Luzerner Sinfonieorchester, Grosse Oper zum Neuen Jahr, KKL Luzern 1.1.2023 besucht von Léonard Wüst

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Das  Luzerner Sinfonieorchester Residenzorchester des KKL Luzern

Besetzung und Programm:
Luzerner Sinfonieorchester
Chefdirigent Michael Sanderling
Sopran Olga Peretyatko

Gioachino Rossini (1792 – 1868)
Ouvertüre aus «Il signor Bruschino»
«Non si da follia maggiore» aus «Il turco in Italia»

Charles Gounod (1818 – 1893)
Walzer von Juliette «Je veux vivre» aus «Roméo et Juliette»

Giuseppe Verdi (1813 – 1901)
Ouvertüre aus «Luisa Miller»
«Mercé dilette amiche» aus «I Vespri siciliani»

Luigi Arditi (1822 – 1903)
«Il bacio»

Peter Iljitsch Tschaikowsky (1840 – 1893)
Sinfonie Nr. 1 «Winterträume» in g-Moll op. 13

Chefdirigent Michael Sanderling Foto Michael Hero

Auch dieses Jahr lud das Luzerner Sinfonieorchester am frühen Neujahrsabend bei schon fast frühlingshaftem Wetter zum traditionellen Neujahrskonzert. Schnell schon war klar, was uns im ersten Konzertteil erwartet, startete doch das Residenzorchester des KKL rasant mit der Ouvertüre aus «Il Signor Bruschino» von Rossini, nicht so oft vorgetragen, aber die Rossini – Hand- bzw. Notenschrift unschwer erkennbar. Dann erschien sie, die russische Weltklasse Sopranistin Olga Peretyatko und demonstrierte sogleich mit «Non si da follia maggiore» aus Rossinis «Il turco in Italia» ihr grosses Können, die Wandelbarkeit ihrer Stimme um uns dann sogleich mit Charles Gunods Walzer der Juliette «Je veux vivre» aus «Roméo et Juliette» einen ersten Höhepunkt zu bescheren.

Wo grosse Oper drauf steht, war auch grosse Oper drin

Olga-Peretyatko Solistin

Darauf intonierte das Orchester Verdis Ouvertüre aus «Luisa Miller» bevor Olga Peretyatko sich mit «Mercé dilette amiche» aus «I Vespri siciliani» von Verdi zurückmeldete, stimmlich über das Orchester erhob um nach wenigem Sekunden dunkel abzutauchen. Ihre Präsenz und Ausstrahlung, gepaart mit einer grossartigen Intonation, den perfekten Koloraturen war einsame Spitze und liess uns auf einer der grossen Opernbühnen dieser Welt wähnen. Dann küsste uns die Sopranistin akustisch noch mit  Luigi Arditis «Il bacio».

Schmissig wirblige Zugabe des Opernstars

Sopransistin Olga Peretyatko und das Luzerner Sinfonieorchester begeistern im KKL Foto Boris Bürgisser

Nach dem nicht enden wollenden Applaus wirbelte sie noch als Zugabe noch  einmal zu Gunods Walzer der Juliette «Je veux vivre» über die Bühne, drehte auch gekonnte Pirouetten dazu, was  wiederum das Auditorium begeisterte, den Dirigenten gar seinen Taktstock in die Luft werfen liess und zu stürmischem Schlussapplaus animierte, um dann gut gelaunt die Foyers des KKL für die Pause aufzusuchen.

Melancholisch düsterer zweiter Konzertteil

Ermutigt durch den Erfolg seiner ersten Orchesterkomposition, der Ouvertüre in F-dur, die im März 1866 in Moskau von Nikolaj Rubinstein uraufgeführt worden war, entschloss sich der sechsundzwanzigjährige Tschaikowsky, seine erste Symphonie zu komponieren. Da ihn seine Lehrtätigkeit am Moskauer Konservatorium, die er kurz zuvor angenommen hatte, tagsüber voll in Anspruch nahm, war er gezwungen, nachts an seiner Symphonie zu arbeiten, was mit der Zeit übermäßig an seinen Kräften zehrte. Bald litt er an Schlaflosigkeit, Angstzuständen und sogar an Halluzinationen, sodass der behandelnde Arzt ihn bereits „am Rande des Wahnsinns“ glaubte und die Nachtarbeit verbot. So vollendete Tschaikowsky die Symphonie erst in den darauffolgenden Sommerferien, die er auf dem Land in der Nähe von St. Petersburg verbrachte. Die Aufführung der vollständigen Partitur in der ersten Fassung ließ aber noch weitere anderthalb Jahre auf sich warten, da Anton Rubinstein, der frühere Petersburger Lehrer Tschaikowskys, das Werk zunächst für nicht aufführungswürdig hielt. Darum erklangen bei der ersten Petersburger Aufführung am 11. Februar 1867 nur die Mittelsätze der Symphonie, da diese Rubinstein noch am meisten zusagten, und zwar, wie zu erwarten war, ohne jeden Erfolg. Die Premiere der vollständigen Symphonie, die nach weiteren Umänderungen ziemlich genau ein Jahr danach in Moskau erfolgte, wurde dagegen vom Publikum begeistert aufgenommen. Kaschkins Bericht zufolge soll Tschaikowsky auf der anschließenden Feier vor Freude alle Anwesenden abgeküsst und sämtliche Gläser zerschlagen haben.

