Lucerne Festival, Rezital 2 Sir András Schiff, 19. November 2018, besucht von Léonard Wüst

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Sir András Schiff Klavier

Besetzung und Programm:

Felix Mendelssohn (1809–1847)
Fantasie fis-Moll op. 28 Sonate écossaise
Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Klaviersonate Fis-Dur op. 78
Johannes Brahms (1833–1897)
Acht Klavierstücke op. 76
Sieben Fantasien op. 116
Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Englische Suite Nr. 6 d-Moll BWV 811

Rezension:

András Schiff, Sohn eines Arztes, wuchs als Einzelkind in einer musikalisch interessierten Familie auf, begann mit fünf Jahren Klavier zu spielen. Er lernte zunächst bei Elisabeth Vadász und nahm mit 14 Jahren sein Studium an der Franz-Liszt-Musikakademie in Budapest auf, unter anderem bei Ferenc Rados, Pál Kadosa und György Kurtág. Er verbrachte mehrfach seine Sommerferien in England bei Verwandten. Dort schloss er Freundschaft mit dem rund 40 Jahre älteren Dirigenten und Cembalisten George Malcolm (1917–1997), mit dem er zusammen musizierte und der in ihm Verständnis für die Musik Bachs weckte. Schiff erhielt 1987 die österreichische, 2001 die britische Staatsbürgerschaft. 2014 wurde er geadelt und in den englischen Ritterstand erhoben.

Felix Mendelssohn Fantasie fis-Moll op. 28 „Sonate écossaise“

Sir András Schiff Foto Priska Ketterer LUCERNE FESTIVAL

Das in lockerer Sonatenhauptsatzform gehaltene Presto-Finale verweist mit versteckten motivischen Anspielungen auf den Kopfsatz zurück. Der zweite Satz beginnt syntaktisch in der Art eines Satzes, der sich allerdings dergestalt fortsetzt, dass er lediglich sieben Takte umfasst. Der dritte Satz verweist noch eindeutiger auf den ersten zurück. Schon der Beginn (T. 231) nimmt die Dreiklangs Brechung der ersten beiden Takte der Periode im Kopfsatz auf und erscheint später in einer Umkehrung. Schiff startete eher zurückhaltend in die Mendelsohn Fantasie, spielte sich aber souverän in die in Fis Moll geschriebene Partitur. Wie schwierig diese zu spielen ist, äusserte schon die ältere Schwester und Vertraute des Komponisten, die hochbegabte Musikerin Fanny Hensel – Mendelssohn. Für den geadelten Pianisten war das aber scheinbar kein Problem, so souverän meisterte er die technischen Klippen. Mendelssohn stellt hier eine geheimnisvolle, improvisiert wirkende Arpeggio-Klangwelt einem lyrischen Andante gegenüber. Nach dem syntaktisch überraschenden zweiten Satz schliesst das rasante Finale den Zyklus ab, ein demonstrativer Sonatensatz mit Expositionswiederholung, der sich am Schluss in das vom Kopfsatz in Aussicht gestellte Fis-Dur wendet. Das beeindruckte Publikum zeigte sich mit reichlich Applaus für diese Interpretation erkenntlich.

 

Klaviersonate Fis-Dur op. 78 von Beethoven

Als „Das mit sechs Kreuzen verriegelte Tor“ wurde die Sonate auch schon genannt. Schiff hatte dafür den passenden Schlüssel gefunden, spielte Beethovens Suite weit weniger pathetisch als üblich. Sie kam daher klarer, durchsichtiger, weniger verschwommen rüber, nicht so schwelgerisch, wie sie z.B. von Daniel Barenboim üblicherweise gespielt wird. Nichtdestotrotz phrasierte er das Motiv keineswegs weniger schön als dies in üppigeren Interpretationen geschieht, blieb seiner eher distanzierten Linie aber alles in allem trotzdem treu.

