Besetzung und Programm:
Mahler Chamber Orchestra
Mitsuko Uchida Solistin am Piano
Mark Steinberg Konzertmeister
W. AMADEUS MOZART – KONZERT FÜR KLAVIER UND ORCHESTER NR. 23 A-DUR KV 488
HENRY PURCELL
Fantasia Z. 740, a4, a-Moll
Fantasia Z. 736, a4, B-Dur
Fantasia Z. 738, a4, c-Moll
Fantasia Z. 745, a5, F-Dur (Fantazia upon One Note)
WOLFGANG A. MOZART – KONZERT FÜR KLAVIER UND ORCHESTER NR. 24 C-MOLL KV 491
Poetik des Zusammenspiels
Wo Mitsuko Uchida, geboren 1948 bei Tokio, ist, da ist Poesie – ob sie nun Mozart spielt oder andere Komponisten. Handverlesen sind auch ihre musikalischen Partner: so wie an diesem Abend das Mahler Chamber Orchestra, eines der besten Kammerensembles der Welt, gegründet vor 25 Jahren von Claudio Abbado. 1969 gewann Uchida den Beethoven-Wettbewerb in Wien, nahm weitere Stunden bei Wilhelm Kempf, schaffte es dann 1970 beim Chopin-Wettbewerb in Warschau auf den 2.Platz. 1972 ließ sie sich in London nieder, gewann 1976 den Klavierwettbewerb in Leeds, worauf ihre Weltkarriere begann.
WOLFGANG AMADEUS MOZART – KONZERT FÜR KLAVIER UND ORCHESTER NR. 23 A-DUR KV 488
Die Solistin, ungewohnt, mit dem Rücken zum Publikum am Konzertflügel sitzend, damit sie ihre Mitmusiker*innen im Blick hat und damit so nebenbei auch das Dirigat ausüben kann. Auch hier dauert das Orchester Intro, wie bei Mozart üblich, 2 1/4 Minuten, bevor die Solistin ins Geschehen eingreift.,
Das A-Dur-Konzert KV 488 gilt als unproblematisch und hör-
erfreundlich: «ein unaufhörliches Schwelgen in edelstem Wohllaut, ein
verschwenderisches Verströmen blühender Melodik», wie ein gängiger
Konzertführer behauptete. Das ist zwar nicht falsch, blendet aber die Vor-
aussetzungen, unter denen Mozart arbeitete, komplett aus. Denn genau
dieses «Verströmen blühender Melodik» stellte innerhalb der Gattung
bereits einen Sonderfall dar. Wer ausser Mozart hätte im Wien der
1780er Jahre die Chuzpe besessen, ganz auf die Karte Kantabilität zu
setzen? Natürlich durfte sein A-Dur-Konzert voll «blühender Melodik»
sein; es musste aber auch pianistischen Effekt machen, denn das gehörte
zu den Erwartungen der zahlenden Gäste. Insofern ist bereits der Beginn
von KV 488 eine Zumutung: ein offenbar vokal erfundenes Thema, das
von den Streichern vorgestellt wird, dann von den Bläsern alleine, und das
sich scheinbar überhaupt nicht zu klavieristisch-virtuoser Verarbeitung
eignet. Dass es dennoch funktioniert, lässt sich nur mit Mozarts kompo-
sitorischer Souveränität erklären, die er sich im Laufe der Jahre ange-
eignet hatte.
Quirlige Solistin führt engagiert durch die Partitur
Auch die Gattung Klavierkonzert hält einen Ort bereit, an dem das Aus-
singen möglich ist: den langsamen Satz. Hier aber wartet Mozart mit
einer neuen Überraschung auf. Die Solistin entführt in eine tieftraurige,
schmerzliche Adagio-Welt in der ungewöhnlichen Tonart fis-Moll. Auch
das Orchester wird von diesem melancholischem Gesang in Bann ge-
schlagen; vom konventionellen Dialog zwischen dem Einen und den
Vielen, vom spielerischen Umkreisen der musikalischen Gedanken ist
dieser Satz denkbar weit entfernt. Ganz am Ende noch ein wahrhaft ge-
spenstischer Effekt: eine lang gezogene, einstimmig-nackte Melodielinie
des Klaviers über pochendem Orchestergrund.
Erst mit dem fröhlichen Finale erfüllt Mozart wieder die gängigen Hör –
erwartungen — wenn man davon absieht, wie er das Orchester einbe-
zieht. Im Grossen (dunkler Gesamtklang) wie
im Kleinen (halsbrecherische Läufe des Fagotts) entfernt sich das Ensemble von der Funktion «neutraler» Begleitung, von der sich die Solistin des Abends effektvoll abheben könnte. Wie so oft bei Mozart liegt die Sprengkraft seiner Musik in den Details verborgen; zündend aber ist sie allemal und kommt im fulminanten Finale besonders zum Ausdruck. Dem pflichtete das Auditorium mit langanhaltendem, stürmischem Applaus bei und beorderte so die Solistin noch einige Male auf die Bühne zurück. Ein durchaus optimistischer, anregender Auftakt in den Konzertabend im frisch renovierten grossen Konzertsaal.
Grundsätzliches zu Konzertmeister Mark Steinberg
Der amerikanische Geiger Mark Steinberg machte im Jahr 2001 von sich reden, als er zusammen mit der Starpianistin Mitsuko Uchida sämtliche Violinsonaten Mozarts aufführte — und zwar einmal auf modernen, einmal auf historischen Instrumenten. Kammermusik steht auch sonst im Zentrum von Steinbergs Wirken: Er ist Gründungsmitglied des Brentano String Quartetts, in dem sich 1992 Absolvent*innen der renommierten New Yorker Juilliard School zusammenfanden.
