Besetzung und Programm:
Rudolf Buchbinder Piano
Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)
Zwölf Variationen in C über das französische Lied «Ah, vous dirai-je Maman» KV256
Ludwig van Beethoven (1770 – 1827)
Klaviersonate Nr. 23 f-Moll op. 57 «Appassionata»
Robert Schumann (1810 – 1856)
Symphonische Etüden op. 13
Nach Camille Saint-Saëns und Johannes Brahms in den Jahren 2021 und 2022 steht nun unter anderem Robert Schumann im Fokus des Klavierfestivals, das, auf Einladung des KKL, vom Luzerner Sinfonieorchester durchgeführt und finanziell durch diverse Sponsoren und Stiftungen finanziell abgesichert wird. Interpretiert werden die Rezitals und Konzerte von absoluten Weltstars wie Martha Argerich, Rudolf Buchbinder, Khatia Buniatishvili usw.
Numa Bischof Ullmann, Intendant des Luzerner Sinfonieorchesters begrüsste die Besucher hörbar aufgeräumt und zeigte sich erfreut über den regen Zuspruch, nachdem die beiden ersten Ausgaben noch von den «Corona Beschränkungen» betroffen waren.
Über den Akteur des Abends
Der Wiener Pianist spielte Werke von Mozart, Beethoven und Schumann , Poetisches und Hochvirtuoses. Routine ist für ihn ein Fremdwort geblieben, obwohl seine internationale Karriere schon in den 1960er Jahren begann. Bis heute bereitet sich Buchbinder akribisch auf jeden Auftritt vor; er studiert Autographe oder er konsultiert und vergleicht die verschiedensten Noteneditionen der Kompositionen, die er sich vornimmt. «Wissen macht frei», erklärt er seinen Ansatz, und diese Freiheit erlaubt es ihm dann, im Konzertsaal, wenn es ernst wird, auch ganz spontan agieren zu können. Dass sein Berufsleben durch all die Erfahrungen und die Erfolge leichter geworden sei, glaubt Rudolf Buchbinder indes nicht: «Ich werde von Tag zu Tag nervöser», seufzt er. «Man legt sich selbst die Latte immer höher. Die Erwartungen des Publikums zu erfüllen, ist zu wenig, man muss sie überbieten.» So etwas nennt man wohl Arbeitsethos.
Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791) Zwölf Variationen in C über das französische Lied «Ah, vous dirai-je Maman» KV265
Da gibt’s nicht viel zu schreiben, wobei wohl nicht alle wissen, dass Mozart dieses französische Kinderlied, dank seinen Variationen, weltweit populär gemacht hat, sodass es heute in den verschiedensten Sprachen, mit sinngemäss unterschiedlichsten Texten gesungen wird.
So ist es bei uns unter dem Titel «Morgen kommt der Weihnachtsmann» bekannt, in anglophilen Ländern gibt es gar diverse Ableitungen, u.a.z.B. «Bah, Bah, a Black Sheep» und «Twinkle, Twinkle, Little Star».
Der Akteur blieb sich und Mozart treu, und interpretierte in schönstem Salzburger B arock des 18. Jahrhunderts.mit seinen noch immer sehr flinken Fingern und erfreute so das Publikum im praktisch vollbesetzten Konzertsaal mit einem rasant – fröhlichen Auftakt in dieses Rezital.
Ludwig van Beethoven (1770 – 1827) Klaviersonate Nr. 23 f-Moll op. 57 «Appassionata»
Für den Pianisten ergibt sich hier jedenfalls die kniffelige Aufgabe, seine Emotionen am Klavier gekonnt zu zügeln. Das zeigt sich schon im ersten Satz: „Es handelt sich trotz der Tatsache, dass es wie ein großes romantisches Charakterstück klingt, um einen Sonatensatz in der klassischen Struktur. Sie müssen einerseits die größte emotionale Gespanntheit erzielen und andererseits die Struktur vollkommen klarmachen, in dem Sie das Tempo immer in der Hand halten.“
Lyrisch-entrücktes Klangspiel
Plötzlicher Szenenwechsel: Aus den stürmischen Wogen des ersten Satzes ins lyrisch-entrückte Klangspiel des „Andante“. Ein schlichtes choralartiges Thema wird viermal meisterlich von Buchbinder variiert. Trotz dieser Variationsabschnitte erscheint der Satz wie aus einem Guss. „Gerade in der ‚Appassionata‘ ist es so, dass er über die normale Variation weit hinausgeht“ und man ahnt da ein bisschen schon die romantische Charaktervariation voraus. Also äusserst faszinierend.“
Zerstörerisches Finale
Was die Sonate so spannend macht, ist, dass sie zum einen eine ganz klare Botschaft hat, die jeder versteht. Auf der anderen Seite hält das musikalische Geschehen permanent Überraschungen bereit. Besonders der dritte Satz, das Finale: „Da trifft eine kompositorisch-konstruktive Welt auf ein emotionales Chaos. Nichts folgt hier den Regeln. Ein ganz interessantes Detail, was die ganze Sonate betrifft ist, dass keine einzige Phrase schulmäßig zu Ende geführt wird. Entweder es passiert eine unerlaubte harmonische Rückung. Oder die Phrase reißt ab oder sie wird durch brutale Akzente unterbrochen. Es hat so einen Charakter des permanent zerstörerischen irgendwo. Und ich denke, dass sich das sehr gut auf den Zuhörer überträgt. Denn man spürt das ja. Man hat eine Erwartungshaltung und man wird aus dieser Erwartungshaltung alle acht Takte wieder herausgerissen. Durch einen elektrischen Funken.“ Diese so vielfältigen Herausforderungen stellten für den ausgewiesenen Beethoven Interpreten keine allzu grossen Hürden dar, beherrscht er doch, dank seiner stupenden Technik und dem ebenso grossen Einfühlungsvermögen alle Feinheiten des Finger Tanzes auf den 88 Tasten des Konzertflügels.
