Luzerner Theater, Die Grossherzogin von Gérolstein, besucht von Gabriela Bucher – Liechti

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Die Grossherzogin von Gérolstein, Szenenfoto von Ingo Hoehn, LT

Produktion:

Musikalische Leitung: Alexander Sinan Binder Inszenierung: Lennart Hantke Bühne: Natascha von Steiger Kostüme: Elke von Sivers Licht: Clemens Gorzella Choreinstudierung: Mark Daver Dramaturgie: Johanna Wall

Besetzung

Marina Viotti (Grossherzogin) Christian Joel (Prinz Paul) Robert Maszl (Fritz) Diana Schnürpel (Wanda) Jason Cox (General Bumm) Max von Lütgendorff (Baron Puck) Vuyani Mlinde (Baron Grog) Chor des LT Luzerner Sinfonieorchester

Rezension:

Eine Aufführung der etwas anderen Art am Ostersamstag

Die Grossherzogin von Gérolstein, Szenenfoto von Ingo Hoehn, LT

Wie wird man einer Aufführung gerecht, welcher das Herzstück fehlt? Was sagen, wenn jene, die eigentlich das Sagen hätte, nichts sagen kann? Die Dramaturgin des Luzerner Theaters, Johanna Wall, erklärte in ihrer Einführung, was niemand hören wollte: Die Grossherzogin von Gérolstein, d.h. Marina Viotti, hatte sich eine böse Erkältung geholt und dabei ihre Stimme verloren. Auftreten würde sie trotzdem, aber für den gesanglichen Part habe man in aller Eile Maren Engelhardt aus Kassel eingeflogen und die Dialoge würden von einer Sprecherin übernommen.

Stummfilm in der Königsloge

Die Grossherzogin von Gérolstein, Szenenfoto von Ingo Hoehn, LT

Und so erlebte man am Ostersamstag eine zwar schauspielerisch grossartig agierende Marina Viotti – zu gerne hätte man das Gesamtpaket erlebt – aber irgendwie blieb man aussen vor mit dieser Stimme aus dem «Off», welche, je nachdem wo man sass, mehr oder weniger gut zu hören war. Eine solche Situation ist schon bei einer herkömmlichen Inszenierung, wo sich alles auf der Bühne abspielt, speziell genug. Bei Lennart Hantkes Umsetzung ist sie aber noch um Etliches schwieriger. Denn oft steht Marina Viotti direkt neben oder im Publikum in ihrer Köngisloge im ersten Rang, bewegt zwar ihren Mund, aber da ist nichts. Das führt beim Zuhörer jedes Mal zu einem Bruch. Erschwerend dazu kam noch, dass der eingeblendete Text teilweise nicht jener war, der gesungen wurde. Ob eine allfällige Übersetzung schuld dran war? Denn auch hier hat sich Luzern etwas einfallen lassen, ein linguistisches Experiment nennt es Hantke: Deutsch wird als Sprache der Liebe und des Privaten eingesetzt, eigentlich ganz gegen die Konvention, und Französisch als die offizielle Sprache.

Eigenwillige Raumaufteilung

Die Grossherzogin von Gérolstein, Szenenfoto von Ingo Hoehn, LT

Trotzdem, abgesehen von der stimmlosen Grossherzogin kam das Publikum in den Genuss einer amüsanten, unglaublich farbenfrohen, frechen und teilweise rasanten Aufführung. Wenn man das Glück hat, im 1. Rang zu sitzen, ist man, wie versprochen in der Ankündigung, mitten im Geschehen. Denn nicht nur die Loge der Grossherzogin befindet sich dort, sondern oft auch das Volk, d.h. der Chor. Er habe schnell gemerkt, dass das Stück den ganzen Raum bespielen müsse, erklärt Regisseur Hantke im Interview im Programmheft. Die Leerstellen – also das, was die Zuschauer im Parterre nicht sehen können – seien wie die Gerüchte, die Intrigen, die in unserem Rücken gesponnen werden, es werde im wahrsten Sinn des Wortes «über unsere Köpfe hinweg» gesprochen. Ob das die Parterre-Besucher darüber hinwegtröstet, dass sie teilweise wenig mitbekommen von dem, was sich oben abspielt, sei dahingestellt. Denn wie sich die Grossherzogin da in den Rängen ziert und räkelt, sich aufspielt und grosstut, oder dem Soldaten Fritz verschämt und indirekt ihre Liebe zu gestehen versucht, das ist sehenswert, auch stimmlos, und geht trotz Spiegelwand auf der Bühne an den Parterre-Besuchern vorbei.

