Produktionsteam
Inszenierung: Bram Jansen Bühne und Kostüme: Sophie Krayer Dramaturgie: Hannes Oppermann Video: David Röthlisberger Musik: Marcel Babazadeh
Besetzung
Christian Baus Wiebke Kayser Verena Lercher Jakob Leo Stark Alina Vimbai Strähler
Rezension:
Ein Scherbenhaufen war die Grundlage für Kleist, ebenso für Regisseur Bram Jansen am Luzerner Theater, der aber irgendwie von einem Krug ausgeht, der noch intakt ist. Bei Kleist weist alles auf Richter Adam als Verursacher des zerbrochenen Krugs hin, Jansen beleuchtet aber jede Sichtweise. also je nachdem, wie die involvierten Personen die Szene gesehen haben, kommen fast alle als Täter in Frage. So entstehen, ganz im Usus zeitgenössischer Politiker, alternative Fakten. Die Erinnerungen der Menschen in der Video-Installation zu Beginn der Inszenierung von Kleists Komödie «Der zerbrochene Krug» in der Box des Luzerner Theaters sind so lückenhaft und ungenau, wie es bei Augenzeugen oft der Fall ist. Ein Lehrer, mehrere Teenager und ein Armeeangehöriger schubsen da beim Spiel mit den Fakten Krug um Krug von der Tischkante, mal absichtlich, mal aus Versehen.
Wahrheit, Lüge, bewusste Denunziation oder einfach nur Irrtum?
Wer hat Recht? Derjenige der sagt. das Glas ist halb voll, oder jener, der sagt: das Glas ist halb leer? Unsere subjektive Wahrnehmung lässt beide Wahrheiten zu, je nach Standpunkt (real visuell oder spirituell). Bewusst reduziertes Bühnenbild, das zu Beginn hauptsächlich aus einer fliessend drapierten Leinwand besteht auf die sämtliche vorgetragenen Standpunkte als Spielszenen projiziert werden. Später gesellen sich noch Fenster und Türen dazu, die auf Gabelstaplern parkiert, je nach Bedarf durch die Akteure umplatziert werden. Unpassend, gar unnötig störend die Musik, wenn man die psychedelischen Geräusche überhaupt als solche bezeichnen kann
Beispiel einer Wahrnehmung der Wahrheit:
Einen noch viel ausgeprägteren Ansicht, was Realität ist, hatte ausgerechnet ein Surrealist. Der Belgier René Magritte notierte unter einem seiner bekanntesten Bilder „La trahison des images“ (wörtlich: „Der Verrat der Bilder“), abgebildet ist eine Pfeife: „Ceci n’est pas une pipe.“, französisch für „Dies ist keine Pfeife.“). Der verbreitetsten Interpretation zufolge war es die Absicht Magrittes, zu demonstrieren, dass selbst die realistischste Abbildung eines Objekts nicht mit dem Objekt selbst identisch ist. Stattdessen hat man es bei dem Dargestellten mit einem Bild zu tun, nicht mit einer tatsächlichen Pfeife, die man stopfen oder rauchen könnte.
Einmal mehr ausgezeichnete Schauspieler/innen
Die Schilderungen, wie der Krug zerbrochen sei, werden nachgespielt, mal aus der Sicht von Eve, mal aus derjenigen ihres Verlobten Ruprecht und nicht zuletzt die Schilderung von Eves Mutter Marthe, die ihre Version bei Richter Adam zu Protokoll gab und damit Ruprecht bezichtigte, der Übertäter zu sein. Jede Zeugenaussage, für sich genommen, klingt eigentlich plausibel, wenn man die Sichtweise des Beobachters berücksichtigt und nicht miteinrechnet, was die andern Zeugen gesagt haben. Beim Ur Kleist ist man sich schlüssig, dass nur Richter Adam der Täter sein kann.
Wie Wiebke Kayser als Witwe Marthe, Eves Mutter, ihre Monologe runterrattert, Jakob Leo Stark mit vollem Körpereinsatz Ruprecht, den Verlobten von Eve gibt, Verena Lercher alles investigiert und laufend hinterfragt, Eve die naive Unschuld vom Lande markiert und Christian Baus fast unbeteiligt teilnahmslos stoisch die Prozedur über sich ergehen lässt. Eindrücklich in Mimik, Gestik und Didaktik.
Kleine Fotodiashow der Produktion von Ingo Höhn, Luzerner Theater:
Fotos: www.luzernertheater.ch
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