In einem vierjährigen Forschungsprojekt haben der Verband Musikschulen Schweiz
und die Hochschule Luzern in Zusammenarbeit mit 37 Fachverbänden und
Institutionen der Musikbildung die ausserschulische Musiklernlandschaft der Schweiz
untersucht.
Vor zehn Jahren stimmte die Schweiz über den neuen Verfassungsartikel «Musikalische Bildung»
(Art. 67a BV) ab. Er wurde mit überwältigender Mehrheit angenommen und verankert das Ziel,
die musikalische Bildung, insbesondere von Kindern und Jugendlichen, zu stärken. Nebst dem
Musikunterricht in der Schule, für den die Kantone zuständig sind, existiert ein weites Feld an
ausserschulischen Musiklernangeboten in der Schweiz – die Anbieter reichen von Musikschulen
über Vereine bis zu überregionalen Verbänden, von Organisationen über projektbasierte
Zusammenschlüsse bis hin zu Privatpersonen. Dieses Feld erstmals genauer unter die Lupe zu
nehmen, war Ziel der Studie «Musiklernen Schweiz», die die Hochschule Luzern (HSLU) und der
Verband der Musikschulen Schweiz (VMS) zusammen mit weiteren Partnern durchgeführt haben.
Studienleiter Marc-Antoine Camp von der HSLU sagt: «Wir haben eine Branche untersucht, die
mit ihrem hohen jährlichen Gesamtumsatz wirtschaftliches Gewicht besitzt und eine grosse
gesellschaftliche Anerkennung geniesst. Denn das Musizieren dient nicht dem Selbstzweck der
musikalischen Kompetenz. Es schafft eine gemeinsame kulturelle Identität bei Menschen aller
Bevölkerungsschichten und jeden Alters.»
Vielfältige Rahmenbedingungen
Für die Studie stellte das Projektteam jene ins Zentrum, die Musiklernangebote durchführen
sowie die dazu erforderlichen organisatorischen Rahmenbedingungen schaffen und sicherstellen:
dies sind sowohl professionell ausgebildete Musiklehrpersonen als auch Amateurinnen und
Amateure. Im Rahmen von Einzelunterricht oder in Gruppen leiten sie als Angestellte einer
Institution, als Selbstständigerwerbende oder in Freiwilligenarbeit Menschen beim Musiklernen
an. «Die ausserschulische Musiklernlandschaft stellt sich äusserst divers dar», erklärt Marc-
Antoine Camp. «Das hängt mit der sprachlich-kulturellen Vielfalt, den liberalen wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen und dem basisdemokratischen, föderalistischen politischen System der
Schweiz zusammen.» All das trage zum Bestehen einer ausgeprägten Vereinslandschaft unter
den Musiklernanbietenden bei. So sind drei Viertel der institutionellen Musiklernanbietenden als
Vereine organisiert, die häufig wiederum in übergeordneten Verbänden zusammengeschlossen
sind. «Dies einerseits, um einander fachlich zu unterstützen, andererseits, um ihre Interessen
gegenüber der Politik zu bündeln», so Camp.
Finanzierung zum Grossteil über Beiträge der Lernenden
Hauptsächlich finanziert werden die Musiklernangebote mit Kursgebühren und Mitgliedsbeiträgen
der Lernenden (durchschnittlich 42%) und durch jährliche Beiträge des öffentlichen Sektors
(durchschnittlich 27%). «Nebst dieser Art der Finanzierung gehören die Kleinteiligkeit und ein
hoher Anteil an Mehrfachtätigkeiten in Teilzeitpensen zu den besonderen Merkmalen der
Branche», sagt Camp. So sind zwei Fünftel der Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer sowohl
als Musiklehrperson an einer Musikschule als auch als selbstständige Musikschaffende tätig.
Derartige Mehrfachtätigkeiten tragen auch zur Vernetzung bei. «Kooperationen werden von
Musikschulen mit ihren vielfältigen Angeboten am meisten gepflegt», so Camp. Demnach geben
72 Prozent der Musikschulen an, mit einer Volksschule intensiv zusammenzuarbeiten.
Demographischer Wandel und digitale Lernformen als Herausforderungen
Musikschulen werden heute vor allem von Kindern (47%) und Jugendlichen (29%) besucht.
