Vorinformation zum Orchester:
Großartige Musik ist das Ergebnis intensiven Zuhörens, Aussage von Daniel Barenboim über das West-Eastern Divan Orchestra
Jeder Musiker hört aufmerksam auf die Stimme des Komponisten und seine Mitspieler. Harmonie innerhalb persönlicher oder internationaler Beziehungen kann nur durch Zuhören entstehen. Jeder öffnet seine Ohren für die Standpunkte und Schilderungen des Anderen.
Edward Said und ich haben 1999 das West-Eastern Divan Orchestra gegründet, das aus Musikern aus Israel, Palästina und weiteren arabischen Ländern besteht. Länder, in denen das offene Ohr nur zu oft zum Nachteil aller durch das blanke Schwert ersetzt wurde.
Heute, mehr als 10 Jahre später, haben wir hoffentlich erreicht, dass es sich lohnt, unserem Orchester zuzuhören. Und wir hoffen zu zeigen, dass Menschen, die einander – sowohl musikalisch als auch in allen anderen Belangen – zuhören, Großes erreichen können.
Konzertprogramm:
West-Eastern Divan Orchestra | Daniel Barenboim Dirigent | Michael Barenboim Violine | Karim Said Klavier
Richard Wagner (1813-1883) Vorspiel Und Liebestod Aus Tristan Und Isolde
Alban Berg (1885-1935) Kammerkonzert Für Klavier, Violine Und Dreizehn Bläser
Ludwig Van Beethoven (1770-1827) Sinfonie Nr. 7 A-Dur Op. 92
Drei musikalische Revolutionäre nehmen Daniel Barenboim und das West-Eastern Divan Orchestra bei ihrem zweiten Auftritt ins Visier. Mit dem berühmten «Tristan-Akkord», der gleich im zweiten Takt des Vorspiels zu Tristan und Isolde erklingt, führte Richard Wagner das traditionelle tonale System an seine Grenzen: Bis heute gibt es keine unstrittige funktionsharmonische Deutung dieses Klanggebildes. Damit bereitete Wagner den Boden für die atonale Musik – auch für Alban Bergs Kammerkonzert, das der Komponist als Geschenk zum 50. Geburtstag seines Lehrers Arnold Schönberg schuf. Barenboims Sohn Michael und Karim Said, der Neffe des Orchester-Mitbegründers Edward Said, sind die Solisten. Zum krönenden Abschluss aber erklingt Ludwig van Beethovens Siebte, die Wagner als «Apotheose des Tanzes» feierte: Die elektrisierende Wirkung dieser Sinfonie verdankt sich nicht zuletzt der Nähe zur französischen Revolutionsmusik mit ihrem aktivistischen Pathos, ihren Fanfaren und aufpeitschenden Rhythmen.
Rezension:
Die Geschichte des West Eastern Divan Orchesters verfolge ich gespannt und erfreut, seit dessen Gründung im jahre 1999 in Weimar (damals Kulturhauptstadt Europas). Zum ersten Mal hatte ich nun Gelegenheit, den Genuss eines Konzertes dieses ungewöhnlichen Projektes zu geniessen.
Das Konzertprogramm allein war schon ein Appetitmacher. Barenboim interpretierte dann auch Wagners Tristan & Isolde Vorspiel mit sehr viel Feingefühl, ohne den üblichen Pathos und wagnerianisch – verklärte Mystik. Das schmälerte aber keineswegs die Wirkung des vielzitierten, legendären Tristan Akkordes. Elegant und geschmeidig, fast schwerelos überzeugte die Formation der Musiker aus den verschiedenen Kultur- und Religionskreisen und beeindruckten damit die Anwesenden nachhaltig. Besonders gespannt war ich auf den zweiten Programmteil, die Komposition von Alban Berg, die er seinem Lehrmeister Arnold Schönberg zu dessen fünfzigsten Geburtstag gewidmet hatte. Die eher ungewöhnliche Besetzung für das Kammerkonzert, bestehend aus dreizehn Bläsern, dazu am Klavier der in Amman geborene Karim Said (*1988) und Daniel Barenboims Sohn Michael Barenboim (*1985) mit der Violine. Der erste Eindruck bei diesem Werk von Berg ist immer etwas zwiespältig. Da keine Streicher in der Formation vertreten sind, tönt das ganze anfänglich etwas hohl (der für uns so gewohnte Klangteppich der Streicher fehlt). Genau dieser gewollte Effekt lässt uns die Dissonanzen und die Moderne der zweiten Wiener Schule sehr viel genauer erleben. Zusammengefasst, überraschend ungewöhnlich, neckische Bläsereinsätze, perfekte Interpretation durch die beiden jungen Solisten. Man wünschte sich, dass dies auch in der Politik machbar wäre, dass trotz der Dissonanzen und Diskrepanz dank Toleranz und Zusammenspiel schlussendlich eine Harmonie entsteht. Barenboim und Said, statt Likud, Hamas, Hisbollah usw., Bläser statt Bomben. All diese Gedanken kann und will man bei diesem Orchester einfach nicht verdrängen. Dankbar beglückt, aber auch ein bisschen nachdenklich wurden wir in die Pause entlassen.
Im zweiten Programmteil dann Beethovens siebte Sinfonie ( fast bin ich geneigt zu sagen Gott sei Dank eine in Dur, nicht eine schwere Mollsinfonie wie etwa die Fünfte, die sogenannte Schicksalssymphonie). So war es denn jubelnd, spielfreudig. ja fast schon stürmisch und sehr kraftvoll. Dafür erntete das Orchester (das ganze Projekt und die Idee dahinter) am Schluss den wohlverdienten langanhaltenden Applaus für diese musikalisch wie humane Demonstration des Slogans: Wo ein Willen, da ist auch ein Weg!
text: www.leonardwuest.ch Fotos www.lucernefestival.ch