Die Hölle für den Pianisten
Als Beethoven die „Appassionata“ schrieb, war er auf dem Höhepunkt seiner kompositorischen Fähigkeiten. Deshalb ist die Sonate auch „die Hölle, zu spielen“, wie sich z.B. Pianist Michael Korstick ausdrückt. „Er hat buchstäblich technisch alle Register gezogen. Und das macht die Sache natürlich ungeheuer schwer, das ist ganz klar. Denn die Sonate ist ja nicht so sehr vom Klavier her gedacht, sondern in der Klangmassierung beinahe orchestral konzipiert ist. Und das bedeutet, dass man in vielen Punkten an die Grenzen gehen muss, um das zu realisieren. Genau da liegen die Schwierigkeiten.“ Diese von andern Pianist*innen angesprochenen Schwierigkeiten scheinen für den Wiener Grandseigneur nicht, oder zumindest nur marginal zu existieren, und wenn, dann zumindest für uns nicht, oder kaum bemerkbar. Deshalb wohl, trägt Rudolf Buchbinder auch immer dieses wissende, zufriedene Lächeln im Gesicht.
Ein tosender Applaus des Auditoriums belohnte den Künstler für eine grossartige erste Konzerthälfte.
Robert Schumann (1810 – 1856) Symphonische Etüden op. 13
Das Werk enthält im Grunde alles, was wir an Schumann so lieben. Märchenhafte Ritter-Erzählungen, Gleichnis artige Poetik, temperamentvolle Punktierungspartys, polyphone Frickeleien – und gleichzeitig kindlich-pseudonaive Momente.
Die balladenartige und – gerade bei vorgeblich großem Ernst – immer seltsam-angenehm romantisch-ironische Übertreibung tönt schon aus dem scheinschwerfälligen Thema heraus. Und bereits in Variation I kommt es zum ersten kleinen schumanntypischen Punktierungsmassaker.
In für ihn typischer Weise – drängend, forcierend – aber dafür in einem wirklichen Pianissimo punktet Buchbinder die erste Variation in die Tasten. Schumann verdeutlicht schon früh die poetische Loslösung vom eigentlichen Thema, indem er dieses erst im fünften Takt auf den Plan ruft; mittels einer mittelstimmigen Daumenkonstellationssituation. Beim Wiener Pianisten klingt das kein bisschen pädagogisch, sondern fast warm gesungen. Eminent geschmackvoll, wie er anschließend das eigensinnig und von Schumann augenzwinkernd-romantisch »zu früh« gebrachte Ritardando gestaltet, das im eigenen Saft ausgehender Kraft mitleidslos lustig versuppt. Das ist nicht einen Funken zu kühl – und nicht einen Funken zu viel Emotion.
Schumann schrieb auch viel über seine Musik
Viel schrieb Schumann als Musikautor über die Vereinbarung von Innovation und Tradition. Kaum besser auffind- und vermittelbar schlägt sich dieses Bestreben – »Ja, Bach! Und klar: Beethoven! Aber macht mal schön weiter, Kinderchen! Wir haben Romantik!« – in der dritten Variation nieder: ein Kanon – aus Akkorden! Eine bis dato wohl einzigartige Neuerfindung Schumanns! Da klatscht es lustig Akkorde gegen die Wand! Das klingt vordergründig plump – und knüpft dennoch an amphibisch alte Fugen- und Kanon-Traditionen an.
So nimmt sich Buchbinder der unmilitärischen Kanonen an
Ganz ungewohnt ruhig und gar nicht drängend nimmt Buchbinder diesen Akkord-Kanon. Die den jeweiligen Kanon-Einsatz »kenntlich machenden« Sforzati in der rechten und der linken Hand braucht der Pianist hier gar nicht pädagogisch vorzuexerzieren. Auch mal ganz angenehm!
Bewegt doch liebevoll leise spielt der österreichische Altmeister die zwischen Zerbrechlichkeit und Selbstbehauptung sich schwankend und steigernd ergießenden cis-Moll-Gesten. Das ist bei ihm nie forciert und gewaltsam aufgedrückt und dennoch so tief, so mutig und kompromisslos. Auch den weit aufgefächerten Des-Dur-Reigen der ergänzten Variation V weint Buchbinder nicht – wie viele gutaussehende Puppenpianist*innen unserer Zeit – durch glupschäugig-selbstmitleidige Tränendrüsen, sondern bewegt durch Dynamik und Bögen, durch Innerlichkeit. Und das irgendwie ganz gesund.
Der Wiener Grandseigneur weiss immer wieder das Publikum in der Seele zu berühren, bei ihm steht nie sein Ego im Vordergrund, er sieht sich als Diener der Komponisten ohne sich anzubiedern.
Wo Buchbinder drauf steht, ist auch Buchbinder drin.
Das begeisterte Auditorium applaudierte den Künstler hartnäckig so lange auf die Bühne zurück, bis sich dieser wieder auf den Schemel setzte und nochmals in die Tasten griff.
Als erste Zugabe interpretierte Buchbinder ein Impromptu von Franz Schubert.und als danach der Applaus auch nicht verebbte, gabs als zweite Zugabe – ein fulminantes Johann-Strauss-Potpourri , das das international durchmischte Publikum zu langanhaltender Standing Ovation aufpeitschte.
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: Philipp Schmidli www.sinfonieorchester.ch
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