Produktionsteam
Inszenierung: Alexander Giesche Bühne und Kostüme: Nadia Fistarol Licht: David Hedinger Dramaturgie: Friederike Schubert Musik: Georg Conrad
Besetzung Mit: Lukas Darnstädt, Matthias Kurmann, Verena Lercher, Maximilian Reichert, Jakob Leo Stark, Alina Vimbai Strähler
Rezension:
«Seltsam im Nebel zu wandern…» mit dem Gedicht von Hermann Hesse begann Friederike Schubert die Einführung ins Stück «White out» von Alexander Giesche. Ein ungewöhnlicher Anfang für eine ungewöhnliche Produktion, erklärte sie. Das Gedicht, und ihr Hinweis, bei den Produktionen von Alexander Giesche werde der Zuschauer auf sich selber zurückgeworfen, begleiteten mich während den fast 2 Stunden der Première letzten Dienstag. Denn auf sich selber geworfen wird man bei diesen Bildern, die wenig mit Gewöhnlichkeit zu tun haben. Giesches «Visual Poem», dieses bildgewaltige, assoziative Werk, ist nicht einfach zu entschlüsseln, wobei Entschlüsselung wohl auch gar nicht das Ziel ist. Um Begegnungen am Ende der Welt geht es, um ein neues Erdzeitalter, das Anthropozän, das menschlich gemachte Zeitalter, welches das Holozän, das jetzige ablöst. Giesche inspiriert sich einerseits von diesem Anthropozän, andererseits vom «White out», einem meteorologischen Phänomen, welches vor allem in Polargebieten und im Hochgebirge auftritt und zu starken Kontrastverringerungen und zur Orientierungslosigkeit führt. So entstanden – in Zusammenarbeit mit den Akteuren – Bildgeschichten im Grenzbereich von Ton- und Lichtinstallationen, Theater und Performance.
So viel lässt sich im Programmblatt lesen. Von Entschleunigung ist die Rede und davon, dass man als Zuschauer zum aktiven Assoziieren eingeladen wird. Gespannt dürfe man sein, und gespannt ist man auch und bleibt es irgendwie, den ganzen Abend über, gespannt, wie das nächste surreale Bild daherkommen, wie dieses aufgelöst wird, welche nächste Information der eiserne Vorhang preisgeben wird.
«Zahlreiche» Informationen
Aber von Anfang an: Auf der Bühne steht ein Mann in Sportausrüstung, hinter ihm der eiserne Vorhang des Theaters mit einer Milliardenstellen-Zahl. Mit einem Knall bläst der Mann seinen roten Lawinen-Airbag auf, den er danach den ganzen Abend um den Hals trägt. Unendliche Minuten lang gibt er detaillierte Informationen darüber, woraus eine Notfallausrüstung besteht, bei den Nahrungsmitteln gramm- und kaloriengetreu. Der Vorhang hinter ihm öffnet sich langsam, schliesst sich später genau so langsam wieder, den ganzen Abend über, immer mit irgendwelchen informativen Zahlen: Weltbevölkerung, Geburten an diesem Tag, Google-Klicks, ausgegebenes Geld für Videospiele, Todesfälle durch Krebs oder von herabfallenden Ventilatoren getroffene Menschen.
Lebende Installation
Dazwischen die Szenen auf der Bühne. Der Boden ist bedeckt mit Asche, der Hintergrund anfänglich hell ausgeleuchtet, Endzeitstimmung. Die 6er Runde besteht aus dem Expeditionsteilnehmer, nun in einem beleuchteten kleinen Zelt versteckt, einem Mann, welcher mit einem Detektor dem schwärzesten Schwarz auf der Spur ist, einem Soldaten, der nichts anderes tun kann als Fliegen, seit man ihm etwas zu viel Mittel gegen Flugangst gespritzt hat. Immer wieder durchquert er die Bühne von links nach rechts. Ein anderer Mann zieht einen grossen mobilen Scheinwerfer hinter sich her wie ein Hündchen, sendet damit Signale ins All und vollführt einen faszinierenden, beinahe poetischen Lichttanz mit ihm. Eine überdrehte Frau verrenkt sich in einer Art Schnee-Woodo-Verkleidung zum Techno-Beat, eine andere Frau in Abendrobe setzt sich an einen edel gedeckten Tisch mitten in dieser Aschelandschaft und harrt dort aus. Dann wieder sitzen alle sechs am Tisch, lachen sich beinahe tot über ihre Vornamen und Spendegewohnheiten, singen gemeinsam «don’t dream, it’s over», der Saal summt mit. Einer taucht dann noch ab ins Eisloch, zwei machen Selfies am Tisch, der schwebende Mann trägt nun ein weisses Hemd und schwarze Hosen, die Schnee-Woodo Frau windet sich am Boden, der Mann mit dem Lawinen-Airbag hockt im Zelt.
Es sind teilweise faszinierende Bilder, eine lebende Installation. Man muss sich aber einlassen, sich der Entschleunigung stellen können. Die Jungen mochten es sehr, die Älteren blieben wohl teilweise etwas unentschieden – eben, seltsam im Nebel zu wandern…
Kleine Fotodiashow der Produktion von Ingo Höhn, Luzerner Theater:
fotogalerien.wordpress.com/2017/03/15/lzerner-theater-white-out-begegnungen-am-ende-der-welt/
Text: www.gabrielabucher.ch Fotos: luzernertheater.ch