Menschen mit Beeinträchtigung sind im Alltag häufig auf Unterstützung angewiesen. Das hat einen Einfluss auf die Art und Weise, wie sie wohnen. Ein Forschungsteam der Hochschule Luzern hat im Auftrag verschiedener Partnerorganisationen untersucht, wie zufrieden Betroffene im Kanton Luzern mit ihrer Wohnsituation sind und wie sie in Zukunft wohnen möchten. Die Ergebnisse sollen helfen, ihnen mehr Selbstbestimmung zu ermöglichen. Das Behindertenwesen in der Schweiz und im Kanton Luzern befindet sich im Wandel. Einerseits hat die Schweiz bereits 2014 das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der UNO ratifiziert, andererseits gibt es verschiedene Organisationen, die sich für eine Weiterentwicklung der Behindertenpolitik einsetzen. «Viele Einrichtungen – wie beispielsweise Wohnheime für Menschen mit Behinderungen – befinden sich deshalb in einem Strategieprozess», erklärt René Stalder, Studienleiter und Dozent für Sozialpädagogik an der Hochschule Luzern. Die hauptsächliche Frage, die sich ihnen stellt: Wie wollen diese Menschen in Zukunft wohnen? «Diese Frage können natürlich die Betroffenen selbst am besten beantworten», so Stalder. Bislang gab es allerdings kaum Studien, die deren Bedürfnisse abbilden. In diesem Kontext hat sich eine Arbeitsgemeinschaft, bestehend aus der Hochschule Luzern, der Dienststelle für Soziales und Gesundheit des Kantons Luzern, den Behinderteneinrichtungen und verschiedenen Eltern- und Fachorganisationen gebildet, um Menschen mit Beeinträchtigungen nach ihren Wohnbedürfnissen zu befragen.
Betroffene mit Wohnsituation mehrheitlich zufrieden
Von den an der Studie teilnehmenden erwachsenen Personen mit einer Beeinträchtigung wohnen rund 40 Prozent in einem Wohnheim. 15 Prozent von ihnen leben mit ihren Eltern oder anderen Verwandten, elf Prozent mit der eigenen Familie oder der Lebenspartnerin resp. dem Lebenspartner, und zehn Prozent haben ein Zimmer in einer privaten Wohngemeinschaft. Rund ein Viertel aller Befragten lebt allein in einer Wohnung. «Es fällt auf, dass Menschen mit einer Beeinträchtigung sehr häufig in einem Wohnsetting leben, in dem sie Personen in der Nähe haben, die sie im Alltag unterstützen können», erläutert René Stalder.
Wie wohl sich jemand im eigenen Wohnumfeld fühlt, hängt unter anderem vom Grad der gefühlten Selbstbestimmung ab. Diesbezüglich liefert die HSLU-Studie interessante Ergebnisse: Wie selbstbestimmt sich die Befragten fühlen, verändert sich mit ihrem Alter. So geben 38 Prozent der Befragten im Alter von 18 bis 29 Jahren an, «überhaupt nicht» oder «eher weniger» selbstbestimmt handeln und entscheiden zu können. Ein ähnliches Bild zeigt sich mit rund 35 Prozent bei den über 65-Jährigen. «Das selbstbestimmte Gestalten des Alltags ist ein wichtiger Faktor, damit Betroffene mit ihrer Lebenssituation zufrieden sind», sagt René Stalder. 15 Prozent aller Befragten geben denn auch an, mit der aktuellen Wohnform weniger oder überhaupt nicht zufrieden zu sein. «Auch wenn ein Grossteil der Betroffenen grundsätzlich glücklich ist mit der aktuellen Situation, zeigt das doch deutlich auf, dass in gewissen Bereichen Handlungsbedarf besteht», so der HSLU-Experte. Viele betroffene Menschen leben über eine längere Zeit in derselben Wohnform. Da könne auch häufig der irrtümliche Eindruck entstehen, dass Personen, die ihre Situation nicht ändern, damit uneingeschränkt zufrieden sind.
Eigenständiges Wohnen als hauptsächlicher Wunsch
Der Wunsch nach einem autonomen und eigenständigen Leben widerspiegelt sich auch in den geäusserten Bedürfnissen im Hinblick auf zukünftige Wohnangebote. Bei Erwachsenen, die heute in stationären Wohnformen leben, ist ein deutlicher Wunsch nach mehr Autonomie erkennbar – viele von ihnen möchten gerne allein oder mit einem Lebenspartner resp. einer Lebenspartnerin zusammenwohnen. «Damit das möglich wäre, wünschen sich die Betroffenen Unterstützungsleistungen, die besser an ihre Bedürfnisse angepasst sind», so Stalder. Bedarfsgerechte Dienstleistungen, welche die individuellen Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen, müssten ausgebaut werden. Der Experte ergänzt: «Zudem hat es auf dem Wohnungsmarkt aktuell schlicht zu wenig Wohnungen, die barrierefrei eingerichtet und bezahlbar sind.» Es sei jedoch klar, dass der Aspekt der Autonomie für Menschen mit Beeinträchtigung in Zukunft das dominierende Bedürfnis sei. Dies zeigt sich in der HSLU-Studie deutlich: Junge Menschen mit einer Beeinträchtigung wollen in Zukunft eigenständig wohnen können. So äusserte sich fast die Hälfte aller Befragten unter 18 Jahren, dass sie zukünftig gerne in einer eigenen Wohnung (32 Prozent) oder in einer privaten Wohngemeinschaft (14 Prozent) leben möchten.
Betroffene sollen selbst wählen können
Aktuelle Studien zeigen, dass selbstständiges Wohnen in einer eigenen Wohnung insbesondere für jüngere Personen und Menschen mit einer leichten bis mittleren Beeinträchtigung in Frage kommt. Entscheidend ist vor allem, dass die Betroffenen selbst wählen können, wie sie wohnen möchten und in welchem Setting sie sich am wohlsten fühlen. Deshalb sei es wichtig, so René Stalder, dass auch soziale Einrichtungen, die auf die stationäre Betreuung spezialisiert sind, ihren Bewohnerinnen und Bewohnern eine möglichst hohe Autonomie im Bereich des Wohnens ermöglichen können. Dazu sollen die Ergebnisse der HSLU-Studie dienen. [content_block id=45503 slug=unterstuetzen-sie-dieses-unabhaengige-onlineportal-mit-einem-ihnen-angesemmen-erscheinenden-beitrag]