Besetzung und Programm
Dirigent Michael Sanderling
Klavier Martin Helmchen
Sopran Chen Reiss
W. A.Mozart (1756 ‒ 1791) Konzertarie «Ch’io mi scordi di te? ‒ Non temer, amato bene» KV 505
Wolfgang Amadeus Mozart Konzert für Klavier und Orchester Nr. 20 d-Moll KV 466
Gustav Mahler (1860 ‒ 1911) Sinfonie Nr. 4 G-Dur
Die, 1979 in Israel geborene Sopranistin Chen Reiss in eleganter mit goldenen Pailletten bestickter Abendrobe und der gebürtige Berliner Martin Helmchen (*1982), Markenzeichen die immer ausgeprägtere Wuschelkopffrisur, gesellten sich zu Orchester und Dirigent und das Konzert, im quasi vollbesetzten Konzertsaal, konnte beginnen.
Meisterhafte Interpretation: Chen Reiss und das Luzerner Sinfonieorchester in Mozarts Konzertarie KV 505
Die musikalische Fusion zwischen der herausragenden Sopranistin Chen Reiss und dem klanggewaltigen Luzerner Sinfonieorchester versprach ein unvergessliches Erlebnis. In Mozarts Konzertarie „Ch’io mi scordi di te? ‒ Non temer, amato bene“ KV 505 entfaltet sich ein faszinierendes Wechselspiel zwischen der kraftvollen Stimme der Solistin und den nuancenreichen Klängen des Orchesters.
Einführung in die Harmonie der Klänge
Das Luzerner Sinfonieorchester unterstreicht von Anfang an die erhabene Atmosphäre der Komposition. Die eröffnenden Streicher setzen den Rahmen für die glanzvolle Erscheining von Chen Reiss, die mit ihrer Präsenz das Publikum sofort in ihren Bann zieht. Der Dirigent lenkt geschickt die Dynamik, um die perfekte Balance zwischen Orchester und Solistin zu gewährleisten.
Chen Reiss‘ Virtuosität: Ein Hauch von Genialität
Chen Reiss betrat die Bühne mit einer Ausstrahlung, die das Auditorium erfüllt. Ihr Sopran erklingt mit einer Klarheit, die die feinen Nuancen von Mozarts Komposition offenbart. Jeder Ton ist durchdacht und setzt die Emotionen der Arie präzise in Schwingung. Die Sängerin navigiert mühelos durch die herausfordernden Passagen und verleiht der Arie eine persönliche Note.
Die Magie der Zusammenarbeit: Sopran und Orchester verschmelzen
In den gemeinsamen Momenten von Chen Reiss und dem Luzerner Sinfonieorchester entsteht eine harmonische Einheit. Die präzise Abstimmung zwischen Stimme und Instrumenten zeugt von einem tiefen Verständnis für die musikalische Vision des Werks. Das Orchester schafft einen beeindruckenden Rahmen, der die Sopranstimme von Chen Reiss perfekt umrahmt.
Dynamische Palette: Von zart bis kraftvoll
Die Arie selbst bietet Raum für eine breite dynamische Palette, die von zarten, lyrischen Passagen bis zu kraftvollen, dramatischen Höhepunkten reicht. Chen Reiss beherrscht diese Spannung meisterhaft und verleiht der Arie eine emotionale Tiefe, die das Publikum in ihren Bann zieht. Das Orchester unterstützt diese Dynamik, indem es geschickt zwischen den unterschiedlichen Stimmungen wechselt und die Intensität der Aufführung steigert.
Klangliche Raffinesse: Das Luzerner Sinfonieorchester in Höchstform
Das Luzerner Sinfonieorchester zeigt in dieser Aufführung eine beeindruckende klangliche Raffinesse. Die Streicher erzeugen subtile Klangfarben, während die Holzbläser und Blechbläser mit präzisen Artikulationen und warmen Klängen brillieren. Die orchestralen Zwischenspiele sind nicht nur Begleitung, sondern erweitern die musikalische Erzählung und tragen zur Gesamtwirkung der Aufführung bei.
