Hendrik Heilmann Klavier
Anna Rosenwasser Einführung
Alicia Aumüller Lesung
Franz Liszt «Consolations» S 172
Annemarie Schwarzenbach Auszüge aus «Eine Frau zu sehen» (1929, verlegt 2008)
«Eine Frau zu sehen, und im selben Augenblick zu fühlen, dass auch sie mich gesehen hat, dass ihre Augen fragend an mir hängen, als müssten wir uns begegnen auf der Schwelle des Fremden, dieser dunklen und schwermütigen Grenze des Bewusstseins…»Liebe auf den ersten Blick: Es gibt kaum ein Werk der Weltliteratur, das diesen Blitzaugenblick so intensiv schildert wie die kurze Erzählung «Eine Frau zu sehen» von Annemarie Schwarzenbach, dieser Schweizer Ikone der Androgynität und literarischen Genialität.
Mit 21 Jahren hält sie sich, stilgerecht für die schwerreiche Familie, aus der sie stammt, im Hotel Palace in St. Moritz auf, gefeiert als geheimnisvoll schöner Star der Society. Und da traf sie im Lift der Blick einer Frau, in dem sie versank wie im Silsersee. Der Spannungsbogen der Liebe zur fremden Frau überwölbt den autobiografischen Bericht aus dem Jahr 1929 vom ersten bis zum letzten Satz – dazwischen flirrt und schimmert die Sprache in allen Tonlagen der Sehnsucht nach der verbotenen lesbischen Lust.
Annemarie Schwarzenbach war nicht nur eine Reiseschriftstellerin, die alle Grenzen bis nach Persien überschritt, sondern auch eine Grenzgängerin der Liebe und der Drogen. Freilich hatte sie unter dem Druck der Tabus ihre lesbischen Erfahrungen zumeist genderfluid vertuscht. Um so mehr kam dieses Manuskript, als es aus ihrem Nachlass auftauchte, einer Sensation gleich: Das Coming out der Kultautorin, die 1942 in tragischer Einsamkeit im Engadin mit nur 34 Jahren starb und mit diesem Werk zum Vorbild einer neuen Generation, ja zur Stil-Ikone unserer Gegenwart wurde.[content_block id=45503 slug=unterstuetzen-sie-dieses-unabhaengige-onlineportal-mit-einem-ihnen-angesemmen-erscheinenden-beitrag]