Slapstick und Halloween à la Offenbach

Die Grossherzogin von Gérolstein, Szenenfoto von Ingo Hoehn, LT

Trotzdem zum Zweiten: Man konnte etwas erleben in dieser «Grossherzogin von Gérolstein». Allein die Kostüme begeistern: Alle möglichen Farben, Materialien und Beschaffenheiten werden kombiniert, man kann sich kaum sattsehen: Faltenrock unter geblümter Weste, Umhänge wie luxuriöse Bademäntel, Tarnanzüge, Federbüsche, gestrickte Tarnkappen, trendige Sonnenbrillen, alles ist vorhanden und verwebt sich zu einem urkomischen und schrillen Gemälde, wenn sich z.B. bei der Hochzeitsnachts-Szene alle auf der Bühne zusammenfinden. Das hat etwas von einer Halloween-Party, gruselig und schräg. Und immer wieder blitzen zeitgenössische Details auf, eine Modezeitschrift, Popcorntüten, Playmobil-Männchen. Fake-News werden verbreitet, ab und an donnert ein Flugzeug durchs Theater, so realitätsnah dass alle die Köpfe einziehen. Es ist ja schliesslich Krieg, ein Krieg, welchen General Bumm und Baron Puck angezettelt haben, damit es der Grossherzogin nicht langweilig wird und sie nicht auf falsche Gedanken kommt. Auch sonst bemühen sich die beiden um die junge Frau, wollen sie verheiraten mit dem eher trotteligen Prinzen Paul. Den will sie aber nicht, hat ein Auge geworfen auf den Soldaten Fritz, der wiederum seine Wanda liebt. Wie die Grossherzogin den einfachen Soldaten zum General befördert, kleidertechnisch, und gleichzeitig Bumm degradiert ist höchst amüsant. Schlussendlich führen aber all die Intrigen, Kriegsspiele, Mordkomplotte und Liebesbeschwörungen nur dazu, dass ausser der Grossherzogin jeder mehr oder wieder das hat, was er anfänglich hatte und wollte. Die Grossherzogin ist die einzige Verliererin, sie muss sich begnügen mit dem, was sie kriegt, nachdem sie nicht haben kann, was sie wünscht.

Musikalische Leichtfüssigkeit

Die Grossherzogin von Gérolstein, Szenenfoto von Ingo Hoehn, LT

Die leichtfüssige Musik Offenbachs täuscht über das triste Thema hinweg, tönt oft mehr nach Fest, Ballsaal und Fröhlichkeit und lässt einen die angezettelten Kriege, Intrigen, die Ränken und Machtspiele vergessen. Alles bleibt leicht-luftig, das Luzerner Sinfonieorchester lässt sich von seinem Dirigenten Alexander Sinan Binder mitreissen, schwelgt in den Melodien und legt ab und an atemberaubende Tempi hin.

Man muss es nehmen wie es kommt, ein Leitsatz dieser Operette. Das Luzerner Theater hat alles daran gesetzt, seinem Publikum trotzdem einen schönen Abend zu bescheren, Pausen-Cüpli inklusive. Die Stimmen überzeugen, allen voran Jason Cox als General Bumm. Ob der etwas verhaltene Schlussapplaus mit dem nicht sehr zahlreich erschienen Publikum zu tun hatte (wohl saisonal bedingt) oder doch mit der leisen Enttäuschung, nicht in den vollen Genuss dieser Produktion gekommen zu sein? Bleibt zu hoffen, dass Marina Viotti schnell wieder zu ihrer Stimme zurückfindet, damit sie bei den kommenden Aufführungen die ganze Breite ihres Könnens zeigen und sich das Publikum rest- und bedingungslos einlassen kann auf dieses fulminante Spektakel.

Kleine Fotodiashow von Gregory Batardon:

http://fotogalerien.wordpress.com/2019/04/18/luzerner-theater-die-grossherzogin-von-gerolstein-besucht-von-gabriela-bucher-liechti/lerien.wordpress.com/2019/04/18/luzerner-theater-die-grossherzogin-von-gerolstein-besucht-von-gabriela-bucher-liechti/

Text: www.gabrielabucher.ch Fotos:Gregory Batardon     luzernertheater.ch

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