HENRY PURCELL
Fantasia Z. 740, a4, a-Moll
Fantasia Z. 736, a4, B-Dur
Fantasia Z. 738, a4, c-Moll
Fantasia Z. 745, a5, F-Dur (Fantazia upon One Note)
Barockmusik hat immer so etwas ernsthaft – feierlich, fast liturgisches an sich und ruft ein unbestimmtes Ehrfurchtgefühl hervor. Henry Purcell (1659 – 1695) galt schon zu seinen Lebzeiten als der bedeutendste englische Komponist und wurde daher mit dem Ehrentitel Orpheus britannicus gewürdigt. Sein Anthem für die Trauerfeier der Königin Maria II. von England wurde in einer elektronischen Fassung von Wendy Carlos zur Titelmusik von Stanley Kubricks Film Uhrwerk Orange (A Clockwork Orange). Purcells Musik ist ungemein vielschichtig: manchmal klingt sie so einfach wie ein Volkslied, meistens aber überwiegt das ernsthafte, widerspiegeln die Kompositionen den Puritanismus der damaligen Zeit. Die Musiker*innen, jetzt wieder ohne die Bläsersektion spielen die vier kurzen Stücke stehend ( Ausnahme die Cellist*innen und die Kontrabass*istinnen). Etwas Gewöhnung bedürftig, zumindest für die Mehrheit des Publikums waren diese Töne schon, entsprechend auch die Reaktion eher zurückhaltend, vor allem nach dem vorangegangenen quirligen, optimistischen Mozart Klavierkonzert. So begab man sich dann eher etwas still und nachdenklich in die kurze Pause.
WOLFGANG AMADEUS MOZART – KONZERT FÜR KLAVIER UND ORCHESTER NR. 24 C-MOLL KV 491
Moll-Kompositionen in Mozarts Werk sind so selten, dass sie die Autoren, Musiker und Hörer unheimlich anziehen wie ein Unglück die Schaulustigen. Es ist, als dürfe man, verwirrt von der kühlen Artistik seines Stils, endlich einmal dem Hervorbrechen tragischen, persönlichen Erlebens beiwohnen. Doch können wir dieses Moll-Konzert wirklich als emotionales Zeugnis hören, als „Ausbruch“, wenn wir bedenken, dass Mozart zeitgleich am überaus Dur-lastigen „Figaro“ schrieb (das Moll von Barbarinas Nadel-Arie ist ganz Parodie)? Die These vom dämonischen Moll-Gegengewicht überzeugt nicht. Als wäre das nicht problematisch genug, steht KV 491 ausgerechnet in c-Moll, jener Tonart, die Beethoven mit heftigem Pathos prägte. Doch Mozarts c-Moll-Werke erfüllen nicht, was wir seit Beethoven von c-Moll erwarten. Und da sind wir dann beim verhängnisvollen Motiv „Fast schon Beethoven“ angelangt. Dennoch, dem Zwang, hier dämonische Gewalten zu hören, lässt sich kaum entgehen. weicht der pathetischen Anmutung fast spröde aus.
Mozart fordert bei seinen Klavierkonzerten viel Geduld von den Solist*innen
So lässt Mozart die Solistin auch hier fast 2 1/2 Minuten warten, bis sie sich ins Spiel einbringen darf, aber dann interpretiert Mitsuko Uchida mit einer gelassenen Transparenz, einer weisen Unaufgeregtheit. Am bestechendsten ist das breite Tempo, mit dem die japanische Solistin das Variations-Finale, oft als Geschwindmarsch überhetzt, in fast kammermusikalische Innerlichkeit zurückgeführt hat. Sie hat genau begriffen, dass man bei Mozart nicht bis auf den Grund dringt, wenn man nur auf die erregende Dramatik vertraut.
Mozarts Hang zu dramatischen Gesten
Solistin und Orchester scheuen die wuchtige, theatralische Geste nicht, aber sie hören das Stück nicht als erschütterndes Ausnahme-Ereignis, sondern als klangerforschende Aufgabe. Man genießt den üppigen Bläsersatz – Flöten, Oboen, Fagott und Klarinetten – in keinem Konzert hat Mozart das sonst aufgeboten. Und Mitsuko Uchida steht dem prächtigen Orchester mit herrlichem pianistischen Farbspektrum nicht nach. Gradliniger «Marsch» der Protagonist*innen durch die Partitur, die Nuancen ausreizend, die Ausrufezeichen präzis setzend, mit einer Spielfreude, die auch den Zuhörern so richtig einfährt und die besinnliche Pausenstimmung hinwegfegt.
Für diese Demonstration dürfen die Musikerinnen denn auch begeisterten Beifall ernten der nicht nachlässt, bis sich Uchida doch noch zu einer kurzen Zugabe überreden, besser überklatschen lässt.
Mitsuko Uchida ist eine lebendige Geschichtenerzählerin an den Tasten
Lauscht man der Pianistin bei ihrer Interpretation der beiden Klavierkonzerte, so ist es, als würde man gebannt einer Geschichte folgen, bewegend, eindringlich und dicht erzählt von der souveränen Meisterin an den Tasten. Ein weiteres Migros – Kulturprozent – Classics Konzert das zu begeistern wusste.
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: http://www.migros-kulturprozent-classics.ch/
Homepages der andern Kolumnisten: https://noemiefelber.ch/