Produktionsteam Inszenierung: Kornél Mundruczó Text: Kata Wéber Dramaturgie: Soma Boronkay, Sandra Küpper
Rezension:
Der Spielort der Produktion, die „MS Saphir“, ist ein Flaggschiff der Schifffahrtsgesellschaft des Vierwaldstättersee (SGV) und erst seit dem Jahre 2012 in Betrieb. Sie eine Perle unter den SGV Schiffen zu nennen wäre verfehlt, da sich ja ein Saphir nicht zu einer Perle abwerten lässt. Auf jeden Fall hat Intendant Benedikt von Peter auch diesmal wieder eine ungewöhnliche Spielstätte gewählt.
Über die Inszenierung von Kornél Mundruczó und die Geschichte von Kata Wéber
Nichts scheint mehr zu überraschen, alles ist bekannt. Im Zeitalter des Offensichtlichen sind alle Informationen abrufbar. Aber wenn wir genau hinsehen und zuhören, ist unsere Umgebung plötzlich gar nicht mehr so offensichtlich. Wenn wir am Ufer des Sees stehen und auf das Wasser blicken, auf die Berge rundherum, mit den richtigen Augen, dann nehmen wir sie wahr: die mythische Welt abseits der bekannten Pfade. Bevölkert von unbekannten Wesen.
Mundruczós Filme wurden mehrfach in Locarno und Cannes ausgezeichnet. Er arbeitet an den grössten Theater- und Opernhäusern. Bekannt für seine Grenzgänge zwischen den Genres, sucht er immer wieder nach neuen Ausdrucksformen für Themen, die sich mit lokalen Ereignissen beschäftigen, um auf grössere Zusammenhänge zu schliessen.
Die Theaterleute hatten noch etwas mit den Tücken der Technik zu kämpfen an dieser, auch für sie, ungewohnten, weil neuen Spielstätte. So verliess denn die „Saphir“ Pier 5 beim KKL Luzern mit Verspätung, was aber die Vorfreude der Besucher keineswegs trübte. Zu sehr war man gespannt, was die Theatercrew wieder ausgeheckt hatte. Nachdem jede/r seinen Kopfhörer für das Audioerlebnis überreicht bekommen hatte, ergatterte man sich einen Platz an einem der Tische. Für einmal war also nicht Theaterbestuhlung angesagt, sondern man beliess es so, wie die Schiffskonstruktion im Unterdeck es vorgab, was sich im Folgenden als nicht so optimal erweisen sollte.
Da im Bug, ebenso wie im Heck gespielt wurde, war man gezwungen, um möglichst alles mitzubekommen, dauernd sich umzupositionieren und den Hals zu recken und zu verdrehen, was der an und für sich sonst schon etwas abstrusen Handlung, keinesfalls dienlich war und ein gewisses Unbehagen im Auditorium auslöste.
Der Plot im, Kurzbeschrieb:
Eine junge Frau, Tina, anfangs zwanzig, rastlos auf der Suche nach einer ihr zusagenden Arbeit, nach dem Sinn des Lebens, Liebe und Anerkennung und ein 30 Jahre älterer, charmanter, lebenserfahrener Fotograf, Roger, sind Insassen eines Zuges, der am 22. März 2017 bei der Einfahrt in den Bahnhof Luzern entgleist. Sie als Mitglied eines Chores, der nach Mailand zu einem Konzert unterwegs ist, er, um eine Reisereportage über diverse Sitzbänklein in Luzern zu realisieren. Also so Bänke, die an Uferpromenaden, an Aussichtspunkten usw. platziert sind, damit sich die lustwandelnden darauf setzen können, um sich auszuruhen, allenfalls um das Panorama zu bewundern.