Johannes Brahms Acht Klavierstücke op. 76

Während Kritiker von Werken mit viel Eisengehalt, Theodor Adorno gar von mühsam gelöster Stummheit sprachen, sagte die von Brahms so verehrte Clara Schumann: so wundervoll, so innig und schwermütig, dass mir beim Spielen jedes Mal ganz wonnig und warm ums Herz wird. Diese Melancholie bestätigte Brahms gegenüber Clara später folgendermassen: jeder Takt, jede Note muss so klingen, als ob man Melancholie aus jeder einzelnen saugen wollte, mit Wollust und Behagen…

Schiff war denn auch wesentlich wärmer in der Umsetzung der Intentionen Brahms, als noch beim vorherigen Beethoven, also keineswegs „eisenhaltig“. Ob bei den vier vom Komponisten als Intermezzo, oder der vier als Cappricio betitelten Stücken, nie bediente sich der Interpret Effekthaschereien, liess auch übertriebene Gestik weg, arbeitete sparsam mit Pedal, blieb so immer klar, ohne kühl zu wirken. Mit viel Feingefühl für Details, dem Herausschälen der Nuancen wusste Schiff das Publikum im praktisch vollbesetzten Konzertsaal zu fesseln und hielt die atemlose Spannung hoch, bis zu den finalen Tönen, nach denen sich die Spannung des Auditoriums in lautstarkem, langanhaltendem Applaus entlud.

2. Konzertteil mit Brahms und Bach

Johannes Brahms  Sieben Fantasien für Klavier

„Die Farbpalette ist unendlich groß. Da sind sehr viele Pianostellen dabei, die aber sehr polyphon geschrieben sind, das heißt, die Dialoge zwischen den Stimmen finden statt, aber in Bereich des Pianissimos manchmal – und das erfordert eine unglaubliche Arbeit. Sowohl von Pianisten als auch vom Zuhörer. Es ist eine sehr große und spannende Arbeit mit Pedal, er benutzt es sehr sparsam, und so soll es auch gespielt werden. Es ist eine sehr wichtige Linie der Zeit, finde ich – Zeit zwischen den Stücken, die Zeit, die man für die Pausen in dem Stück sich nimmt. Das braucht sehr viel Ruhe…“ (Zitat der Pianistin Anna Gourari). András Schiff schloss sich mit seiner Umsetzung der sieben Stücke der Meinung seiner Pianisten Kollegin an und liess den Zuhörer teilhaben am Genuss der kleinen Kostbarkeiten aus dem in Bad Ischl 1892 entstandenen Spätwerk des Romantikers Brahms, die dieser als „Wiegenlied meines Schmerzes“ bezeichnet hatte.

Englische Suite Nr. 6 d-Moll BWV 811 von J.S- Bach

Das perfekte Werk zum Konzertabschluss für den gebürtigen Ungarn war dann die Suite von Bach. Ursprünglich für Cembalo geschrieben eine recht virtuose Komposition, besonders im Einleitungssatz, der „Prélude“. Diese ging der ausgewiesene Bach Spezialist dann auch voll engagiert und schwungvoll an, zog damit das Auditorium unmittelbar in seinen Bann. Die „Courante“, sonst eher genutzt zur Überführung von der „Allemande „in die folgende „Sarabande“, arbeitete der Pianist als Ganzes heraus, gab dem eigentlichen Zwischenstück dadurch einen ganz eigenständigen Charakter. Bei der Gavotte spielte Schiff dann locker aus dem Handgelenk und, was bei ihm nur sehr selten vorkommt, mit einem sichtlich vergnügten Gesichtsausdruck, ja schon fast mit einem Augenzwinkern. Die abschliessende Fuge diente ihm dann noch als Schaulaufen. Diesen abwechslungsreichen hochklassigen Konzertgenuss honorierte das Auditorium mit stürmischem, langanhaltendem Applaus.

Wieso konnte Johann Sebastian Bach so technisch schwierige Werke spielen?

Eine Untersuchung des Offenburger Medizintechnik Forschers Prof. Dr. med. Andreas Otte von Röntgenbildern des Skeletts des Komponisten ergab folgendes Ergebnis der Untersuchungen: „Bachs linke Hand hatte auch für heutige Verhältnisse eine außergewöhnliche Länge und Spanne und war gewiss begünstigend für seine Virtuosität. Die rechte Hand konnten wir mangels vieler fehlender Knochen auf dem Foto nicht rekonstruieren. Es ist aber davon auszugehen, dass sie ähnlich groß war wie die linke Hand“, erklärt der Forscher.

Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.lucernefestival.ch

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