Chen Reiss‘ Bühnenpräsenz: Charismatisch und Einfühlsam
Die Bühnenpräsenz von Chen Reiss ist charismatisch und einfühlsam zugleich. Sie versteht es, das Publikum mit ihrer Ausdruckskraft zu fesseln und gleichzeitig in die emotionale Welt der Arie einzuführen. Jede Geste, jeder Blick scheint genau auf die musikalische Erzählung abgestimmt zu sein und trägt zur Intensität des Moments bei.
Fazit: Ein Konzerthighlight voller Brillanz und Emotion
In der Aufführung von Mozarts Konzertarie KV 505 durch Chen Reiss und das Luzerner Sinfonieorchester verschmelzen virtuose Gesangskunst und orchestrale Pracht zu einem beeindruckenden Konzerthighlight. Die subtile Abstimmung, die klangliche Brillanz und die emotionale Tiefe machen diese Interpretation zu einem unvergesslichen Erlebnis für Liebhaber klassischer Musik. Eine Hommage an Mozarts Meisterschaft und ein eindrucksvoller Beweis für die herausragende Qualität des Luzerner Sinfonieorchesters unter der Leitung ihres Chefdirigenten, die das Publikum mit einem langanhaltenden Applaus belohnte.
Wolfgang Amadeus Mozart Konzert für Klavier und Orchester Nr. 20 d-Moll KV 466
Über zweieinhalb Minuten vergehen, bis der Solist, Martin Helmchen, erstmals in das Geschehen eingreift. Die klassische Struktur des Werks und der Dialog zwischen Orchester und Solist würden bereits genügen, um Zufriedenheit zu schaffen. Doch Helmchen geht einen entscheidenden Schritt weiter. Er begeistert mit Tonkaskaden, mit abrupten Rhythmuswechseln, mit einer Klangfülle, die von einem Moment zum andern ins Nichts abfällt, um von einem andern Standort aus neu zu beginnen.
Helmchens Interpretation: Zwischenbrodelnde Kräfte in Mozarts Klavierkonzert
Helmchen entdeckt die „brodelnden Kräfte hinter der äußeren Heiterkeit und Beschwingtheit“, besonders in den in Moll komponierten Werken wie dem d-Moll-Klavierkonzert KV 466. Die düstere Schattenwelt hinter der äußeren Leichtigkeit in Mozarts Moll-Kompositionen findet ihre Gegenseite im strahlenden Licht seiner Dur-Werke.
Zwischen Eleganz und Dramatik: Helmchens interpretatorische Meisterschaft
Helmchens interpretatorische Meisterschaft manifestierte sich in der gekonnten Balance zwischen Eleganz und Dramatik. Insbesondere im zweiten Satz, dem Romanze, schuf er mit seinem einfühlsamen Spiel eine intime Atmosphäre. Die lyrischen Phrasen flossen geschmeidig, während Helmchen gleichzeitig die emotionale Tiefe dieser Musik auslotete. Im Kontrast dazu brachte er im dritten Satz, dem rasanten Rondo, eine mitreißende Energie und Virtuosität zum Ausdruck, die das Publikum regelrecht in Begeisterung versetzte.
Magische Momente und musikalische Dialoge: Helmchen und das Orchester im Zusammenspiel
Die Magie dieser Aufführung offenbarte sich besonders in den Momenten des musikalischen Dialogs zwischen Helmchen und dem Orchester. Das luzide Zusammenspiel, die aufmerksame Kommunikation und die scheinbar mühelose Symbiose ließen die Musik atmen und schufen Momente von erhabener Schönheit. Die subtilen Wechselwirkungen zwischen Solist und Orchester enthüllten die Tiefe von Mozarts Komposition auf eine Weise, die selbst für erfahrene Hörer neu und faszinierend war.
Fazit: Eine klangliche Reise durch Mozarts Meisterwerk
In dieser beeindruckenden Aufführung durch Martin Helmchen und das Luzerner Sinfonieorchester unter Michael Sanderling verschmolzen Virtuosität und musikalisches Genie zu einer unvergesslichen klanglichen Reise. Die Eleganz von Helmchens Spiel, die kraftvolle Präsenz des Orchesters und Sanderlings souveräne Leitung schufen ein Konzerterlebnis, das die zeitlose Schönheit von Mozarts Meisterwerk in all ihrer Pracht entfaltete.
