Kanton Uri, Gutachter kommt zum Schluss: Es bestand keine Ausstandspflicht

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Die Administrativuntersuchung zur Frage der Verletzung der Ausstandspflicht im Strafverfahren W. ist abgeschlossen. Die externe Fachperson kommt zum Schluss, dass keine Ausstandspflicht bestanden hatte und keine Zuständigkeiten verletzt worden sind.

Der Regierungsrat hat am 18. Dezember 2018 entschieden, die Administrativuntersuchung zur Frage der Verletzung der Ausstandspflicht im Strafverfahren W. weiterzuführen. Die beauftragte unabhängige Fachperson Daniel Kettiger, Rechtsanwalt und Verwaltungswissenschaftler, Thun, führte ein ausgedehntes Aktenstudium sowie Befragungen von involvierten Personen durch. Auf Grundlage dieser Abklärungen wurden sowohl die Vorgänge der Strafuntersuchung gegen W. Anfang Januar 2010 als auch ein Vorfall in der Bar von W. vom 19. Dezember 2006, der Anlass für einen Ausstand des Kriminaltechnikers M. hätte sein können, rekonstruiert. Schliesslich hat der Gutachter eine umfassende rechtliche Beurteilung der Ausstandsfrage vorgenommen. Diese Beurteilung führte zu folgenden Antworten auf die vom Regierungsrat gestellten Fragen:

Frage 1: Wäre im vorliegenden Fall ein Ausstand von M. angezeigt gewesen?

Nein, es bestand bezüglich der Tätigkeit des Kriminaltechnikers M. keine Ausstandspflicht. Insbesondere führte der Vorfall vom 19. Dezember 2006 nicht zu einem Ausstandsgrund.

Der für den Entscheid über den Ausstand zuständige Chef der Kriminalpolizei hat im Rahmen des ihm zustehenden Ermessensspielraums einen rechtlich vertretbaren Entscheid gefällt.

Frage 2: War es vertretbar im Sinne einer Interessenabwägung zu entscheiden, dass M. weiterhin fallbezogene kriminaltechnische Tätigkeiten ohne persönlichen Kontakt zu W. ausführen kann?

Da für M. kein Ausstandsgrund bestand, stellt sich diese Frage eigentlich nicht. Da ein Ausstand von M. abgelehnt wurde, war es zulässig, dass M. gleichzeitig von Ermittlungshandlungen unmittelbar an der Person von W. befreit wurde. Der Chef der Kriminalpolizei war frei in der Entscheidung, wen er für welche Ermittlungstätigkeiten einsetzen wollte.

Wenn eine Ausstandspflicht einer Person besteht, dann ist diese unteilbar; sie bezieht sich auf alle Tätigkeiten dieser Person im betreffenden Verfahren. Hätte der Chef der Kriminalpolizei den Ausstand von M. verfügt, dann hätte M. im Verfahren gegen W. überhaupt keine Handlungen mehr vornehmen und namentlich auch nicht eine DNA-Probe von einer Hülse nehmen und diese versenden dürfen.

Frage 3: Gibt es weitere Erkenntnisse oder Empfehlungen?

Bei der ersten polizeilichen Befragung von W. am 4. Januar 2010 brachte dieser Bedenken an der Unbefangenheit der Polizei an, die allenfalls als Ausstandsgesuch hätten betrachtet werden können. Darüber hätte der Polizist, der die Befragung durchführte, den Chef der Kriminalpolizei oder die Verhörrichterin informieren müssen. Dass diese Information unterblieb, ist ein nicht unerheblicher Fehler, selbst wenn im konkreten Fall davon ausgegangen werden muss, dass kein Ausstandsgesuch vorlag.

Die Untersuchung führt weiter zu den folgenden Erkenntnissen:

  • Das Gesetz über den Ausstand ist veraltet, weist Lücken auf und sollte im Hinblick auf eine Revision überprüft werden.
  • Entscheide zu Ausstandsfragen werden offenbar innerhalb der Kantonspolizei nicht bzw. nicht konsequent dokumentiert; es wäre aber in jedem Fall eine Dokumentation notwendig.
  • Es bestehen Unsicherheiten im Umgang mit Situationen, in welchen sich Personen über die Polizeiarbeit beschweren und unklar ist, ob diese ein Ausstandsgesuch stellen wollen.

