Besetzung und Programm:
Lucerne Festival Orchestra
MDR-Rundfunkchor
Andrés Orozco-Estrada Dirigent
Pablo Ferrández Violoncello
Regula Mühlemann Sopran
Simona Šaturová Sopran
Allan Clayton Tenor
Robert Schumann (1810–1856)
Cellokonzert a-Moll op. 129
Felix Mendelssohn (1809–1847)
Sinfonie Nr. 2 B-Dur op. 52 Lobgesang
Robert Schumann Cellokonzert a-Moll op. 129
Solo Cellist Pablo Ferrández wurde 1991 in Madrid geboren und studierte an der renommierten Escuela Superior de Música Reina Sofía bei Natalia Shakhovskaya und an der Kronberg Academy bei Frans Helmerson. Zudem war er Stipendiat der Anne-Sophie Mutter Stiftung.
Zum Werk Schumanns
Dieses Werk schrieb Schumann innerhalb von zwei Wochen. Während es großen Anklang bei seiner Frau Clara fand – sie lobte vor allem das Spielerische –, sagte es dem Widmungsträger Emil Bockmühl hingegen nicht zu. Er forderte einen neuen dritten Satz und behauptete, das Werk sei insgesamt zu wenig melodisch. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass ihm das Stück schlicht zu anspruchsvoll war. Bockmühl wollte es in dieser Form jedenfalls nicht aufführen, Schumann keine Änderungen vornehmen. (In einem Zeitraum von über zwei Jahren richtete Bockmühl nicht weniger als 26 Briefe an Schumann, in denen er sich ausführlich und zum Teil höchst kritisch über das Cellokonzert und die Möglichkeit seiner Aufführung äußert, die sechs Antwortschreiben Schumanns waren bislang nicht aufzufinden). So kam es, dass der Komponist sein Cellokonzert nie im Konzertsaal hörte. Erst am 23. April 1860, vier Jahre nach Schumanns Tod, wurde es in Oldenburg uraufgeführt.
Kein typisches Cellokonzert
Eine Fantasie für Orchester mit obligatem Cello? Der Beginn generiert Klänge wie von einer Orgel. Kein Thema, nur drei wechselnde Akkorde der Holzbläser. Doch sind sie Keimzellen, die später wiederkehren, die Form des Ganzen miteinander verklammert. Drei Sätze, die nahtlos ineinander übergehen. Das Cello setzt ein. Leise. Lyrisch. Ausdrucksvoll. Dazu machte sich der deutsche Cellist Alban Gerhardt sehr persönliche Gedanken: „Dieser sehr schwelgerische Beginn ist gar nicht schwelgerisch gemeint: Schumann schreibt dieses schnelle Tempo und er schreibt piano; die ganze Einleitung ist im piano gehalten.
Das Stück beginnt mit drei kurzen, schwermütigen Harmonien der Bläser, die eine melancholische Stimmung entstehen lassen und auf die das vom Solisten präsentierte Hauptthema folgt. „Vor allem das Hauptthema im ersten Satz ist eines der schönsten, das es je für Cello gegeben hat“, sagt der französische CellistJean-Guihen Queyras begeistert. Der zweite Satz („Langsam“) wirkt wie eine kurze Ruhepause, bevor im letzten Satz schnelle Läufe und große Sprünge die Solisten vor eine große Herausforderung stellen. Von Schumann spielerisch gemeint, wirkt dieser letzte Satz für manche so skurril, dass das Stück später sogar als der Beginn von Schumanns geistiger Verwirrtheit – Spätfolgen einer Syphilisinfektion – beschrieben wurde.
Schumann stellte nicht die blosse Virtuosität in den Vordergrund
Wie ist Schumann in seinem Cellokonzert mit diesen Schwierigkeiten umgegangen? Die Virtuosität steht bei ihm nie im Vordergrund – was nicht heißt, dass das Konzert leicht zu spielen wäre, im Gegenteil. Aber es gibt darin keine Zirkusnummern. Stattdessen hat er eine der großen Qualitäten ins Zentrum gestellt, die das Instrument auszeichnen: das Gesangliche, die Kantabilität. Das Cello darf das ganze Konzert über mit viel Seele singen. Und damit es nicht vom Orchester übertönt wird, hat Schumann das Tutti mit allergrößter Zurückhaltung behandelt. Das Orchester spielt hier und da ein paar Einwürfe und Überleitungen oder tritt mit dem Solisten in Dialog. Aber meist begleitet es ihn mit vornehmer Diskretion. Die Klangpalette des Orchesters behandelt Schumann sehr sparsam: die Streicher überwiegen, Holz- und Blechbläser setzen nur ein paar Tupfer dazwischen.
