Rezension:
Es ist eine ungewöhnliche Situation, wenn das Licht im Zuschauerraum während der Ouvertüre noch zu grossen Teilen an ist. Umso eindrücklicher ist die Wirkung des gewählten Bühnenbilds: In einem Spiegel von gewaltigem Ausmass reflektiert sich nicht nur die Figur der Carmen, sondern auch das gesamte Publikum der Aufführung. Zu der altbekannten Musik beginnt die Inszenierung mit einer torkelnden, verwirrten Protagonistin, welche von einer mysteriösen Tänzerfigur begleitet wird. Die beiden führen das Publikum nicht nur in den Stil der Aufführung ein, sondern geben zudem eine düstere Vorahnung über den Verlauf der Handlung.
Un oiseau rebelle
Die Oper dreht sich um die verführerische Carmen und deren Liebschaften. Im Verlauf des Stücks verspricht sie ihre Liebe mal dem Soldaten José, mal dem Stierkämpfer Escamillo. Dieses Beziehungsdreieck führt zu verzwickten und bedrohlichen Situationen und findet seine Klimax in der abschliessenden Auseinandersetzung zwischen José und Carmen. In diesem Moment wird klar, dass beide Herren nie eine Chance bei ihr hatten, da sie seit Beginn der Oper dem Tod versprochen ist. Komponiert wurde das Werk von Georges Bizet. Das Libretto von Meilhac und Halévy basiert auf der 1845 erschienen Novelle Carmen von Prosper Mérimée. Die Uraufführung der Oper fand am 3. März 1875 in Paris statt, doch erst mit ihrer Aufnahme in Wien im Oktober desselben Jahres beginnt ihr internationaler Erfolg. Schon während der französischen Probezeit nimmt Bizet ständig Änderungen an seinem Werk vor, so dass heute verschiedenste Formen der Komposition vorliegen.
Oper in neuem Gewand
Die Oper Carmen ist eine sehr bekannte und von vielen Opern-Fans wahrscheinlich schon zahlreich gesehene. Umso spannender ist es, sie in der modernen wiederaufgenommenen Inszenierung des KTB zu erleben. Der Fokus wird hier von den traditionell mit der Oper verbundenen Hispanismen auf eine Zeitlosigkeit der Geschichte gelegt. Betont wird dies unter anderem mit den oft schlicht gehaltenen, jedoch sehr wirkungsvollen Kostümen. Besonders eindrücklich ist ausserdem das vielfältige Bühnenbild von Philipp Fürhofer, welches mit Licht, Dimensionen und Reflektionen spielt. Zudem wurde die Bühne des Hauses um den Orchestergraben herum erweitert und schreckt auch nicht vor direktem Publikumskontakt zurück. Eine weitere Neuerung führt Regisseur Stephan Märki mit der Figur des Jokers ein, welcher durch den maskierten Tänzer Vittorio Bertolli verkörpert wird. Der Tod wird so in den Fokus der Erzählung geholt und als einziger wahrer Liebhaber von Carmen dargestellt.
Allgemein brilliert das gesamte Ensemble durch hohe Leistungen, die sehr weit über das Gesangliche herausgehen. Die Figuren der Oper werden durch ihre schauspielerischen Glanzleistungen authentisch dargestellt und ermöglichen ein komplettes Versinken in der Geschichte. Unterstützt werden sie dabei durch das Berner Symphonieorchester unter der Leitung von Matthew Toogood. Dieser garantiert nicht nur die überragende klangliche Leistung der Instrumentalisten, sondern koordinierte auch das Zusammenspiel aller Beteiligten mit einer bemerkenswerten Präzision.
Für alle was dabei
Auch wenn Carmen ein vielbekannter und oft gehörter Opern-Klassiker ist, so lohnt sich ein Besuch des Stücks immer wieder. Besonders in einer aussergewöhnlichen Fassung wie jener des KTB. So gelingt es der Leitung und dem Ensemble, den Klassiker komplett neu zu inszenieren und auf allen Ebenen herausstechen zu lassen. Mit den bekannten Ohrwürmern und der aussergewöhnlichen Bearbeitung ist diese Inszenierung sowohl für traditionelle Opernbesucher als auch für Neulinge äusserst ansprechend. Wer die zeitlose Carmen in Bern erleben möchte, hat noch bis Mitte September die Gelegenheit dazu.
Kleine Fotodiashow der Produktion von Tanja Dorendorf:
fotogalerien.wordpress.com/2019/09/01/konzert-theater-bern-carmen-besucht-von-noemie-felber/
Text: www.noemiefelber.ch
Fotos: Annette Boutellier https://www.konzerttheaterbern.ch/
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