LUCERNE FESTIVAL ACADEMY Orchestra | Matthias Pintscher | Barbara Hannigan, besucht von Léonard Wüst

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LUCERNE FESTIVAL ACADEMY Orchestra

LUCERNE FESTIVAL ACADEMY Orchestra

Mitwirkende:

LUCERNE FESTIVAL ACADEMY Orchestra

Matthias Pintscher Dirigent

Barbara Hannigan Sopran

Programm:

Johannes Maria Staud (*1974)
Zimt. Ein Diptychon für Bruno Schulz
Uraufführung der Gesamtfassung

Gustav Mahler (1860-1911)
Sinfonie Nr. 4 G-Dur

 

Rezension wie es war: Schönes, gehaltvolles Konzert an einem schönen Sommerabend in Luzern, alles eben wie gehabt und gewohnt.

 

Rezension wie es hätte sein können:

Matthias Pintscher (*1971, selber auch „Composer in residence“ am Lucerne Festival im Jahre 2006), nahm Risiko und es lohnte sich und wie!

Statt wie üblicherweise bei der Aufführung von Werken zeitgenössischer Musik, in diesem Fall sogar der Uraufführung der Gesamtfassung der Komposition: „Zimt. Ein Diptychon für Bruno Schulz „ des diesjährigen „Composers in residence“ Johannes Maria Staud (*1974), vor der Pause zu programmieren packte Pinscher die Gelegenheit und zelebrierte zuerst den eigentlich sicheren Wert, ursprünglich als krönender Konzertabschluss geplant, Gustav Mahlers „Vierte“ im Verbund mit Orchester und Solistin souverän, solide, musikalisch technisch überzeugend aber nicht mitreissend, was aber grundsätzlich logisch ist, Mahlers gutbürgerliche harmonisch ausgewogene Werke haben eigentlich noch zu keiner Zeit jemanden wirklich aus den Socken gehauen.

Solistin, Sopran,Barbara Hannigan

Solistin, Sopran,Barbara Hannigan

Höhepunkt hier sicher die einmal mehr eindrückliche Demonstration der kanadischen Sopranvirtuosin Barbara Hannigan, eine der diesjährigen „artiste „étoile“, im vierten Satz der Sinfonie: „Wir geniessen die himmlischen Freuden“. Sie bewegte sich in Sphären die manchmal wie fernöstlicher Gesang tönten, ihre Mimik wirkte nie aufgesetzt, gar verkrampft, sondern eingefühlt , dem Ganzen dienend und untergeordnet, nicht aber unterwürfig. Dies alles würdigte das zahlreich erschienene Publikum auch mit entsprechendem Applaus. Zusammengefasst: ein schöner, ansprechender erster Konzertteil, wie das der verwöhnte Lucerne Festival Besucher erwartet und auch immer geboten bekommt, aber eben auch nicht mehr.

Dann nach der Pause folgte Staud`s Musikzauber und Musikschauder.

Dirigent Matthias Pintscher

Dirigent Matthias Pintscher

Dieses Cliché contra punktete diesmal Matthias Pinscher und schlug mit dieser überraschenden Vortragsreihenfolge einen starken Pflock ein für künftige weitere Experimente in der Präsentation zeitgenössischer Musik, dies ja auch ganz dem Credo des Intendanten Michael Häfliger beigeordnet, der ja seit seinem Antritt das Festival für die Moderne nicht nur geöffnet, sondern wegweisend auch für andere Festspielleiter ausgerichtet hat.

 

Staud schrieb seine Komposition ausdrücklich „für grosses Orchester“. Dieses stand, bzw. sass ja mit dem Lucerne Festival Academy Orchestra auf der Bühne und wurde denn auch entsprechend gefordert und beschäftigt, mal mit feineren Passagen, dann wieder aus dem vollen Notentopf geschöpft und angerichtet. So kam es denn schon mal vor, dass die Perkussionisten fast hin und her hüpften um all ihre „Aufträge“ zeitgerecht zu erledigen. Mal zupften die Streicher, mal streichelten sie sanft, bevor ein Peitschenhieb knallte (ja, auch diesen kann man mit Streichinstrumenten erzeugen). Feinen Passagen mit Vibraphonen folgten fetzige Bläsereinwürfe, gefolgt von Staccati der Perkussion, mal wieder abebbend, dann anschwellend, verblüffend, überraschend, neu und frisch.

Komponist Johannes Maria Staud

Komponist Johannes Maria Staud

Das Auditorium war hingerissen und explodierte mit einem nicht mehr enden wollendem Applaus, lauten Bravorufen und einer fast unglaublichen stehenden Ovation. Dieser Mut zum Risiko durch den Dirigenten setzt klare Massstäbe, wie man moderne Klassik (oder ist das schon klassische Moderne?) umsetzen muss und soll, damit die Komponisten unserer Zeit die Lorbeeren auch jetzt erhalten und nicht deren Erben in über 200 Jahren eventuelle Tantiemen einstreichen können. Wär eigentlich auch logisch, dass man zuerst die alten Sachen vorträgt und dann das Neue. Mahler kennt man ja zur Genüge, Johannes Maria Staud (noch) nicht so gut. Mit solchen genialen Einfällen, könnten sich die Werte, was ja auch nötig und vor allem zeitgemäss wäre, zugunsten der aktuellen Komponistengeneration verschieben.

Aber eben: es hätte sein können! Irgendwann packt das einer, lieber früher als später.

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos: www.lucernefestival.ch/

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