Historia Viva historische Vortragsreihe Schicksalsjahr 1415, 3. Vortrag der Reihe, 19.3.2015, 1415 im Rathaus Sursee, besucht von Léonard Wüst

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Diepold Schilling Chroniken

Diepold Schilling Chroniken

Historia Viva,  3. Vortrag der Reihe : Schicksalsjahr 1415, Rathaus Sursee, 19. März 2015

Thema: „Im Dienste seiner Majestät; Eidgenossen, Kaiser und Reich im Jahre 1415“

Referent: Claudius Sieber-Lehmann, Universität Basel

 

Erstaunlicherweise betrachtet man das Schicksalsjahr 1415 von immer weiterer Entfernung her, je näher man sich mit ihm befasst. War beim 1. Vortrag der lokale Blickwinkel der Ereignisse das Thema, beim 2. der regionale, bzw. eidgenössische, so betrachteten wir, zusammen mit dem Referenten am 3. Vortrag die Geschehnisse schon aus europäischer Sicht, welche geopolitischen Entwicklungen diese Ereignisse bewirkten, respektive begünstigten/beschleunigten. Deren eigentliche Auslöser ja der schwelende Konflikt zwischen dem Luxemburger König Sigmund und Friedrich IV., Herzog von HabsburgÖsterreich, in Tirol, in Kombination mit den innerkirchlichen Unruhen waren.

Der Referent verweist des Öftern auf die Berner Chronik von Conrad Justinger, der sich als eine der bedeutendsten, genauesten und umfassendsten Quellen für seine Recherchen erwiesen habe, gilt doch die Chronik Justingers als eine der qualitativ bemerkenswertesten Stadtchroniken des frühen 15. Jahrhunderts und hat auf die bernische und eidgenössische Geschichtsschreibung der Folgezeit einen bestimmenden Einfluss ausgeübt. Auch erwies sich der Historiker Thomas Maissen, respektive dessen Bücher als sehr ergiebige Quelle.

Sieber zeigte deutlich auf, dass die Eidgenossenschaft nicht in dem Sinne schon bestand wie wir sie heute kennen, sondern eher lockere Städte- oder Ständebündnisse, die sich sehr schnell zu anderen Konstellationen verändern konnten, je nach politischer Grosswetterlage und den jeweiligen Partikularinteressen. Sehr klar schälte sich auch heraus, dass damals der Einfluss der Kirche eine sehr grosse Rolle spielte, da die Eidgenossen als sehr gläubig galten. Die Eidgnossschaft stand inmitten dieser ganzen Wirren, Aufstieg und Fall von Dynastien und Herrschaftshäusern, Reisläuferei und teilweise Grossmachtsvisionswahn einiger Ständevertreter, (die fanden dann ja bei Marignano hundert Jahre später bekanntlich ein jähes Ende). Später auch noch mit Reformation, Gegenreformation. Auch hatten z.B. die Berner ganz andere Prioritäten (u.a. den Burgunderfürsten Karl den Kühnen in Schach halten), die Zürcher die internen Probleme mit und um ihren Bürgermeister Hans Waldmann, die reformierte Städte wie Bern hier, die katholischen Urschweizer da usw. Schlussendlich gipfelte das Ganze ja später in den Kappeler- und Sonderbundskriegen und, oder auch, zur versöhnlichen Kappeler Milchsuppe 1529.