Schockgefrostete Momentaufnahmen und impressionistisch neblige Klangbilder reihen sich aneinander und rechtfertigen den Namen «Winterträume»

Sopranistin Peretyatko Olga Foto Michael Hero

Bereits dieses Jugendwerk Tschaikowskys ist deutlich geprägt von typisch russischen ‚Intonationen‘, das heißt von Themen und Motiven, die sich in Duktus und Rhythmus am russischen Volkslied orientieren. Alles andere, die eigentliche kompositorische Arbeit, knüpft an westlichen Vorbildern an, an Beethovens thematischer Arbeit, am Orchesterklang, der romantischen Ästhetik Schumanns und Mendelssohns; daneben ist ein direkter russischer Einfluss durch den Orchestersatz in den Opern Gunkas nicht zu leugnen. All diese Einflüsse verarbeitet Tschaikowsky bereits hier zu einer eigenständigen ästhetischen Position, die in einem unverwechselbaren symphonischen ‚Ton‘ Klanggestalt annimmt. Seine drei Quellen sind: Strenge, am klassisch-frühromantischen Vorbild orientierte symphonische Form; eine ‚russisch‘ gefärbte Thematik und Melodiebildung; eine stark von subjektiven Wahrnehmungen und Gedanken geprägte programmatische Tendenz, die weniger objektivistisch literarische Vorlagen oder Naturereignisse musikalisch nachzuzeichnen versucht, als vielmehr den subjektiven Reflex darauf, die emotionale Wirkung solcher Ereignisse in der Erlebnissphäre des Betrachters musikalisch gestaltet. So tragen die ersten beiden Sätze der Symphonie programmatische Überschriften, die beiden letzten aber die konventionellen Bezeichnungen Scherzo und Finale. Der Kopfsatz, von Tschaikowsky mit Träumerei von einer winterlichen Fahrt überschrieben, ist gleichwohl ein nach allen Regeln streng gearbeiteter Symphoniesatz. Die offene, bühnenhafte Konfrontation von Themen und Gestalten im klassischen Satz ist hier aufgegeben zugunsten einer Erzählhaltung, die beinahe wehmütig, bereits Geschehenes aus der Erinnerung einer durch Bilder angeregten Phantasie schildert: hier die Troika Fahrt durch eine verschneite russische Winterlandschaft. Manche haben den flimmernden Anfang der Symphonie, die Luftbewegung in den Geigen, mit Bruckner verglichen; mit Bruckner, dem Mystiker, hat Tschaikowsky nichts zu tun. Bruckners Anfänge entbehren jenes inneren Antriebs, jener nervigen Gespanntheit und Spannung, die Tschaikowskys Musik ständig mit Leben erfüllt und ihr eine Sinnlichkeit verleiht, die weder Depression noch Sentimentalität kennt, sondern nur die pure Lust am Musizieren, die Lust am plastisch geformten, konturierten, ‚ausgehörten‘ Klang. Diese dramatisierte Klangvitalität, die sämtliche Parameter des musikalischen Gestaltens dem Prinzip der Steigerung unterwirft, sei es Dynamik, Harmonik, Melodie oder Rhythmus, diese lebensbejahende Musik hat nichts zu tun mit der im Grunde depressiven Ästhetik Bruckners oder Wagners. Tschaikowsky führt den dramatischen Erzählstil in die romantische Symphonie ein, ähnlich verfuhr Verdi in der Oper. Tschaikowskys symphonischer Stil ist geprägt von starker Bildhaftigkeit und inspiriert von Bühnenbewegungen, vom Tanz und vom leidenschaftlichen Monolog.

Den Kopfsatz der Symphonie Nr. 1 g-Moll op. 13 („Winterträume“) geht Sanderling im Vergleich zu vielen Kollegen eher verhalten an. Das erweist sich als musikalisch kluger Schachzug, indem er dynamisches Pulver nicht frühzeitig verschießt, baut er Spannungsbögen desto kontinuierlicher auf. Keineswegs scheut er davor zurück, das dynamische Blatt auszureizen, das tut er aber an den richtigen Stellen, Crescendi und Akzente wirken dabei trotzdem nicht knallig oder zu derb, sondern als musikalisch schlüssige Lösungen. Blech-Fanfaren strahlen mit selbstbewusstem Glanz. Mit voller Intensität prallen im dreiteiligen Finale die Gegensätze zwischen der düsteren “Andante lugubre“-Einleitung und den agogisch zupackenden Abschnitten aufeinander. In den Fugato-Passagen leistet das Luzerner Sinfonieorchester stimmliche Maßarbeit.

Getreu dem Motto des Konzertes «Grosse Oper» spielte das Orchester die vehement vom Auditorium geforderte Zugabe mit der «Polonaise» aus der Tschaikowski Oper .Eugen Onegin. Mit zwei völlig unterschiedlichen Konzerthälften, die erste beschwingt spielerisch, die zweite düster melancholisch, entliessen uns die Protagonist*innen beeindruckt und zufrieden in das noch sehr junge neue Jahr.

 

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos:Léonard Wüst und  www.sinfonieorchester.ch

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Die Musikerinnen geniessen den Schlussapplaus

Chefdirigent Michael Sanderling Foto Michael Hero

Die Musikerinnen geniessen den Schlussapplaus

 

Sopran Olga Peretyatko

Die Musikerinnen geniessen den Schlussapplaus

Dieser Beitrag wurde am von unter leitartikel und kolumnen von léonard wüst, musik/theater/ausstellungen, schweizweit veröffentlicht.

Über Leonard Wüst

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