Produktion und Besetzung:
Regie
Leonardo Lidi
Darsteller*innen
Giordano Agrusta
Maurizio Cardillo
Ilaria Falini
Angela Malfitano
Francesca Mazza
Mario Pirrello
Tino Rossi
Massimiliano Speziani
Giuliana Vigogna
Szenenbild und Licht
Nicolas Bovey
Kostüme
Aurora Damanti
Ton
Franco Visioli
Regieassistenz
Alba Porto
Produktion
Teatro Stabile dell’Umbria
Eine Koproduktion mit
Teatro Stabile di Torino – Teatro Nazionale, Spoleto Festival dei Due Mondi
Leonardo Lidi inszenierte am Wochenende am LAC den Klassiker ,Onkel Vanja’. In diesem Meisterwerk konfrontiert Tschechow jeden einzelnen Zuschauer mit sich selbst, indem er Alltagsleben, Gefühle, Sorgen, Enttäuschungen und Träume seiner Figuren deutlich nah zeigt. Wir erleben aber in diesem Stück nicht nur Traurigkeit, Bitterkeit und Melancholie, sondern auch einige glückliche und komische Momente.
Ein Stück der Innerlichkeit
Iwan Petrowitsch Wojnickij (Onkel Wanja) begreift plötzlich, dass er ein Leben lang gearbeitet hat, um das Gut der verstorbenen Schwester zu verwalten, und dazu auch noch um die Karriere seines egoistischen, talentlosen Schwagers zu finanzieren. Er fühlt sich um sein Leben betrogen, ist neurotisch geworden, trinkt viel, schwatzt viel und, wie fast alle auf dem Serebrjakows Gut, tut nichts …….. Ja, es gibt praktisch keine Action in ‚Onkel Wanja’; wie in vielen seiner anderen Stücken portraitiert der russische Weltdramatiker die Ohnmacht einer Gesellschaft. Eine Gesellschaft voller Sehnsucht, die sich im Alltag langweilt, die pausenlos träumt, jammert und redet; die leider nur Gedanken repetitiv formuliert und analysiert, die bereut, wartet und wartet. Somit erzählt Tschechow hier im Grunde vom Ende einer Epoche im 19. Jahrhundert.
Zur Inszenierung
Tschechows Tragikomödie in vier Akten hat Leonardo Lidi zu einer etwas mehr als anderthalbstündigen pausenlosen Inszenierung konzentriert. Eine nicht schlechte Wahl vom Regisseur, weil man in diesem ‘Onkel Wanja’ nicht nur Tschechow, sondern auch alle Nuancen der typischen Atmosphäre seiner Meisterwerke mühelos erleben und verstehen kann. Auch Rhythmus und Tempo hat Lidi richtig gewählt: fast alle sentimentalen Effekte wurden gelindert, das Wesentliche wird ja bei Tschechow mit dem sehr eloquenten Text ausgedrückt. Es gab bis zum Schlussbild, dem grossartigen Höhepunkt des Abends, keine Längen.
Das Bühnenbild
Nicolas Boveys minimalistisches Bühnenbild bestand aus einer Trennwand und einer Bank aus Birkenholz, und auch dank dieser Einfachkeit konnte man sich wirklich auf den grossartigen Text konzentrieren, und das Nichtstun aller Figuren noch deutlicher spüren. Dazu setzte der Regisseur lange, mal mit Geräuschen, mal mit melancholischer Musik kommentierte Pausen. Interessant aber auch einfach das Light Design (ebenfalls von Nicolas Bovey); ländlich-modern aber adequat die Kostüme von Aurora Damanti.
Eine grandiose Besetzung
Der Regisseur konnte auf ein grandios und nie manieriert spielendes Ensemble zählen, das imstande war, alle Nuancen und die Tiefe des komplexen Textes, sowie die Fragilität, Unsicherheit, Orientierungslosigkeit, Verzweiflung der Figuren hervorzuheben. Schauspielerisch war besonders Massimiliano Speziani in der Titelrolle differenziert, eine wahrhaftige Seelenstudie. Ebenfalls gut Giuliana Vigogna als seine Nichte, die Halbwaise Sonja, und Mario Pirrello als zynischer Dr. Astrow, Vegetarier, Freund und Fan der Natur. Die erste – seit Jahren hoffnungslos in den zweiten verliebt – ist vielleicht auch die glühendste Figur des Stücks. Perfekt Ilaria Falini als Jelena, die junge, schöne, aber nicht weniger depressive und unglückliche Frau des Professors, in die alle, auch Wanja, verliebt sind. Den Professor, Onkel Wanjas Schwager, den alle – ausser Wanja – lieben und verehren, spielt Maurizio Cardillo als hypochondrischen, alten, jammernden Mann. Sehr gut auch Francesca Mazza als Marina, die alte Njanja, sowie Giordano Agrusta (Telegin) und Tino Rossi (Wächter).
Ein sehr lohnender Theaterabend
Tschechows Stücke bieten wie gesagt wenig Handlung. Es geht da eher um die inneren Vorgänge und um die Sehnsucht der Figuren. Und doch faszinierte Leonardo Lidis bittere, melancholische und poetische, aber ebenfalls heitere, zeitgemässe Inszenierung die eigentlich nicht zu zahlreichen Zuschauer am LAC. Die grosse Herausforderung war, mit einem vielversprechenden aber nicht leichten Stoff eine publikumsfreundliche Umsetzung, und damit einen schönen, überzeugenden, lohnenden Theaterabend zu bieten.
Text: https://marinellapolli.ch/
Fotos Marinella Polli Gianluca Pantaleo :https://www.luganolac.ch/it/lac/home
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