Dem Regierungsrat wird empfohlen:

  1. vom vorliegenden Bericht Kenntnis zu nehmen und die Administrativuntersuchung definitiv abzuschliessen;
  2. die vertiefte Prüfung einer allfälligen Total- oder Teilrevision des Ausstandsgesetzes in Auftrag zu geben;
  3. dafür besorgt zu sein, dass die Polizei mittels Weisung oder Regelung im Polizeireglement (PolR) angehalten wird, die Erledigung von Ausstandsfällen (auch die informelle Erledigung) zu dokumentieren;
  4. dafür besorgt zu sein, dass die Polizei Weisungen zum Vorgehen bei unklaren Ausstandsgesuchen von Laien erhält.

Regierungsrat nimmt Ergebnis positiv zur Kenntnis

Der Regierungsrat hat den Schlussbericht am 25. Juni 2019 zur Kenntnis genommen und die Administrativuntersuchung zur Frage der Verletzung der Ausstandspflicht im Strafverfahren W. abgeschlossen.

Die Urner Strafverfolgungsbehörden standen in der Vergangenheit in der Kritik. Es wurde ihnen insbesondere vorgeworfen, bei der Beurteilung der Ausstandsfrage Zuständigkeitsregelungen verletzt zu haben. Der Regierungsrat nimmt positiv zur Kenntnis, dass der Chef der Kriminalpolizei zuständig war, über die Ausstandsfrage zu entscheiden und in der Folge auch einen rechtlich korrekten Entscheid gefällt hat. Ebenso ist der Regierungsrat über die Beurteilung des Handelns von Kriminaltechniker M. zufrieden. Der Gutachter attestiert diesem Mitarbeiter ein vollumfänglich rechtskonformes und vorbildliches Verhalten.

Empfehlungen werden umgesetzt

Die externe Fachperson empfiehlt, eine Revision des Ausstandsgesetzes zu prüfen. Der Regierungsrat stellt fest, dass das Ausstandsgesetz – gerade in Verbindung mit der Verordnung über die Verwaltungsrechtspflege – in der Praxis bisher zu keinen Anwendungsschwierigkeiten geführt hat. Trotzdem sieht der Gutachter einen gewissen gesetzgeberischen Anpassungsbedarf an heutige Gegebenheiten. Der Regierungsrat hat den Ball aufgenommen und die zuständigen Stellen beauftragt, eine allfällige Revision des Ausstandsgesetzes vertieft zu prüfen.

Schliesslich empfiehlt der Gutachter, die Dokumentationspflicht von Ausstandsfällen vorzuschreiben aber auch das Vorgehen bei unklaren Ausstandsgesuchen von Laien festzulegen. Der Regierungsrat folgt auch diesen Empfehlungen und hat die zuständigen Stellen mit der Umsetzung beauftragt.

In diesem Zusammenhang legt der Regierungsrat Wert auf die Feststellung, dass – nach geltendem Recht – sich polizeiliches Handeln im gerichtspolizeilichen Bereich inhaltlich allein nach den Ausstandsbestimmungen der Schweizerischen Strafprozessordnung richtet und solche Ausstandsfragen zudem von den Strafbehörden zu beurteilen sind.

Beilage (aufgeschaltet unter www.ur.ch/studien):

  • Weiterführung und Abschluss der Administrativuntersuchung zur Frage der Verletzung der Ausstandspflicht im Strafverfahren gegen W. Bericht zu Händen des Regierungsrats des Kantons Uri

Rückfragen von Medienschaffenden: Dimitri Moretti , Telefon +41 41 875 2799 , E-Mail Dimitri.Moretti@ur.ch

Rechtsanwalt Daniel Kettiger, Telefon +41 33 223 79 25 (10.30 – 16.30 Uhr), E-Mail info@kettiger.ch (ab 17.00 Uhr)

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Umfangreiche medienwissenschaftliche Untersuchung abgeschlossen

Die medienwissenschaftliche Untersuchung im Fall Ignaz Walker liegt vor. Der Regierungsrat hat den Bericht des Instituts für Angewandte Medienwissenschaft der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften unter der Leitung von Prof. Dr. Vinzenz Wyss zur Kenntnis genommen. Die Inhalte der Untersuchung wurden heute Freitag, 5. Juli 2019, im Landratssaal präsentiert.

