Produktionsteam
Andreas Herrmann Inszenierung
Max Wehberg Bühne
Sabin Fleck Kostüme
Martin Baumgartner Musik
Gérard Cleven Licht
Carolin Losch Dramaturgie
Besetzung
Christian Baus Der Schreiner Lin To / Der Barbier Shu Fu / Polizist / Kellner, Daniela Britt Shen Te / Shui Ta, Hans-Caspar Gattiker Yang Sun, ein stellungsloser Flieger, Wiebke Kayser Die Witwe Shin, Juliane Lang Frau der achtköpfigen Familie / Die Teppichhändlerin, Bettina Riebesel Die Hausbesitzerin Mi Tzü / Frau Yang, Clemens Maria Riegler Wang, ein Wasserverkäufer, Samuel Zumbühl Neffe der achtköpfigen Familie / Polizist
Die drei Götter: Markus Felber, Barbara Willimann, Hans Woodtli; Mitglieder der achtköpfigen Familie: Yannic Ambach, Bernhard Itel, Hans Kneubühler, Silas Schmuckli, Julia Skof, Cecile Zwyssig; Kind: Juri Schmuckli
Vorabbemerkung und Stückbeschreibung: Brecht`s Parabel ist doch aktueller als eh und je:
Bankenkrise, spektakuläre Betrugsfälle, Nahrungsmittelspekulation … Jeden Morgen beim Aufschlagen der Zeitung werden wir mit negativen Auswüchsen unseres Wirtschaftssystems konfrontiert. Die Frage, ob moralisches Empfinden als oberste Handlungsmaxime gelten kann, beschäftigte nicht nur christliche Ethiker, sondern auch den dramatischen Provokateur Bertolt Brecht.
Drei Götter haben sich auf die Erde begeben, um einen «guten Menschen» zu suchen. Überall stossen sie auf Ablehnung, lediglich die Prostituierte Shen Te ist bereit, ihnen ein Nachtlager zur Verfügung zu stellen. Die Entlohnung der Götter reicht aus, um einen kleinen Tabakladen zu eröffnen. Doch schlagartig sieht sich Shen Te von Bittstellern umgeben, die an ihrem bescheidenen Wohlstand teilhaben möchten und das Geschäft in den Ruin zu treiben drohen. Shen Te weiss sich nicht zu helfen und tritt als ihr Vetter Shui Ta auf den Plan, der alle davonjagt und mit harter Hand wieder Ordnung herstellt. Er gründet eine Tabakfabrik, in der die Angestellten unter unwürdigen Bedingungen arbeiten müssen. Die Liebe Shen Tes zu einem stellungslosen Postflieger stürzt sie erneut in Schwierigkeiten. Als das Gerücht aufkommt, Shui Ta habe seine Cousine ermordet, sieht sich Shen Te von allen Seiten umstellt.
Brechts 1943 in Zürich uraufgeführtes Parabelstück wirft die Frage auf, ob ein guter Mensch im Kapitalismus überleben kann oder ob nicht Unbarmherzigkeit erst Güte ermöglicht. Die Götter haben ausgedient. Sie stehlen sich aus der Verantwortung, verweisen den Menschen auf sich selbst und kehren schliesslich reichlich ramponiert in den Himmel, also ins «Nichts», zurück. Güte als absolutes moralisches Gesetz scheint unmöglich.
Rezension:
Karl`s kühne Gassenschau gibt es ja schon seit 1984, völlig unnötig also, den guten Menschen auf diese Art in Szene zu setzen, scheint aber überall Mode zu werden, hab ich diesen Sommer schon bei der Welttheaterproduktion in Einsiedeln erleben müssen. Lieber ein Motorrad an der Klosterkirche neben den aufgestellten Bulldozern vorbeirattern lassen, oder jetzt in Luzern einen ferngesteuerten Minihelikopter über die Bühne. Lebende Tiere hat man vor Jahrzehnten schon in Bauerntheatern auf dem Land zur Belustigung des Publikums auf die Bühne gezerrt, sogar mal ein echtes Mercesdescabriolet beim „Vetter aus Dingsda“ auf der Sursee`r Opperettenbühne in den 1960er Jahren, also was soll`s?
Dabei waren die Ansätze ja im Prinzip ja in ihrer Einfachheit und Aussagekraft überzeugend genug, der Zigarettenautomat als Symbol für den Tabakladen der Shen Te, als auch die Plastikplanen als Symbol unserer Wegwerfmentalität. Der mündige Theatergänger ist durchaus in der Lage solche Sachen im Sinne der Dramaturgie zu interpretieren, sonst sässe er zuhause und schaute sich „Desperates housewives“ oder die 899. Folge der „Simpsons“ an. Es ist ja grossartig, dass die Theater heute über eine so ausgefeilte Bühnentechnik verfügen, heisst aber nicht, dass man alle Komponenten unbedingt gleichzeitig einsetzen muss.
Ein Glück, dass man in Luzern über so hervorragende Schauspieler verfügt, die das ganze unnötige Brimborium mit ihrem Können zum Teil weg- und überspielen können, aber gegen die unseligen, fast läppisch-peinlich anmutenden Musikeinlagen waren auch sie auf verlorenem Posten. Schade, bei diesem Brecht brächte weniger mehr. Das Mittel sollte nicht zum Zweck werden, So bleibt denn Bertolt Brechts Frage, ob es noch einen guten Menschen gibt, auch in Luzern unbeantwortet. Reduce tot he max, hätte hier durchaus seine Berechtigung. Wer das Stück nicht schon kennt, kommt sich ein ziemlich verloren vor. Botschaften, ja gar ganze Handlungen werden überspült und überspielt mit technischen Gags, viel zu gröligen – scheppernden Lautsprechermusikeinspielungen usw., leider mehr commedia dell` arte denn Sprechtheater.
Welch grosses Potential das Luzerner Theater hat, wussten die Protagonisten in den letzten paar Jahren meistens mit Bravour zu demonstrieren, ohne diesen unnötigen, nur vom Wesentlichen ablenkenden Firlefanz.
Erwähnt trotz allem die grossartigen Leistungen der Darsteller, allen voran die überzeugend wandlungsfähige Daniela Britt, der Sturzpilot Hans Caspar Gattiker, der Wasserträger Clemens Maria Riegler und der gleich in vier verschiedenen Rollen brillierende Christian Baus. Diese Aufzählung schmälert keineswegs die überzeugende Leistung des gesamten Ensembles auf der Bühne. Bleibt zu hoffen, dass bei der nächsten Inszenierung der Schwerpunkt wieder auf den Inhalt verlagert wird und nicht auf ein, bloss optisches Feuerwerk. Der Applaus des Premierenpublikums war trotzdem langanhaltend, wenn auch nicht stürmisch begeistert.
Ein paar visuelle Eindrücke über diesen Link, Fotos von Ingo Höhn, Luzerner Theater
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: Ingo Höhn www.luzernertheater.ch