Produktionsteam und Besetzung
Musikalische Leitung: Yoel Gamzou Musikalische Leitung: Winston Dan Vogel (30.04. / 21.05. / 19.05. / 28.05.) Inszenierung: Felix Rothenhäusler Raum- und Lichtdesign: Matthias Singer Dramaturgie: Julia Reichert Licht: Clemens Gorzella Konzeption und musikalische Bearbeitung: Yoel Gamzou
Mit: Adrian Furrer (Herr Geiser) Luzerner Sinfonieorchester
Rezension:
Er steht ganz allein auf der Bühne, leger gekleidet, schwarzes T-Shirt mit einem Aufdruck eines Van Gogh Bildes, schwarze Jogginghose, nackte Füsse. Hinter ihm leere Stühle und Notenpulte. Er, das ist Herr Geiser (Adrian Furrer), eingeschlossen in seinem Alterswohnsitz im Tessin, draussen Dauerregen. Das erzählt er dem Publikum, wie so vieles anderes. Er redet pausenlos, über verschiedene Arten von Donner, über Dinosaurier, über Naturkatastrophen und Erdzeitalter, über Vorräte, die er noch hat und immer wieder darüber, wie es draussen regnet und über einen eventuellen Riss im Hang. Auf einer Leinwand hinter ihm werden kurze Sätze eingeblendet, das wirkt ein bisschen so als würde man hinter seinem Rücken über ihn reden. Anfänglich kümmert er sich nicht darum, ruhig, konzentriert und völlig absorbiert legt er sein Wissen dar, als müsste er sich selber beweisen, dass es noch da ist. Ab und zu blinkt ein Lichtstab kurz auf, wie eine Sturm-, eine Gewitterwarnung. Herr Geiser redet weiter, ohne Pause, schaut sich erst um, als plötzlich die ersten Musiker auf der Bühne erscheinen, vorerst nur Streicher. Nun blinken vereinzelt schon mehrere dieser Lichtstäbe und Herr Geiser wird etwas unruhiger, redet sich langsam um Kopf und Kragen, redet wider des Vergessens, ganze 40 Minuten lang. Inzwischen haben sich einige Streicher eingeschaltet, die restlichen Musiker treffen ein, die Musik nimmt langsam überhand bis zum brachialen neuntönigen Akkord, der Geisers Hirnschlag signalisiert. Geiser verstummt, bleibt aber auf der Bühne. Er versucht zwar noch, etwas zu sagen, aber es gelingt ihm nicht. Nicht das Ende der Welt ist eingetreten, sondern das Ende seiner Kontrolle über sein Hirn. Umhüllt von der Musik, völlig darin eingeschlossen, bleibt er reglos stehen, einmal bewegt er noch die Zehen und Finger. Keine Erinnerungen mehr, kein Wissen und auf der Leinwand erscheint der Satz: «Die Gesteine brauchen seine Erinnerung nicht.»
Soviel zur Handlung des Stücks «Der Mensch erscheint im Holozän». Die Gegenüberstellung von Schauspiel und Musik ist nicht ganz einfach nachvollziehbar. Einerseits ist da ein Mensch in seinem existenziellen Kampf, der wortgewaltig versucht, die Kontrolle über sein Leben zu behalten. (Adrian Furrer als Herr Geiser vollbringt hier eine unglaubliche Leistung: 40 Minuten lang rezitiert er ohne Pause, reiht Informationen, Jahreszahlen, Fachausdrücke aneinander.) Andererseits ist da Mahlers Musik, Auszüge aus seiner letzten, der 10. Symphonie, in der Version des israelisch-amerikanischen Dirigenten Yoel Gamzou. Trotz des apokalyptischen Akkords und der 12 Paukenschläge hat sie etwas Sphärisch-Schönes, etwas Zartes und Hoffnungsvolles und lässt einen stellenweise in kosmische Welten abgleiten.
Die Inszenierung beschäftigt sich mit der Frage, wie sich das «Danach» ausdrücken lässt, wenn der Mensch der Welt abhandengekommen ist. Sollte die Antwort Mahlers Musik sein, die Gefühle und Emotionen, welche diese auslöst, hat das Abhandenkommen durchaus etwas Faszinierendes und Tröstendes.
Kleine Fotodiashow der Produktion von Ingo Höhn, Luzerner Theater:
«Der Mensch erscheint im Holozän», Interview mit Yoel Gamzou und Felix Rothenhäusler, Luzerner Theater
Text: www.gabrielabucher.ch Fotos: luzernertheater.ch