Hingegen unterrichten selbstständige Musiklehrpersonen hauptsächlich Personen, die älter als
20 Jahre sind (63%). Erwachsene stellen auch in (Blasmusik-)Orchestern (71%) und Chören
(70%) die grösste Gruppe dar. Bei Letzteren fällt der hohe Anteil an Seniorinnen und Senioren
auf (30%). Befragt nach ihrer Einschätzung gehen vor allem Leitungspersonen künftig von
einem sich ändernden Szenario aus, stellt Camp fest: «Viele vermuten, dass der Anteil von
Erwachsenen aufgrund der demographischen Entwicklungen steigen wird. Angesichts der auf
Kinder und Jugendliche ausgerichteten Unterstützung von Musiklernangeboten durch den
öffentlichen Sektor stellen die erwarteten Altersstrukturen die musikalische Bildung
möglicherweise vor Herausforderungen.»
Herausforderungen birgt auch die beschleunigte Digitalisierung: Gemäss Einschätzung der
Studienteilnehmenden werden Online-Tutorials und Lernplattformen im Internet,
Cloudanwendungen, Audio- und Video-Apps sowie die Nutzung von sozialen Netzwerken und
Chatforen für künftige Musiklernangebote eine grosse Bedeutung haben. «Zugleich hat die
Pandemie die Grenzen aktuell verfügbarer Technologien für den Fernunterricht deutlich
gemacht», sagt Camp. «Die Bedeutung des Zusammenspiels vor Ort und des gemeinsamen
Singens sind wieder vermehrt ins Bewusstsein gerückt.»
Zusammenarbeit verstärken, Zugänge erleichtern und kulturelle Teilhabe fördern
Christine Bouvard vom VMS hält fest: «Die Resultate der Studie mögen Musiklernanbietende
zwar zu unterschiedlichen Strategieentwicklungen führen, aber sie legen Potenziale für
gemeinsam getragene Entwicklungsrichtungen offen.» So regen die Studienautorinnen und –
autoren zu konkreten Massnahmen an: etwa eine verstärkte Zusammenarbeit von
ausserschulischen Musiklernanbietenden mit der Volksschule, aber auch ein Ausbau dezentraler
und flexibler Angebote für Familien mit Kindern im Vorschulalter, für Angehörige tiefer
Einkommensklassen, für Personen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderung sowie
ältere Erwachsene. «Solche Massnahmen tragen zur Durchdringung musikalischer Aktivitäten in
der Gesellschaft, zur Förderung kultureller Teilhabe und zum hohen Stellenwert musikalischer
Bildung bei», so Bouvard.Die Studie «Musiklernen Schweiz» gibt eine Übersicht über ausserschulische Musiklernangebote
in der Schweiz und stellt Akteurinnen und Akteure der Branche in ihrer Vielfalt und
Komplementarität dar. Untersucht wurden Organisation, Vernetzung, Finanzierung und
Qualitätssicherungsinstrumente der Musiklernanbietenden, Fachwissen und Ausbildungen von
Musiklehrpersonen, Kursleitenden, Dirigentinnen bzw. Dirigenten und Chorleitenden sowie
mögliche Einflüsse der Digitalisierung und des gesellschaftlichen Wandels auf zukünftige
Musiklernangebote. Durchgeführt wurde die Studie vom Kompetenzzentrum Forschung
Musikpädagogik (CC MER) der Hochschule Luzern und dem Verband Musikschulen Schweiz in
Zusammenarbeit mit 37 Fachverbänden und Institutionen der Musikbildung. Nebst
leitfadengestützten Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern dieser 37 Institutionen fand
auch eine Online-Befragung bei vier Typen von Musiklernanbietenden statt: Musikschulen,
instrumentale Grossformationen (Orchester und Blasmusiken), vokale Grossformationen (Chöre)
sowie selbstständig erwerbende Musiklehrpersonen. Die Teilnehmenden beantworteten die
Umfrage entweder als Leitungsperson einer Institution oder als Durchführende von
Musiklernangeboten, wobei selbstständig erwerbende Musiklehrpersonen die Fragen für beide
Funktionen beantworteten. Insgesamt wurden 1’218 Datensätze ausgewertet[content_block id=45503 slug=unterstuetzen-sie-dieses-unabhaengige-onlineportal-mit-einem-ihnen-angesemmen-erscheinenden-beitrag]