Der Solist intonierte äussrst sensibel, mit viel Feingefühl, liess aber bei virtuoseren Sequenzen durchaus sein iberisches Temperament durchschimmern.
Das Luzerner Renommierorchester und der kolumbanische Gastdirigent Andrés Orozco-Estrada supportierten ihn dabei grossartig, begeisterten das Publikum im ausverkauften Konzertsaal und wurden dafür mit einem stürmischen, langanhaltendem Applaus belohnt.
Felix Mendelssohn Sinfonie Nr. 2 B-Dur op. 52 Lobgesang «Lobe den Herrn»
Den Auftrag zur Komposition erhielt Mendelssohn wohl 1839 vom Rat der Stadt Leipzig anlässlich der Vierhundertjahrfeier der Erfindung der Buchdruckerkunst durch Johannes Gutenberg. Mendelssohn rang lange mit der geeigneten Form für das Werk, dachte an ein Oratorium oder eine großangelegte Psalmvertonung, bis er schließlich in einer Mischung aus Sinfonie und Kantate die für ihn geeignete Form fand. So entstand der „Lobgesang“, der am 25. Juni 1840 in einem großen Festkonzert in der Leipziger Thomaskirche erstmals erklang. Daran beteiligt waren etwa 500 Personen, (in Luzern waren es ca. 160), in der total überfüllten Kirche, das Gewandhausorchester und verschiedene Chöre. Später erweiterte Mendelssohn das Werk noch um einige weitere Sätze. Die zweite Fassung des Werks erklang erstmals am 3. Dezember 1840 in Leipzig.
Urteil von Musik Analysten
Die musikalischen Analysten haben im „Lobgesang“ noch allerhand sonstige geistreiche Verflechtungen von Musik und Text und mehr oder weniger offenkundige symbolische Elemente aufgespürt, wie man sie nicht zuletzt von Johann Sebastian Bach kennt, in dessen heiligen Hallen das Werk uraufgeführt wurde. So sind etwa auch die Tonarten Folge und damit die Stimmung der Werkteile vom Grundgedanken geprägt, dass das Licht über die Finsternis siegt. Nach dem Abstieg in dunkles Moll folgt jeweils der Aufstieg in strahlendes Dur.
Das Werk erfuhr erst späte Anerkennung
Nach anfänglich eher zurückhaltender Annahme des Werks bei Kritikern und andern Komponisten, wird inzwischen anerkannt, dass der „Lobgesang“ einer eigenen höchst kunstvollen Logik folgt, und dass er an dieser zu messen ist. Die inhaltliche Grundidee ist die Parallelisierung des biblischen Geschehens und des aktuellen Festanlasses. Der Erlösung des Volkes Israel, das im Dunkeln der Glaubensungewissheit gefangen ist, durch Gott wird die Erlösung aus dem Dunkel der Unwissenheit gegenübergestellt, welche die Menschheit durch die Erfindung der Druckkunst erfuhr. Die verbindende Metapher ist das Bild von der Nacht, aus welcher die Menschheit in das Licht der Erkenntnis geführt wird. Besonders deutlich wird dies in der Nr. 6 des Werkes, wo der Solo Tenor, hervorragend an diesem Abend Allan Clayton, drei Mal in jeweils gesteigerter Tonlage fragt: „Hüter, ist die Nacht bald hin?“, worauf der Chor, nachdem der Solo-Sopran das Weichen der Dunkelheit angekündigt hat, strahlend „Die Nacht ist vergangen“ intoniert.
