lucerne festival im sommer 2012: sinfoniekonzert nr 7
Gustav Mahler Jugendorchester | Daniele Gatti Dirigent | Frank Peter Zimmermann Solist Violine
jeder hat so seine rituale vor dem besuch eines konzerts. ich setze mich jeweils sofort nach türöffnung, meistens ca. 30 minuten vor beginn auf meinen platz und studiere sehr konzentriert das konzertprogramm. auf diese art hab ich schon die halbe rezension beisammen. doch an diesem abend war alles ein bisschen anders: sportmoderator jann billeter mit begleitung und etliche andere, etwas unbekanntere fernsehmacher waren auch anwesend. küsschen hier, busserl da. als sich alle begrüsst hatten, konzentrierte ich mich wieder aufs konzertprogramm, bis die mehrfache skiweltmeisterin maria walliser mit ihrem mann guido anesini auch noch in der nähe der medienleute ihren platz erreichte, also alles von vorne mit küsschen hier usw. man kannte sich natürlich. das wars dann, falsch gedacht. mit dem programmstudium wars endgültig vorbei als ein raunen der anwesenden meine aufmerksamkeit erregte. Jetzt erschien auch noch einer der grössten mäzene des lucerne festivals, der rohstoffhändlermilliardär marc rich mit begleiterin und bezog seinen platz 2 reihen vor mir, knapp hinter den fernsehleuten. So fand ich mich dann unverhofft wieder im prominentenviertel. Das nächste raunen dann, als das GMJO einzug hielt in der konzertsaal des kkl. schon beeindruckend, wenn über 120 musiker ( davon schon mal alleine 86 streicher/innen) auf die bühne schwärmen, gefolgt vom musikalischen leiter des opernhauses zürich und zugleich chef des orchestre de france, dem italienischen maestro daniele gatti. Er startete mit richard wagners vorspiel zum 3. aufzug und karfreitagszauber aus «parsifal». beeindruckend zurückhaltend in der lautstärke ( für eine wagnersche komposition) und sparsam in der gestik führte gatti das monumalensemble durch das meisterwerk, vom publikum entsprechend honoriert. Es folgte alban bergs violinkonzert («dem andenken eines engels», gewidmet der im alter von 18 jahres verstorbenen manon gropius) mit frank peter zimmermann als solisten. zimmermann gilt im moment als der zur zeit wohl überragende interpret dieses konzerts. entsprechend genoss man das von einem schönberg schüler komponierte werk. bei männlichen violonisten sieht das ganze immer ein wenig verkniffen, ja schon fast nach arbeit aus. wo eine vilde frang oder eine julia fischer ihre haare kurz zurückwerfen, geht zimmermann in die knie, fast wie verbissen in die partitur. der qualität des spiels tut das überhaupt keinen abbruch, es wirkt halt nur nicht ganz so locker hingeworfen wie bei den weiblichen solistinnen. meine empfindungen fanden sich bestätigt durch den begeisterten, stürmisch eine zugabe fordernden applaus ( ja, auch durch die anwesende prominenz). eine zugabe, die zimmermann dann auch in form einer technisch höchst anspruchsvollen, etwas schräg tönenden improvisation gewährte. Nach der pause ging es weiter mit richard straussens rosenkavaliersuite, dem perfekten terrain für die 86 köpfige streichereinheit des orchesters. das programm perfektionierte zum abschluss, als kontrapunkt zum wiener walzer dann noch maurice ravels „la valse“. ravels «poème chorégraphique», die unmittelbar nach dem ersten weltkrieg entstand entpuppt sich als ein abgesang an das alte europa, ein fulminantes adieu an die k. und k. aera, an die gestrige welt. das sinfoniekonzert des GMJO unter gatti`s aegide war einer der glanzpunkte des diesjährigen sommerfestivals, das würdigte das begeisterte publikum auch entsprechend. nebenbei: ich fand mich auch ohne intensivstudium des programmheftes gut zurecht, meine spontan entstandenen eindrücke sind hiermit festgehalten.
text, léonard wüst www.leonardwuest.ch fotos, lucernefestival