Die nicht enden wollenden Applauskaskaden des Auditoriums belohnte der Solist schlussendlich mit Robert Schumanns «Vogel als Prophet» als Zugabe.
Kraftvolle Inszenierung unter Michael Sanderling: Mahlers Monumentalwerk, die Sinfonie Nr. 4 G-Dur, in neuer Perspektive
Dirigent Michael Sanderling verstand es geschickt, die Spannung aufzubauen und die Dramatik in Mahlers Komposition genüsslich auszuloten. Souverän und präzise führte er seine Mitmusiker durch das Werk, setzte vermehrt auf Gestik und Körpereinsatz beim Dirigat. Erstaunlicherweise stiess das Monumentalwerk in seiner Urfassung bei Publikum und Kritikern auf Ablehnung. Selbst überarbeitete Fassungen hatten einige Jahre später keinen leichten Stand. Die Sinfonie, ursprünglich von Mahler als „Titan“ betitelt, gilt heute als Meilenstein der Musikgeschichte. Ihr Weg dorthin war jedoch von Ablehnung und Herausforderungen geprägt, und auch heute noch wirkt sie mit ihren Brüchen und ihrer Doppelbödigkeit aufwühlend verwirrend.
Die eindrückliche Demonstration des Luzerner Renommierorchesters
Die Aufführung durch das Residenzorchester des KKL Luzern machte deutlich, warum diese Sinfonie ihren Platz in der Musikgeschichte zu Recht verdient. Alle Sinfonien Mahlers werden als „Finalsinfonien“ betrachtet, wie bereits der einflussreiche Musikkritiker Paul Bekker im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts feststellte. Trotzdem klingt der schliessende D-Dur-Jubel im Kontext der tragischen Geschichte, die Mahler rein musikalisch erzählt, nicht erlösend, sondern fast schmerzlich. Der Philosoph Theodor W. Adorno drückte es treffend aus: Mahler war ein schlechter Jasager.
Mahlers Monument im modernen Kontext
Die eindrückliche Inszenierung unter Michael Sanderling brachte Mahlers Monumentalwerk, bei dem man nie weiss, wird Mahler jetzt aufbrausend oder sentimental, in eine neue Perspektive. Durch geschicktes Dirigat und eine präzise Führung entfalteten sich die Facetten dieser Sinfonie vor dem Publikum. Die Luzerner Sinfoniker vereinten sich zu einem kraftvollen Klangkörper, der die Herausforderungen des Werks bestens bewältigte. Die Ambivalenz zwischen Jubel und Tragik wurde dabei auf eine Weise hervorgehoben, die das zeitlose und emotionale Erleben dieser Sinfonie unterstrich.
Ein schmerzlich-erlösender Schluss: Mahlers musikalisches Statement
Die Schlussklänge in D-Dur, die im Verbund mit der tragischen Erzählung stehen, vermittelten keine Erlösung, sondern vielmehr eine schmerzhafte Empfindung. Michael Sanderling und das Luzerner Sinfonieorchester verstanden es meisterhaft, die tiefe Emotionalität und die Kontroversen dieses Werks herauszuarbeiten. Adornos Einschätzung von Mahler als „schlechter Jasager“ fand hier musikalischen Ausdruck, der weit über die Zeit des Komponisten hinausreicht und das Publikum nachhaltig beeindruckt.
Die Sinfonie endet im vierten Satz mit einem Lied „Das himmlische Leben“ («Wir geniessen die himmlischen Freuden»), nach einem Text aus „Des Knaben Wunderhorn“. Die Sopranistin A Chen Reiss, die sich inzwischen beim Dirigenten aufgestellt hatte, meisterte die schwierige Aufgabe, einer grossen Orchesterbegleitung mit ihrer glockenreinen, filigranen Stimme standzuhalten, dieses gar zu übertönen, grossartig.
Das Publikum belohnte die Ausführenden mit einem langanhaltenden, stürmischen Schlussapplaus, bedachte die einzelnen Register mi Extraakklamationen und steigerte diesen noch bei der Hervorhebung der Sopranistin durch den Dirigenten.
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: www.sinfonieorchester.ch
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