Besonders anschaulich wird dies an dem kraftvollen Eingangsmotiv der Posaunen, welches das ganze Orchester jeweils in der Art eines responsorischen Gemeindegesangs beantwortet. Dieses Motiv durchzieht in einfallsreicher polyphoner Verarbeitung den ganzen ersten Satz des symphonischen Teiles, um am Ende auch den triumphalen Abschluss des Gesamtwerkes zu bilden. Seine volle Bedeutung erschließt sich erst, wenn der Chor ihm die beziehungsreich auf den Gesang gemünzten (Psalm)Worte „Alles, was Odem hat, lobet den Herrn“ unterlegt. Ähnliches gilt für die choralartige Passage im Mittelteil des liedhaft-idyllischen zweiten Orchester Satzes, die durch den Chor Choral der Nr. 8 mit dem Text „Nun danket alle Gott“ ihre nachträgliche Bedeutung erhält. Was man als bloße Verdoppelung des musikalischen Materials kritisiert hat, wäre damit, anders als bei Beethovens 9. Symphonie, der tiefsinnige Versuch einer Synthese von absoluter und programmatischer Musik. Das ambitionierte Werk ist offensichtlich im Ganzen vom Gedanken der Synthese durchdrungen. Es verbindet nicht nur biblische und deutsche Vergangenheit mit der Gegenwart, sondern auch die verschiedensten tradierten Gattungen der Kunstmusik – von der Symphonie über die Kantate und das Oratorium bis zur responsorischen Psalmodie und dem Choral. Mit seinen vielfältigen kulturgeschichtlichen Rückgriffen ist das Werk ein genuines Produkt des musikalischen Historismus, als dessen führender Mitbegründer Mendelssohn gilt.
Orchester in Topform auf Weltklasseniveau
Das Orchester legte den fabelhaften Klangteppich, auf dem die zwei Sopranistinnen und der englische Tenor Allan Clayton, mit ihrem gesanglichen Können glänzen konnten. Natürlich besonders im Rampenlicht, aber auch herausragend, die Luzernerin Regula Mühlemann, inzwischen längst auf allen grossen Bühnen der Welt, von der Scala inn Mailand bis zur Yorker Met, gefeiert. Da musste die Slowenin Simona Šaturová , obwohl auch grossartig, zwangsläufig hintanstehen.
Auf qualitativ gleicher Ebene wie Mühlemann der englische Tenor, der bei uns noch nicht ganz so bekannt ist, was sich aber, bei solch überzeugender Leistung, schnell ändern wird, gilt Allan Clayton doch als einer der gefragtesten Sänger seiner Generation. Er studierte am St. Johns College in Cambridge und an der Royal Academy of Music in London. Für seine Künstlerischen Leistungen erhielt er zahlreiche Auszeichnungen.
(Allan erhielt großes Lob als Hauptrolle in Brett Deans Oper „Hamlet“, die im Juni 2017 in Glyndebourne Weltpremiere feierte. Im selben Jahr interpretierte er die Rolle des David in Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ am Royal Opera House in Covent Garden).
Mendelssohn bleibt Oratorien Tradition treu
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Mehrfach lässt Mendelssohn auch Textstellen zunächst von den Solisten ausführen und dann vom Chor wiederholen, und symbolisiert so die Ausbreitung der Erleuchtung im Volk Gottes. Mendelssohn folgt mit der Form der Textbehandlung der Oratorien Tradition des 18. Jahrhunderts.
Mächtige Klänge im grossen Konzertsaal
Die Mitwirkenden, fast 200 an der Zahl hatten natürlich auch das dementsprechende Klangvolumen und so erklang dann teils wuchtige Musik, in den Orchester und Chorpassagen, wohltuend diskret begleitend, wenn die „Solosänger*innen“ ihre Einsätze vortrugen.
Ein eindrückliches Gesamtkunstwerk, mal mit grosser Palette und dickem Pinsel aufgetragen, mal mit feinen Bleistiftstrichen akustisch gemalt und vom Auditorium demensprechend mit kanganhaltender Akklamation und einer stehenden Ovation bedacht.
Fazit des Mendelssohn Frühlingsfestes mit 3 Konzerten
Obwohl bei den beiden Konzerten mit dem Lucerne Festival Orchestra, Chefdirigent Riccardo Chailly krankheitshalber kurzfristig ersetzt werden musste und ebenbürtig auch konnte, wurde es musikaliscjh, wie auch statistisch, mit der fast unglaublichen Auslastung von über 90%, ein grossartiges Wochenende im KLL Luzern an den Gestaden des Luzerner Seebeckens.
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: www.lucernefestival.ch
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