Produktionsteam
Inszenierung: Angeliki Papoulia, Christos Passalis Bühne: Christos Passalis Mitarbeit Bühne: Simon Sramek Kostüme: Vassilia Rozana Video: Julia Bodamer Licht: David Hedinger-Wohnlich Dramaturgie: Irina Müller
Besetzung
Delia Mayer Christian Baus Lukas Darnstädt Fritz Fenne Wiebke Kayser Nina Langensand Antonia Meier Julian-Nico Tzschentke und Luzerner Vereine Statistierie des LT
Rezension:
Das Pferd von hinten aufzäumen, den Versuch wars wert, besonders gelungen ist er aber nicht. Die beiden Regisseure, Angeliki Papoulia und Christos Passalis drehten die Geschichte um. Nicht wie bei Dürrenmatt, wo Claire Zachanassian nach Güllen zurückkehrt und sich schlussendlich brutal rächt, indem sie mit einem Kopfgeld von einer Milliarde die Dorfbewohner zum Mord an jenem Mann anstiftet, der sie vor 35 Jahren hochschwanger sitzen liess, die Vaterschaft abstritt und, durch falsche Zeugenaussagen einiger Güllener, vor Gericht auch noch Recht bekam, so quasi Klara Wäscher, wie die junge Dame damals hiess, zur Hure abstempelte. Die so gedemütigte, von den Dorfbewohnern verachtet und verspottet, floh mit dem nächstmöglichen Zug aus dem Ort. Der Übeltäter stirbt also am Ende der Geschichte. Nicht so am Luzerner Theater. Da betritt die alte Dame, verkörpert von Delia Mayer, schwarz gekleidet die Bühne und stellt sich neben eine Plastikplane, in die eine Leiche eingewickelt ist. Alfred Ill, sackstark verkörpert von Fritz Fenne, ist also zu Beginn der Geschichte tot, ab da wird zurückgespult, mittels Übertiteln dem Publikum, mitgeteilt, wie viele Tage noch verbleiben bis zum Besuch der alten Dame.
Starker Auftritt schon vor dem Auftritt
Diese weltgewandte Milliardärin, authentisch verkörpert von Delia Mayer, war stilgerecht und von Intendant Benedikt von Peter mittels Megaphon angekündigt, kurz zuvor auf dem, von sehr vielen Menschen bevölkerten Theaterplatz vorgefahren worden, standesgemäss in einem englischen Luxusauto der Marke mit den zwei R, die auch Flugzeugmotoren herstellt. Selbstsicher betrat sie das Theatergebäude, in dem sie alsbald ihren Auftritt haben sollte.
Der ironische Sarkasmus des Friedrich Dürrenmatt blieb auf der Strecke
Man kann es drehen und wenden wie man will, aber Sarkasmus und Ironie lässt sich nun mal nicht auf den Kopf stellen. Spannung schafft man nicht, indem man das Ganze einfach umgekehrt ablaufen lässt. Dank ausgezeichneter schauspielerischen Leistungen, besonders von Fritz Fenne als stotterndes Racheopfer, Lukas Darnstädt als Pfarrer, Julian-Nico Tzschentke als Lehrer, einer wie immer bestens aufgelegten Wiebke Kayser in der Polizistenrolle und dem jovialen Bürgermeister Christian Baus, die alte Dame hatte ja nicht viel Dialog, aber sehr wohl viel zu sagen, was sie mimisch und mit Gesten auch deutlich zum Ausdruck brachte, ging das Experiment „Dürrenmatt „reversed“ nicht bachab.
Demütigen wollte sie ihn trotz allem nicht, umbringen lassen aber schon.
Dass noch nicht alle Gefühle der Dame von Welt für ihren Ex – Lover Alfred erloschen sind, offenbarte sich, als dieser, in die Enge getrieben, konfrontiert mit massiven Todesandrohungen von den Einwohnern, sich in die Hose macht vor Angst, worauf Claire befiehlt, mit den Drohungen aufzuhören, etwas Sentimentalität im bösen Spiel also. Sentimentalität auch, als sich, in diversen Rückblickszenen, die beiden einst in tiefer Liebe verbundenen, an vertraute Orte ihrer früheren Stelldicheins versetzt sahen, so in den Wald, in eine Scheune usw. Da kam auch Wehmut auf, ein Funken Hoffnung, dass sich doch noch alles zum Guten wende, aber wir wissen es ja besser, dass dem nicht so ist.
Geschehen im Gewächshaus, statt in Bahnhofgebäude
Viel Handlung, die bei Dürrenmatt im Bahnhofsgebäude spielt, verlegen die Luzerner in ein Gewächshaus, durch dessen transparente Plastikblachen sich das Geschehen verfolgen lässt, u.a. die Gemeindeversammlung, die die Annahme der Milliarde gutheisst, sich damit auch zum Mord verpflichtet, der dann gemeinsam, ziemlich blutig, über die Bühne geht, die Feste in Vorfreude auf die Milliarde, dokumentiert auch durch Livevideozuspielungen der, von Claire eigens dafür engagierten Reporterin und Kamerafrau (Nina Langensand). In anderen, externen Videozuspielungen, kommentieren Einwohner von Luzern – so auch Stadtpräsident Beat Züsli – die Geschichte, als hätte sie hier gespielt. Luzerner Vereine steuern zur Empfangsszene Beiträge bei. Der Tiefgang von Dürrenmatts Psychodrama geht durch die Hektik auf der Bühne (es gibt ja eben auch noch die Livevideoprojektionen des Bühnengeschehens), leider zu einem grossen Teil verloren. Die Livekamera dokumentiert auch, wie Repräsentanten von Güllen vor der alten Dame ihre Fehler eingestehen, sich für ihre grössenwahnsinnigen, teuren infrastrukturellen Fehlinvestitionen usw. rechtfertigen müssen und Ill für sein früheres Verhalten nun so stark verurteilen und belasten, sodass der Mord an ihm, die Milliarde natürlich im Hinterkopf, gerechtfertigt sei.
In Güllen hatten schon Grössen wie Goethe und Brahms genächtigt
Wie konnte dies im ruhigen, abgelegenen «Güllen», wo einmal sogar Goethe übernachtet und Brahms ein Quartett komponiert hatte, passieren, dass man einen Menschen so schnell zum Sündenbock macht und sein Leben einfach für Geld opfert, sei es auch für den Betrag von einer Milliarde? Waren die „Güllener“, sich auf Pump einen Luxus leistend, der sie hoch verschuldet hat, etwa schon immer so und bloss ihre unersättliche Geldgier der Auslöser dieses Verbrechens? Kam gar der Wunsch der Besucherin gar nicht so ungelegen?
Furioser Schluss, der bei Dürrenmatt der Anfang war
Spektakulär dann schlussendlich auch die Ankunft der alten Dame auf der Bühne. Rotoren Lärm kündigt den Hubschrauber an, der die Besucherin auf dem Dorfplatz absetzen wird. Dieser wird umsäumt von der Güllener Einwohnerschaft, Dorfvereinen, Honoratioren usw. die Spalier stehen, um ihre ehemalige Mitbürgerin, die es zu etwas, zumindest zu Geld, gebracht hat.
Vielleicht hätte man, dem Stück angepasst, vor Beginn Beifall spenden sollen, dann wäre derselbe vielleicht etwas enthusiastischer ausgefallen, so blieb man etwas ratlos zurück ob dem Umkehrversuch. Wieso muss man das Rad, wenn man es ja nicht mehr erfinden kann und muss, ums Verrecken verbiegen?
Text: www.leonardwuest.ch Fotos: Ingo Hoehn luzernertheater.ch