Der Fall I. W. wurde im Dezember 2018 durch das Bundesgericht rechtsgültig abgeschlossen. Der Regierungsrat nahm den rechtskräftigen Abschluss dieses über acht Jahre dauernden Verfahrens zum Anlass, die erwähnte Studie in Auftrag zu geben. In der quantitativen Inhaltsanalyse wurden aus den Jahren von 2010 bis 2019 insgesamt 534 Beiträge von 19 Medien untersucht. Zudem wurden Interviews mit 15 Schlüsselpersonen im Fall Walker geführt. Die unabhängigen Gutachter arbeiteten fachlich selbständig und ohne Instruktion.

In der Untersuchung sind die seitens des Regierungsrats gestellten Fragen wissenschaftlich fundiert beantwortet. Zudem haben die Autoren die umfangreichen Medienpublikationen systematisch aufgearbeitet und analysiert. Unter anderem hält die Studie fest, dass im vorliegenden Fall anwaltschaftlicher Journalismus betrieben wurde, was jedoch durchaus legitim gewesen sei. Tatsächlich sei die Irritationen auslösende Deutung der Rundschau ein wichtiger Impuls für andere Medienbeiträge gewesen. Die Studie zeigt auch exemplarisch auf, wie Gegenbewegungen zur Berichterstattung der Rundschau und des Tages-Anzeigers entstanden, insbesondere bei der NZZ und der Weltwoche, im vereinzelten Fall auch im Urner Wochenblatt. Ein Fragezeichen macht die Studie unter anderem hinter allzu aggressiven Recherchemethoden.

Landammann Roger Nager: «Es ist eine wertvolle Gesamtübersicht über die Medienarbeit von Strafverfolgung, Medienschaffenden und weiteren am Prozess beteiligten Akteuren entstanden. Über alles gesehen attestieren die Gutachter den Medien eine diversifizierte Berichterstattung. Allerdings wird aufgezeigt, dass die Sichtweisen in einigen Medien teilweise diametral differieren. Zudem halten die Studienautoren fest, dass sowohl die Strafjustiz als auch der Journalismus eigenen Logiken und Rollenverständnissen folgen. Die Arbeit leuchtet den medienwissenschaftlichen Aspekt des Falls umfassend aus und leistet einen wertvollen Beitrag zur Urner Justizgeschichte.»

Zu Handen des Regierungsrats drängen sich laut den Autoren keine Empfehlungen auf. Die Autoren bestätigen, dass die zurückhaltende Position des Regierungsrats angebracht war. So wurde im vorliegenden Fall die Gewaltentrennung seitens des Regierungsrats stets gewahrt bis ein rechtsgültiges Urteil vorlag. Die Zurückhaltung des Regierungsrats trotz Druckversuchen von aussen erwies sich damit als richtig. Der Regierungsrat sieht deshalb seine Arbeit in den vergangenen neun Jahren bestätigt.

Die Autoren empfehlen der Strafverfolgungsbehörde, angesichts der zunehmenden Medialisierung eine aktivere Rolle einzunehmen. Nach Möglichkeit solle sie den Spielraum ausschöpfen, den die Rechtsgrundsätze und die Strafprozessordnung vorgeben. Insbesondere bei lang dauernden und öffentlich stark beachteten Fällen erachten die Autoren das Einbringen der Sichtweise der Strafverfolgungsbehörde in den öffentlichen Diskurs als legitim.

Der Regierungsrat hat die Ergebnisse der Untersuchung zur Kenntnis genommen und empfiehlt die Untersuchung zur Lektüre. Diese ist im Internet unter www.ur.ch/studien publiziert.[content_block id=45503 slug=unterstuetzen-sie-dieses-unabhaengige-onlineportal-mit-einem-ihnen-angesemmen-erscheinenden-beitrag]