1415 war auch der Höhepunkt und vorläufige Abschluss des Kapitels Luxemburger gegen Habsburger. Es entstanden in ganz Mitteleuropa lockere Zweckbündnisse und, oder politisch/wirtschaftliche Interessengemeinschaften, es wurde spioniert, gelogen, betrogen, alle gegen jeden und jeder gegen alle. Es wurden aber auch Handelsbündnisse geschmiedet, die Söldner zentral entlohnt. Dreh- und Angelpunkt war für längere Zeit die Burg Stein bei Baden. Wichtige Treffpunkte waren aber auch Wirtshäuser, Tavernen und Gasthäuser. Baden war übrigens äussert beliebt bei den Delegierten, nicht nur aufgrund der zentralen Lage, sondern weil die Bäderstadt auch zur Zerstreuung kulturell – gesellschaftlich einiges zu bieten hatte, mit illegalen Spielhöllen, Bordellen und eben allem, was so dazugehört für eine richtig zünftige Delegiertenversammlung. Da es aber in den Städten gebildetere Schreiber gab (es sollte ja alles aufgeschrieben und archiviert werden), wurde das ebenfalls sehr zentral gelegene Luzern später öfters für Tagsatzungen berücksichtigt. Viel Bürokratie wurde nun auch zentral erledigt, die Stadtoberen der eroberten Herrschaftsgebiete, z.B. von Sursee wurden zu jährlichen oder zweijährlichen Rapporten in die Stadt gebeten und mussten ihren Gebietern oder Lehensherren Rechenschaft ablegen. Gewisse Städte genossen auch Privilegien wie beschränkte Gerichtsbarkeit etc. Man arrangierte sich so gut es eben ging, manchmal halt zähneknirschend, hatte dafür aber in gewissem Sinne auch eine mehr oder weniger starke Schutzmacht im Rücken.

Aber immer, wenn’s wirklich drauf ankam, siehe Burgunderkriege, schmiedeten unsere Vorfahren die richtigen Allianzen und versöhnten sich temporär wieder für übergeordnete gemeinsame Interessen und Ziele (Vielleicht die Basis der auch heute sehr häufig praktizierten und vielzitierten freundeidgenössischen Kompromisse).

 

Die langsame aber kontinuierliche Entwicklung hin zum Bundesstaat war aber bereits vorgespurt und wurde schlussendlich nach dem Wiener Kongress 1815 (bei dem die Vertreter der Eidgenossenschaft auf diplomatischer Ebene heftig mittanzten) zur Realität.

Nicht alles was ich hier schreibe wurde von Claudius Sieber – Lehmann wortwörtlich so geschildert, lässt sich aber mit ein bisschen Fantasie und dem nötigen Basiswissen (Allgemeinbildung) zusammenreimen und transportieren.

Am nächsten Donnerstag, 26. März, 20.00 Uhr gibt es nochmals eine Gelegenheit an einem, dem letzten der diesjährigen Märzvortragsreihe, äusserst spannend – lehrreichen und höchst interessanten Vortrag Thema: Architektur, Kunst und Klöster, Kulturgeschichte der Eidgenossenschaft um 1400 selbst dabei zu sein. Referentin: Anja Rathmann – Lutz von der Universität Basel.

Näheres finden Sie auf der Homepage des Vereins Historia Viva, über unten eingefügten Link erreichbar.

 

 

 

Berner Chronik von Conrad Justinger ist über unten eingefügten Link erreichbar

http://www.digibern.ch/katalog/berner-chronik-conrad-justinger

Querverweise auf Wissenswertes über den Historiker Thomas Maissen:

http://www.blick.ch/news/politik/christoph-blocher-ueber-mythen-und-historiker-sie-wollen-die-schweiz-aufloesen-id3573870.html

http://www.hierundjetzt.ch/media/filer_public/50/5d/505d9cb3-e4b1-41d2-8f82-42a41e26c3f6/174-1_medienmitteilung_geschichte_der_schweiz_20140610.pdf

Als Hilfe für allfällige zukünftige Konfliktlösungen hier noch das Rezept der Kappeler Milchsuppe:

Albert Anker Kappeler Milchsuppe 1869

Albert Anker Kappeler Milchsuppe 1869

http://www.kochbu.ch/rezepte/rezepte.php?rid=6098

Text: www.leonardwuest.ch

Bild:  http://www.historiaviva.ch

Link auf den 1. Vortrag der Reihe  vom 5. März 2015: Schicksalsjahr 1415, Luzern erobert Sursee

http://innerschweizonline.ch/wordpress/historia-viva-historische-vortragsreihe-schicksalsjahr-1415-im-rathaus-sursee-besucht-von-leonard-wuest/

Link auf den 2. Vortrag der Reihe  vom 12. März 2015: Schicksalsjahr 1415, „1415 ein historischer Wendepunkt? Kriegsführung, Kommunikation und Politik in Luzern und der Eidgenossenschaft“

http://innerschweizonline.ch/wordpress/historia-viva-historische-vortragsreihe-schicksalsjahr-1415-im-rathaus-sursee-besucht-von-leonard-wuest-2/

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