Produktionsteam
Bettina Bruinier Inszenierung
Mohan C. Thomas Choreografie
Claudia Rohner Bühne
Justina Klimczyk Kostüme
Stefan Paul Goetsch Musik
Peter Weiss Licht
Carolin Losch Dramaturgie
Besetzung
Christian Baus Marquis de Sade, Hans-Caspar Gattiker Jean Paul Marat, Jonas Götzinger Dupperet, Denise Hasler Kokol, Katharina Heissenhuber Rossignol, Juliane Lang Charlotte Corday, Lilli Lorenz Polpoch, Sandra Müller Simonne Evrard, Annina Polivka Cucurucu, Evamaria Salcher Ausrufer, Pascal Vogler Coulmier, Jördis Wölk Jacques Roux
Rezension:
Sogar die Dramaturgin des Luzernern Theaters Carolin Losch hat’s in ihrer Einführung nicht ganz geschafft, den Titel des Stückes vollständig herzusagen: «Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter der Anleitung des Herrn de Sade». Ob es an der Länge des Titels dieses Stückes von Peter Weiss liegt, dass letzten Freitag das Theater nur halbvoll war? Denn an der Qualität der Inszenierung und des Spiels kann es nicht liegen, auch nicht am Unterhaltungswert dieses Spektakels.
In Marat/Sade, wie Peter Weiss Stück kurz genannt wird, geht es um eine blutige Epoche europäischer Geschichte: Die Französische Revolution ist erst wenige Jahre Vergangenheit; der Marquis de Sade, bekannt durch eine Reihe pornografischer, kirchenfeindlicher und philosophischer Romane, ist in einer Nervenheilanstalt interniert. Unter Sade`s Regie führen seine Mitpatienten ein Theaterstück über die Ermordung des Revolutionärs Jean Paul Marat, geboren 1743 in Boudry im heutigen Kanton Neuchâtel, auf.
In der Luzerner Inszenierung von Bettina Bruinier sind die Vorzeichen etwas anders: Wir befinden uns nicht in einer Nervenanstalt, sondern in der Welt der Popstars. Die Rockband «de Sade» präsentiert ihr neues Album «Marat». Diese CD-Taufe wird durch Coulmier, hier Vertreter der Stiftung «Charenton goes Kultur», angekündigt. Die Stiftung hat sich werbemässig ganz schön ins Zeug gelegt: Auf der Bühne hängt eine riesige Foto-Leinwand der Band und im Foyer des Theaters werden CD’s und Fanartikel verkauft. Die Band-Mitglieder sind einerseits der Marquis de Sade (Christian Baus,) eine Figur à la Marylin Manson mit dem Champagner-Konsum eines Andreas Thiel, andererseits Jean-Paul Marat (Hans-Caspar Gattiker), man nimmt diesem muskulösen und von Gesundheit strotzenden Mann seine schlimme Hautkrankheit schlecht ab. Aber er ist ja in diesem Stück ein Bandleader, das Spiel im Spiel erlaube viele Freiheiten, hatte Losch erklärt, vielleicht ist das eine davon. Ebenfalls mit von der Partie Charlotte Cordey (Juliane Lang), Simonne Evrard (Sandra Marina Müller), die Geliebte Marats und der Ausrufer (Evamaria Salcher). Als Backgroundsänger hat sich die Band Verstärkung aus dem «Jugenddorf Charenton» geholt. In Luzern sind dies Absolventen der Zürcher Hochschule der Künste. Diese bunt gemischte Truppe belebt, bespielt, besingt und betanzt eine Bühne, welche – den Gegebenheiten entsprechend – an einen exzentrischen Nachtclub erinnert. Da gibt‘s viel Gold, Silber, Glitzer und Technik, die Badewanne auf ihrem mit einem roten Teppich unterlegten Podest wirkt wie ein bizarres Markenzeichen des Clubs. Marat sitzt dann auch weniger darin, als dass er wie eine Gallionsfigur drin steht, verbal und singend die Klingen wetzt mit seinem Gegenspieler de Sade. Charlotte Cordey wirkt einerseits fromm und verklärt, andererseits spielt sie lasziv mit ihrem Mikrofon und muss immer wieder die Avancen Duperret‘s abwehren, der seine Hände nicht von ihr lassen kann. Baus De Sade hat etwas Schleichend-Düsteres an sich, er spielt seine Desillusionierung meisterhaft. Die verkündeten Schrecklichkeiten werden oft mit feinen Tönen untermalt, es wird gerappt zu Technosound, am Rande der Szenen wird geschäkert und diskutiert. Ab und zu kippt das Spiel, dann müssen die Mitwirkenden aus dem Jugenddorf vorübergehend von der Bühne gebracht werden, Cordey wird ermahnt, weil sie aus ihrer Rolle fällt und wird mit Schokolademilch ruhig gestellt. Es gibt wunderbare Zeitlupenszenen im scharfen Gegenlicht, die Schauspieler machen sich mal zum Affen, mal mimen sie Gehängte, der Zuschauer verliert sich ab und zu in den Ebenen, was ist hier Spiel, was ist – gespielte – Realität. Am Ende des Stücks eröffnet sich sprichwörtlich eine zusätzliche Ebene: Die Häuserfront, die im Hintergrund zum Vorschein kommt und welche man im ersten Moment als Kulisse wähnt, ist jene der Theaterstrasse. Ein kühler Wind weht über die Bühne Richtung Zuschauerraum, man hört entfernt Stimmen und Musik und wird in die «normale Welt» zurückgeholt.
Text: www.gabrielabucher.ch
Kleine Fotogaleriendiashow der Produktion von Toni Suter, Luzerner Theater http://www.ttfoto.ch
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