Hochschule Luzern erforscht musikalische Beziehung von Alphorn und Jodel

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Musikinstrumentensammlung Willisau AlphornGalerie Foto Priska Ketterer

Einige Gemeinsamkeiten zwischen Alphorn und Naturjodel haben die Theorie gefördert, dass sich beide in ihrer Entwicklung beeinflusst hätten. Solche Beeinflussungen sind zwar vorgekommen, müssen aber einzeln betrachtet und dürfen nicht verallgemeinert werden, sagen Musikforschende der Hochschule Luzern.

Forschen in der Musikinstrumentensammlung Willisau

Ist das Alphornspiel als «geblasener» Jodel zu verstehen? Hat es mit seiner charakteristischen Naturtonreihe und seinem Klang das Jodeln beeinflusst? Haben die beiden Musikpraktiken historische Berührungspunkte? Diese Fragen untersuchten Forschende des Departements Musik der Hochschule Luzern im Projekt «Musikalische Beziehung zwischen Alphorn und Jodel – Fakt oder Ideologie?». Das Projekt wurde vom Schweizerischen Nationalfonds SNF gefördert.

Frage nach Entstehung und gemeinsamer Entwicklung

Zwar kam das Forschungsteam zu dem Schluss, dass eine gewisse Beeinflussung je nach Region und Epoche stattfand, «aber einen gleichbleibenden Einfluss hat es nicht gegeben», sagt Projektleiter Raymond Ammann. Auch Berührungspunkte in der Entwicklung von Alphorn und Jodel konnten die Forschenden nur stellenweise nachweisen: «Früheste Quellen erweisen sich als inhaltlich zu ungenau, um daraus klare Übernahmeprozesse zwischen diesen beiden Musikpraktiken ablesen zu können.»Dennoch fanden sich durchaus interessante regionale und zeitlich begrenzte Verbindungen, die von der einfachen Übernahme typischer Alphornintervalle bis zur Imitation der Instrumentenklangfarbe durch die Stimme reichten. Zum Beispiel kann die Klangfarbe einiger Interpretationen eines Bücheljuuz im Muotatal kaum vom Klang des Büchels, einer Variante des Alphorns, unterschieden werden. Musikalische Verbindungen bestehen auch zwischen den österreichischen Wurzhorner-Jodlern und dem Wurzhorn, das dem Alphorn ähnlich ist.

Einige Schweizer Jodelkomponisten haben in ihren Kompositionen die Naturtonreihe des Alphorns übernommen – aber nicht regelmässig und nicht kontinuierlich über die letzten 200 Jahre Jodelgeschichte verteilt. Auch der Betruf als ritualisierter musikalischer Ausdruck hätte von der Alphornmusik beeinflusst werden können. «Solche Übernahmeprozesse fanden nicht kontinuierlich statt, sind stark personenabhängig und gelten ausschliesslich für begrenzte Zeitabschnitte und Gebiete», konstatieren die Forschenden.

Raymond Ammann hat mit seinem Team – Andrea Kammermann (Instrumentenkunde) und Yannick Wey (Klanganalysen) – hunderte von musikalischen Daten punkto Interpretation, Aufbau, Struktur, Tonsystemen, Klangfarben und Notationen verglichen und historische Instrumente, Darstellungen in Ton, Bild und Literatur sowie die Musikpraktiken in der Alpwirtschaft und im Tourismus untersucht. Das Untersuchungsgebiet reicht dabei von der Schweiz über den Süden Deutschlands bis nach Österreich. «Wir verfügen nun über die grösste Datenbank zu den Themen Alphorn und Jodel», erklärt Ammann. Die Forschungsresultate wurden im Buch «Alpenstimmung» im Chronos-Verlag veröffentlicht (siehe Kasten).

Naturtonreihe in einigen Melodien verwendet

Ab dem 16. Jahrhundert lassen erste Hinweise auf die Existenz des Alphorns in Form einer langen Naturtrompete auf mögliche Beziehungen zum Gesang, insbesondere zum Kuhreihen schliessen. Einige der frühen Melodien von Kuhreihen und Hirtenliedern verwenden die Naturtonreihe, was «die Möglichkeit einer musikalischen Beziehung» zum Alphorn zulasse, die aber nicht zwingend sei, so Raymond Ammann. Beschreibungen der Kuhreihen, die an den Unspunnenfesten zu Beginn des 19. Jahrhunderts gesungen wurden, zeigen eine nachhaltige Verbindung, da die typischen Alphornintervalle vorkommen und die Gesänge registerwechselnd, also jodelnd, gesungen wurden. Daran hatten Schweizer Komponisten wie Ferdinand Fürchtegott Huber und Johann Heinrich Tobler grossen Anteil, weil sie absichtsvoll typische Alphornmotive und -intervalle in Jodellieder komponierten.Manche Verbindungsstränge waren zwischendurch unterbrochen

Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden viele Männerchöre, die keine Kuhreihen oder Hirtenlieder sangen, und gleichzeitig wurden vierstimmige Lieder aus Tirol und der Steiermark beliebt. «Weder bei der Bearbeitung bekannter Volkslieder und Kuhreihen noch bei Neukompositionen entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neue Beziehungen zwischen Jodel und Alphorn», schreibt das Forschungsteam. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stelle sich sogar die Frage, «welche regionalen Jodelausprägungen unter der Schweizer Bergbevölkerung noch vermittelt wurden und welche Überlieferungen gänzlich unterbrochen waren.»

Um nationale Eigenarten des Jodelns aufzuwerten und die Lieder aus Tirol zurückzudrängen, gründete sich die Schweizerische Jodlervereinigung (heute: Eidgenössischer Jodlerverband EJV). Komponisten wie Oskar Friedrich Schmalz, Johann Rudolf Krenger und Alfred Leonz Gassmann sahen in den Kuhreihen und Jodelliedern des frühen 19. Jahrhunderts «eine Inspirationsquelle» für ihre Kompositionen und förderten mit Alphorn- und Jodelkursen sowie Publikationen deren Wiederverbreitung. In den 1950er-Jahren wurde der Bau des Instruments optimiert und standardisiert und das mehrstimmige Alphornblasen konnte entwickelt werden.Keine Vorschriften, wie gejodelt oder Alphorn geblasen werden soll

Noch nie haben sich so viele Menschen mit Alphornmusik und Jodeln befasst wie heute – sowohl im Alpengebiet als auch weltweit. Letztlich, so Raymond Ammann, sei es ein Zeichen für die Lebendigkeit des Brauchtums, wenn darüber diskutiert wird, wie Alphornmusik klingen oder wie eine Jodelmelodie interpretiert werden soll. «Unsere Befunde haben keine Folgen für die Ästhetik des Spiels», sagt Ammann. «Jeder muss selbst entscheiden, wie er spielen und singen will.»
Publikation «Alpenstimmung. Musikalische Beziehung zwischen Alphorn und Jodel – Fakt oder Ideologie?» 
Forschungsteam der Hochschule Luzern: Raymond Ammann (Projektleitung), Andrea Kammermann (Instrumentenkunde) und Yannick Wey (Klanganalysen).  Chronos-Verlag Zürich. Gebunden, 232 Seiten, 80 Abbildungen.
ISBN 978-3-0340-1530-1. CHF 38.00 / EUR 38.00.  Zum E-Paper (Gratis-Download).[content_block id=45503 slug=unterstuetzen-sie-dieses-unabhaengige-onlineportal-mit-einem-ihnen-angesemmen-erscheinenden-beitrag]