igor Cardellini
Musique Szymon Brzóska et Alexandre Dai Castaing
Ballet du Grand Théâtre de Genève
Avec trio à cordes (sur scène)
Coproduction avec Maison de la Danse, Lyon, Biennale de la danse de Lyon 2023 et Fondazione Romaeuropa Arte e Cultura
In seinem ersten Programm als neuer Direktor des Genfer Balletts beschäftigt sich Sidi Larbi Cherkaoui mit den Themen der Resilienz und den Kräften der irdischen Anziehungskraft.
Für die Produktion «Mondes flottants» (Schwebende Welten) hat Cherkaoui den belgischen Choreografen Damien Jalet mit dem Stück «Skid» nach Genf geholt. Dieser will damit die Schwerkraft so sichtbar wie möglich machen und damit neue choreografische Möglichkeiten ausloten. Auf der Bühne steht eine riesige Plattform (Jim Hodges und Carlos Marques da Cruz), schneeweiss, mit einer Neigung von 34°. Über deren obere Kante schiebt sich ein erster Arm, ein erster Körper, andere folgen, lassen sich langsam über die Fläche gleiten (to skid ist Englisch für gleiten), versuchen erfolglos, sich der Schwerkraft zu entziehen und stürzen kopfüber, Beine voran, eingerollt in den Orchestergraben. Es entstehen unglaubliche Bilder, einzigartig, episch, verstörend, auch teilweise anstrengend, meint man doch ab und zu, sich festkrallen zu müssen, um nicht selber verschluckt zu werden. Völlig neue Bewegungsabläufe werden möglich, Körper schieben sich übereinander, ein Knäuel formt sich, löst sich auf in eine Kette, ein Glied reisst, die Körper folgen sich im Domino-Effekt, einer nach dem anderen stürzen sie ins Nichts. Immer wieder erscheinen die Tänzer*innen oben, versuchen sich in Standhaftigkeit, bäumen sich auf, halten sich gegenseitig, verknäulen sich, um schlussendlich einmal mehr wehrlos in die Tiefe zu gleiten und abzustürzen.
Verstörend schöne Schattenbilder
Mit zunehmendem Licht verstärken sich die Schatten auf der Plattform, Körper gebären sich aus ihren eigenen Schatten, Arme werden unendlich lang, oft weiss man nicht, wo der Körper aufhört und der Schatten beginnt. Dann wieder formt sich ein mehrköpfiges Amphibien-Wesen auf der Plattform-Kante, schiebt sich schlangenartig hinunter, versucht, die Schwerkraft zu beherrschen, bevor es von ihr beherrscht wird. Dann steigen die Tänzer*innen die Plattform hoch, kriechen, hüpfen froschähnlich einer über den anderen, formen Dreiecke, Linien und man fragt sich, wie bei diesem Kraftaufwand, bei dieser Anstrengung eine solche Präzision möglich ist.
Geburt und Absturz
In einem letzten Bild hängt ein Körper eingerollt in einem strumpfähnlichen Kokon, versucht, sich daraus zu befreien, dreht, wendet sich bis sich endlich ein erster Fuss herausschält, dann ein zweiter, dann ein Bein. Ein mühsamer Geburtsprozess, bis ein makelloser Körper auf noch wackligen Beinen langsam die Plattform hochsteigt, Schritt für Schritt, vornübergebeugt, jeder Muskel, jeder Knochen der Wirbelsäule sichtbar im gleissenden Licht. Auch dieser Körper stürzt in die Tiefe, nachdem er den Gipfel erreicht hat.
Die Musik von Christian Fennesz und Marihiko Hara ist geisterhaft, eindringlich, laut, oft schmerzhaft laut, drückt in gewisser Weise die unglaubliche Anstrengung aus, die Sisyphus artigen Versuche, sich gegen etwas aufzulehnen, gegen das kein Ankommen ist. Das Genfer Premieren-Publikum zeigte sich begeistert!
Unmögliche Treppen
Im zweiten Teil des Abends folgte die Uraufführung von «Ukiyo-e» von Sidi Larbi Cherkaoui, eine Meditation über unsere Fähigkeit zur Resilienz, wie Cherkaoui erklärt. Auf der Bühne stehen hölzerne Treppenelemente (Alexandre Dodge), die immer wieder zu neuen Formationen zusammengefügt werden. Inspiriert habe ihn dabei der Künstler M.C. Escher mit seinen «unmöglichen Treppen». Auch hier stürzen die Tänzer*innen teilweise in die Tiefe, aber sie verlieren sich auch in den immer wieder neu arrangierten Treppen, legen sich auf die Stufen, steigen hinauf und herunter. Cherkaoui sieht darin die Suche nach einem möglichen Weg, sich in einem definierten Raum zu begegnen, miteinander umzugehen, ohne sich zu erdrücken. Die Tänzer*innen bilden immer wieder neue Gruppen, mal treffen sie sich zu dritt, mal tanzen sie selbstverloren allein, dann formen sie gemeinsam einen Knäuel, aus dem ein Tänzer sich erhebt, das Ganze definiert und eingerahmt durch die Treppen-Elemente.
Das ist sehr ästhetisch, vor allem auch durch die wunderbaren Kostüme von Yuima Nakazato von strengem Schwarz über edle, farbdurchsetzte Gewänder bis hin zu engen Trikots mit blutenden Herzen. Faszinierend die Live-Musik von Szymon Brzóska für Streichtrio und Klavier und die rhythmischen Kreationen für Perkussionsinstrumente und elektronische Musik von Alexandre Dai Castaing, die Gesangssoli, die Kodo-Trommel. Cherkaouis Tanzsprache hat die nötige Leichtigkeit, die Tänzer*innen scheinen oft zu schweben, wie es der Titel antönt, aber es gibt auch Längen durch die wiederkehrenden Bewegungen und Drehungen, die ab und an tanzende Derwische erinnern. Emotionen kommen kaum auf, sind vielleicht auch nicht gewollt und es bleibt eine leichte Verunsicherung, Cherkaouis Ansatz erschliesst sich einen nicht auf Anhieb. Ein grosses Lob dem ganzen Tanz-Ensemble, welches in beiden Stücken restlos überzeugte.
Ein spannender Abend mit zwei sehr gegensätzlichen Choreografien, die aber auch grosse Parallelen aufweisen.
Kleine Fotodiashow der Produktion von Grégory Batardon:
fotodiashows.wordpress.com/2022/11/24/grand-theatre-de-geneve-mondes-flottants/
Text: www.gabrielabucher.ch
Fotos: Szenenfotos von Gregory Batardon www.gtg.ch
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