Sie lernen sich kennen an einem Stand, den die Rettungskräfte aufgebaut hatten, um Getränke zu verteilen, Auskunft zu geben usw. Nach einem kurzen Wortwechsel schliessen sie sich zu einer Zweckgemeinschaft zusammen. Sie soll ihm assistieren bei der Fotoreportage über die Bänke, deren es insgesamt 33 sind. Daraus macht die Autorin dann die 33 Schweizer Bankgeheimnisse, verfolgt diesen Strang aber leider nicht weiter. Die abgehobene Story verbindet sie dann mit Tatsachen und Fiktionen, die den, nun von katarischen Investoren wiederbelebten mystischen Bürgenstock umranken. So steht die tatsächliche Hochzeit von Audrey Hepburn mit Mel Ferrer im Jahre 1954 auf dem Bürgenstock gegenüber dem fiktiven Geist von Carlo Ponti, der verzweifelt darauf wartet, dass seine so geliebte Sophia (Loren) auch endlich das Zeitliche segnen möge, damit sie auf dem Berg über dem Vierwaldstättersee wieder vereint wären. Ziemlich weit hergeholt und überspitzt, aber ziemlich humorlos und ohne jegliche Ironie. So schaukelt die Geschichte dann seicht dahin, ganz wie die „Saphir“ auf den, auch nicht sehr hohen Wellen des Vierwaldstättersees, während ca. 80 Minuten entlang den Schauplätzen, wo sich die fiktive Geschichte zugetragen haben soll.
Umsetzung der Geschichte
Etwas mystische Musik als Intro (Xenia Wiener, (Keyboard, Elektronik), Janos Mijnssen (Violoncello), die im Bug platziert sind. Unvermittelt taucht eine verstörte Frau beim Eingang auf, bricht an der Bartheke zusammen, wird dann von einem Crewmitglied an ihren Platz an einem der Tische geführt, worauf alsbald die Stimme von Tilo Werner über das Audiosystem zu hören ist, der die Geschichte vorträgt. Der Monolog wird aufgelockert, oder vielmehr kompliziert, durch Diaprojektionen auf eine Leinwand im Bug des Schiffes, womit die mühsame „Wendehalsgeschichte“ ihren Anfang nimmt. Während das ungleiche Paar mit einem Ford Mustang durch Luzern fährt, auf der Suche nach den verschiedenen Bänklein und einer geeigneten Unterkunft und die Story ihren Lauf nimmt, sind sie plötzlich da auf der „Saphir“:
Die Geister, die wir nie gerufen haben
Dies, weil inzwischen Roger in den Bergen ums Leben gekommen ist oder sich sonst irgendwie aus Tinas Leben verabschiedet hat und nun vergeistert unter uns weilt. Und da ja selten ein Geist alleine kommt, sind es auch hier zahlreiche, die stumm und fast regungslos, aber keineswegs bedrohlich im Couloir zwischen den Tischen stehen, während die Stimme uns über Kopfhörer auf dem Laufenden hält, wie sich die Dinge weiter entwickeln und/oder in welche (geordnete?) Bahnen Tinas Leben einbiegt. Zwischendurch gibt’s auch mal Lieder zur Auflockerung. Währenddessen nähert sich die „Saphir“ dem unwirklich illuminierten Hotel Sankt Niklausen am See (dem Belle Epoque Gebäude am Fusse des Bürgenstock) an.
Da jetzt, nebst den Aktionen im Bug und Heck auch noch die Aktionen am Ufer gesehen werden wollen, werden die gewendeten Hälse noch mehr strapaziert, aber dafür die zähe Geschichte etwas aufgelockert, zumal beim Hotel, das schon längere Zeit geschlossen ist, eine Art Scheiterhaufen brennt, worauf der Feueralarm des Hotels ausgelöst worden ist. Viel Rauch umhüllt die Geister, welche die Hotelpromenade bevölkern. Das Geschehen wird jetzt dramatischer und Wiebke Kayser übernimmt den Part der Erzählerin, jetzt nicht mehr nur über das Headset, sondern sie ist, auf einem Stuhl im Gang sitzend, auch visuell präsent. Zum Abschluss wird das Publikum noch aufgefordert die Geister zu umarmen, damit diese wieder verschwänden.
Ein kleines Mädchen ist die einzige, das dazu den Mut aufbringt, eines der Gespenster umarmt und dabei sichtlich Spass hat, vor allem, als dieses tatsächlich verschwindet. Die anderen müssen dann durch eine Umarmung der Erzählerin wieder in die Traumwelt zurückgeschickt werden. Eine, einen sehr zwiespältigen Eindruck hinterlassende Uraufführung findet damit doch noch einen versöhnlichen Abschluss.
Kleine Fotodiashow der Produktion von Ingo Hoehn:
Trailer von Tele1 über die Aufführung:
https://www.tele1.ch/sendungen/1/nachrichten#451116_6
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: www.luzernertheater.ch
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