Produktion und Besetzung:
Choreographie und Kostüme: Georg Reischl Bühne: Lea Burkhalter Auftragskomposition: Vincent Glanzmann
Tanz Luzerner Theater: Zach Enquist, Shota Inoue, Carlos Kerr Jr., Olivia Lecomte, Dor Mamalia, Sada Mamedova, Aurélie Robichon, Tom van de Ven, Andrea Thompson, Giovanni Insaudo, Sandra Salietti, Valeria Marangelli, Louis Steinmetz, Aurora Stretti
Rezension:
Das Luzerner Tanztheater sorgt immer wieder für neue Erfahrungen, so findet «Tanz 25: Variationen des Seins» in der «Box» statt, also auf kleinstem und engstem Raum. Der Choreograph Georg Reischl will, wie in «Tanz 22: Up/Beat», die Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Tanz und Musik ausreizen. Musikalisch begleitet werden er und die Tänzerinnen und Tänzer des Luzerner Theaters wieder vom Schweizer Schlagzeuger Vincent Glanzmann. Dieser komponierte speziell für diese Produktion ein Werk für Schlagzeug und elektronische Musik, vermischt mit Alltagsgeräuschen.
Auf schwarzen Teppichläufern rund um eine schneeweise Fläche begeben sich die Besucher auf ihre Stühle, die um diese Fläche herum in zwei Reihen aufgestellt sind. Das weisse Rechteck ist wie eine Projektionsfläche, auf welcher jeder seine Erwartungen ausbreiten kann, direktere und beobachtende Erwartungen dadurch, dass man sich als Publikum gegenüber sitzt. Durch die noch offene Türe leuchtet der Nespresso-Namenszug, Autolichter blitzen auf, verschwinden, Passanten gehen vorbei. Der Alltag mischt sich auch visuell ein ins Geschehen.
Begegnungen aus nächster Nähe
Dann kommen die Tänzerinnen und Tänzer auf die Tanzfläche, in ihren selber ausgesuchten Kleidern, «outfits», wie die Tanzdramaturgin Selina Beghetto in ihrer Einführung erklärte: Ein rotes Hängerchen, ein buntes Hemd, ein Tanktop, ein bauchfreies Shirt, eine flatternde Bluse, verschieden farbige Socken. Sie setzen sich auf die Stühle, die auf der Tanzfläche stehen, massieren ihre roten, braunen, grünen Füsse. Dann beginnen sie ihre Reise, anfänglich alle gemeinsam, wie festgeklebt auf ihren Stühlen, stellen sich dem Publikum vor, stellen sich vor das Publikum, sehr nahe, so nahe, dass man nicht wegsehen kann. Sie bewegen sich im Raum, immer mit ihren Stühlen, bis sich einer nach dem anderen löst, ausbricht und sich selber erfährt, sich erfühlt in Bewegungen. Diese sind mal spastisch verkrampft, mal schlangenhaft fliessend, mal erratisch, mal kampfsportartig, dann wieder versonnen und träumerisch. Mal stehen sie zu dritt auf der Fläche und bewegen sich im Gleichklang, mal einzeln, mal alle zusammen, mal als Pas de deux aber immer irgendwie nur sich selber und allein. Besonders eindrücklich die Szene mit Sada Mamedowa und Giovanni Insaudo, wenn sie jede einzelne Note, jedes einzelne Geräusch tanzen, interpretieren und in Bewegung umsetzen, eine perfekte Symbiose von Musik, Geräusch und Tanz.
Verloren im Detail
Die unglaubliche Nähe der Tänzerinnen und Tänzer hat etwas Faszinierendes, lenkt aber auch ab. Man verliert sich in der Betrachtung einer muskulösen Schulter, eines flatternden Armes, einer zarten Wirbelsäule, man beobachtet fasziniert, wie unterschiedlich ein Fuss aufgesetzt werden kann, wie sich Arme und Beine auf beinahe rätselhafte Weise verschlingen, wie sich ein Körper schlangenartig und mit einer unglaublichen Elastizität (Carlos Kerr Jr.) auf dem Boden bewegt.
Man müsste dieses Stück wohl, drei, vier Mal sehen, wie es auch Beghetto erwähnte, um alle «Variationen des Seins» der verschiedenen Tänzerinnen und Tänzer erfassen zu können. Nach diesem ersten Mal bleiben vor allem das Staunen und die Begeisterung über die unglaubliche Leistung, die Beweglichkeit und die Körperbeherrschung der Tänzerinnen und Tänzer. Direkter und näher kann Tanz wohl selten erlebt werden.
Text: www.gabrielabucher.ch
Fotos: www.luzernertheater.ch
Homepages der andern Kolumnisten: annarybinski.ch www.irenehubschmid.ch
leonardwuest.ch Paul Ott:www.literatur.li