Produktion und Besetzung:
Musical Director Facundo Agudin
Stage Director Daniele Finzi Pasca
Set Designer Hugo Gargiulo
Set design collaborator Matteo Verlicchi
Costumes Designer Giovanna Buzzi
Lighting Designer Daniele Finzi Pasca
Choreographer María Bonzanigo
Choir Director of the Cercle Bach Natacha Casagrande
María Raquel Camarinha
La voz de un payador Inés Cuello
El Duende Melissa Vettore & Beatriz Sayad
Acrobats and actors of the Compagnia Finzi Pasca
Cercle Bach de Genève and Chœur de la Haute école de musique de Genève
Orchestre de la Haute école de musique de Genève accompanied by tango soloists
Das glanzvolle Foyer des Grand Théâtre Genf brummte, die Besucher*innen hatten soeben eine umfassende Einführung in das Leben des argentinischen Komponisten Astor Piazolla erhalten, jetzt drängten sie Richtung Saal, gespannt darauf, was der Premierenabend von «Maria de Buenos Aires» bringen würde.
Die Seele des Tangos
Die Operita, die kleine Oper, wie Piazolla das Stück nannte, hat keine verfolgbare Handlung und besteht in der Genfer Aufführung aus 17 Szenen. Es ist eine Liebeserklärung an den Tango und seine Heimatstadt Buenos Aires. María wird «an einem Tag, als Gott betrunken war» geboren und macht sich aus den ärmlichen Vororten auf ins Zentrum der Stadt. Dort erliegt sie der Verführung des Tangos und wird zur Prostituierten, wird getötet, in die Hölle verdammt, gerät in einen grotesken Zirkus von Psychoanalytikern und bringt schlussendlich eine neue Maria zur Welt. Maria ist Heilige, Hure und Muttergottes in einem, sie steht für das Leben, Sterben und Wiedergeboren werden. Sie ist die Seele des Tangos, sie ist der Tango in Person.
Es ist praktisch unmöglich, den hochkomplexen, ziemlich unverständlichen und mit Metaphern und Symbolen gespickten Wortmalereien von Horacio Ferrer zu folgen. Gesungen und rezitiert wird auf Spanisch, mit französisch-englischen Untertiteln. Da die Texte aber kaum etwas beitragen zur Handlung, die an sich auch gar keine ist, kann man sich getrost auf die Stimmungen und Stimmen, auf die unglaubliche Atmosphäre und die wunderbare Musik konzentrieren.
Helvetische Verhältnisse
Die Erwartungen an die Inszenierung waren insofern gross, als man Regisseur Daniele Finzi Pasca vor allem von der «Fête des Vignerons» im Jahr 2019 kennt. Da sich der Tango auch akrobatisch tanze, habe er mit seiner Compagnia beschlossen, dies auf lokale Art auszudrücken, im Wintersport und im Speziellen im Schlittschuhlaufen. Ausgangspunkte waren also Kälte, Eis, eine Eisbahn und Schnee. Auch sonst hat sich Finzi Pasca die eine oder andere Freiheit erlaubt: So sind alle männlichen Rollen von Frauen besetzt. Frauen hätten einen anderen, unverkrampfteren und nicht so machistischen Blick auf das Leben von Maria und nähmen dem Ganzen etwas von der Dramatik, welche die Argentinier so lieben. Und die Rolle des Duende, des Geistes von Maria, hat er doppelt besetzt. Den Szenografen Hugo Gargiulo bat er, nicht den stereotypen Bildern von Buenos Aires zu verfallen. Dieser entschloss sich, die Handlung in einem Friedhof zu beginnen, da der Tod in diesem Stück omnipräsent ist.
Grossartige Szenenbilder
So hebt sich also der Vorhang zu den ersten Tangotönen auf eine riesige, graue Urnenwand, davor steht ein goldener Sarg mit leuchtend roten Blumen. Eine endlose Prozession von Menschen in Wintermänteln, Mützen und Pelzkappen bringt weitere Sträusse flammendroter Blumen vorbei. Buenos Aires zwar helvetisch kühl, und doch bleibt die verruchte, verrauchte Atmosphäre der Grossstadt sicht- und spürbar dank der grossartigen Szenenbilder von Gargiulo. Da ist dieses oft schummrige Licht, die Dimensionen der Bühnenbilder, die mit Portraits von Piazolla und Ferrer besprayte Wellblechwand, die riesige Stahlkonstruktion vor dunkelblauem Hintergrund, in Anlehnung an das Singer-Gebäude in Buenos Aires. Eingepackt in ihre Mäntel schauen die Menschen von dessen verschiedenen Ebenen beobachtend herunter, die Lichtkegel ihrer Taschenlampen umtanzen die Szenen. Vor dieser Kulisse entstehen magisch-poetische Bilder, zwischen Zirkus und Traumlandschaft: Da sind Pole-Tänzerinnen, Fassadenkletterer, Seilakrobaten im Gegenlicht, ein wilder Tango im Reifen zu zweit.
Auch sonst zaubert Finzi Pasca eine Fülle von fantastischen, skurrilen, poetischen Bildern auf die Bühne; die akrobatischen Einlagen auf der Urnenwand, die Toten, die aus den Grabluken schauen, der Tanz mit den Puppen, das Ballett der teils ferngesteuerten Betten, der Folienvorhang, zuerst goldglänzend, dann rot wie Feuer, Himmel und Hölle für Maria? Und scheinbar leicht wie eine Feder trotz Schlittschuhen, dreht sich in der zweitletzten Szene eine Akrobatin im Ring hoch über der Eisbahn, ein magischer Moment. Während der Chor in dunkle Mäntel gekleidet ist, tragen die Frauen Kleider in verschiedensten Rottönen, das Rot-Schwarz doch eine Hommage an den Tango.
Die Geschichte endet dort, wo sie begonnen hat, auf dem Friedhof mit der riesigen Urnenwand, aber statt Blumen legen die Menschen nun rote Tangoschuhe auf den Sarg.
Überzeugende Protagonistinnen
Dramatisch und doch ab und zu mit einem Augenzwinkern rezitieren die beiden Duendes Melissa Vettore und Beatriz Sayad ihre Texte, als Payador überzeugt Inés Cuello mit einer unglaublich schönen, samtig-aufgerauten Stimme. Raquel Camarinha hat als Maria etwas Entrücktes, Kühles, Reines und Unschuldiges und wenn sie die Arie der Maria singt, erzeugt das Gänsehaut-Momente. Unter der musikalischen Leitung von Facundo Agudín spielt ein ad hoc Orchester von zirka 40 Musiker*innen des «Orchestre de la Haute école de musique de Genève» zusammen mit dem Tango-Trio Marcelo Nisinman, Bandoneon, Quito Gato, Gitarre und Roger Helou, Klavier.
Das Genfer Publikum war begeistert, so begeistert, dass Maria und ihr Payador die Arie der Maria nochmal gemeinsam sangen, der Refrain ging über auf das ganze Bühnenensemble und schwappte schlussendlich sogar in den Zuschauerraum. Regisseur Finzi Pasca strahlte und klatschte dem Ensemble aus den Kulissen entgegen, zu gutem Recht, er hatte allen Grund dazu!
Text: www.gabrielabucher.ch
Fotos: Szenenfotos von CaroleParodi www.gtg.ch
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